30C3: Die überwachte Bundesrepublik

Nach Ansicht des Historikers Josef Foschepoth ist Deutschland kein souveräner Staat, auf dessen Territorium das Grundgesetz uneingeschränkt gilt. Überwachungsrechte der Alliierten seien nie widerrufen worden.

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Von
  • Detlef Borchers

Josef Foschepoth auf dem 30. Chaos Communication Congress in Hamburg.

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Die Bundesrepublik Deutschland ist kein souveräner Staat, auf dessen Territorium das Grundgesetz uneingeschränkt gilt, sagte der Historiker Josef Foschepoth am Samstag auf dem 30C3 im übervollen Hauptsaal des Hamburger Congress Centrums. Ausgehend von der Besatzung Deutschlands durch die vier Siegermächte hätten diese zum Ende des Besatzungsstatutes 1955 die weitgehende Überwachung des Post- und Fernmeldewesens in Geheimvereinbarungen festgeschrieben. Diese Vereinbarungen wurden 1968 mit den Notstandsgesetzen und 1990 mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag modifiziert, ohne jemals abgeschafft worden zu sein Foschepoths Forderung, dass alle sicherheitsrelevanten Gesetz auf den Prüfstand müssen, bekam großen Beifall, ebenso der Ruf nach einer Art Gauck-Behörde für die BRD-Zeit.

Zwischen deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten gibt es seit 1968 ein bestens funktionierendes Joint Venture, bei dem deutsche Stellen als Partner spätestens ab 1968 Überwachungsaufgaben übernahmen, die vorher den Allierten vorbehalten waren. Gleichzeitig bedingte die geopolitische und geostrategische Rolle Deutschlands, dass der Partner im kalten Krieg auch als Angriffsziel der Weltmacht Amerika definiert wurde. Daran soll sich laut Foschepoth nichts geändert haben: Bis heute werde Deutschland politisch, militärisch und wirtschaftlich ausspioniert. Den außerdentlich matten Protest der Bundesregierung gegen die Überwachung des Merkel-Phones wertete Foschepoth als Indiz dafür, dass auch der Kanzlerin die Bedeutung der Geheimabkommen bewusst sei.

"We were able to pin down the Germans on this point."

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Während einer Recherche im Bundesarchiv Koblenz fiel dem Freiburger Historiker zufällig eine Akte namens Postzensur 1951 in die Hände, in der die Geschichte der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs dargestellt wurde. Für die Auswertung der Akte und weiterer Dokumente benötigte Foschepoth eine Sondergenehmigung des Innenministeriums und eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung des Verfassungsschutzes. Er veröffentlichte die Ergebnisse seiner Forschung in dem Buch Überwachtes Deutschland, das mittlerweile in zweiter Auflage erschienen ist: Das brisante Thema interessiert Deutschland, obwohl Foschepoth nur die Bestände der Bundesregierung, nicht die der deutschen Geheimdienste auswerten konnte.

Auf dem 30C3 zeigte Foschepoth anhand historischer Karten, wo und wie der Post- und Fernmeldeverkehr überwacht wurde. Zunächst durch die Alliierten, später durch deutsche Postbeamte, die bei der Überwachung der Post halfen, die in die DDR geschickt wurde. Ausgehend von den peniblen Portoabrechnungen beschlagnahmter Postsendungen rekonstruierte Foschepoth, dass zwischen 1955 und 1972 insgesamt 110 Millionen Briefe ausgewertet wurde. Möglich wurde dies, weil Außenminister Adenauer 1955 nach einigem Widerstand im Vertrag über die Truppenstationierung den Alliierten "Vorbehaltsrechte" garantierte, die die ausländischen Geheimdienste vor der Strafverfolgung schützten. "We were able to pin down the Germans on this point", heißt es in einem von Foschepoth präsentierten Dokument. Später wurden diese Sonderrechte im Zuge der Notstandsgesetze erneuert, aber zugleich auf deutsche Behörden erweitert, die mit dem G10-Gesetz einen Schnüffel-Freibrief bekamen. Foschepoth spielte einen Ausschnitt aus einer Rede des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt vor, die im Ton und Duktus verblüffend den heutigen Beschwichtigungen in der NSA-Affäre ähnelte.

"Wir brauchen für die BRD eine Art Gauck-Behörde".

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Weil diese Vorbehaltsrechte auch mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staatshälften nicht gekündigt wurden, sind in Deutschland einheimische wie befreundete Geheimdienste einer effektiven Kontrolle entzogen, die juristisch gegen Überwachungsmaßnahmen vorgehen könnte, erklärte Foschepoth. Er forderte unter großem Beifall einen Prüfstand, auf dem Abkommen auf ihre Verfassungswidrigkeit hin geprüft werden. Besonders das undemokratische G10-Gesetz müsse revidiert nach einer allgemeinen öffentlichen Diskussion demokratisch legitimiert werden. In der sehr kurzen Fragerunde zu seinem Vortrag berichtete Foschepoth von den immensen Schwierigkeiten, Akteneinsicht bei den Geheimdiensten zu erhalten. "Wir brauchen für die BRD eine Art Gauck-Behörde", die die Aufarbeitung der deutschen Überwachungsgeschichte ermöglicht. Auch dafür gab es großen Beifall. (vbr)