Wikipedias hilfreiche Multisprachler

Die Inhalte des Onlinelexikons sind je nach Sprachfassung oft sehr verschieden. Mehrsprachige Redakteure schaffen Abhilfe.

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  • TR Online

Die Inhalte des Onlinelexikons sind je nach Sprachfassung oft sehr verschieden. Mehrsprachige Redakteure schaffen Abhilfe.

Wikipedia versucht bekanntlich, das Wissen der Welt kostenlos im Internet zugänglich zu machen. Ein oberflächlicher Blick auf die aktuellen Basisdaten zeigt, dass das freie Onlinelexikon dabei ordentlich vorankommt: Die Organisation hat momentan rund 77.000 aktiv Beitragende, die an 22 Millionen Artikeln in 285 Sprachen arbeiten und mit ihren Texten jeden Monat mindestens 500 Millionen eindeutige Besucher erreichen.

Trotz dieser beeindruckenden Zahlen leidet die Wikipedia unter einem subtilen Problem: Es gibt erstaunlich wenig Überschneidungen zwischen den Inhalten der verschiedenen Sprachfassungen des Onlinelexikons. Ergo: Keine Wikipedia-Ausgabe enthält alle Informationen, die in einer anderen Sprachfassung vorhanden sind. Entsprechend befinden sich beispielsweise in der größten Wikipedia, der englischsprachigen, nur 51 Prozent der Artikel der zweitgrößten Ausgabe, der deutschen.

In der Soziologie nennt man dieses Problem "Self-focus Bias" – Projektmitarbeiter konzentrieren sich nur auf einen Bereich, blenden andere dagegen aus. Das sorgt dafür, dass die Inhalte, die Wikipedia bereitstellt, signifikanten Einschränkungen unterliegt. So muss das Onlinelexikon nicht nur daran arbeiten, mehr Wissen abzubilden, sondern leidet auch darunter, dass die eigenen Artikel nur bruchstückhaft in allen Sprachen vorhanden sind.

Der Computerwissenschaftler Scott Hale von der University of Oxford sieht eine Chance, wie sich das Problem beheben ließe. Wie er in einer aktuellen Studie zu der Problematik schreibt, sind Multisprachler von zentraler Bedeutung. "Nutzer, die mehrere Sprachen beherrschen, könnten eine wichtige Funktion übernehmen, Informationen über die verschiedenen Versionen des Onlinelexikons zu verteilen", sagt er.

Um das zu untermauern, hat der Computerwissenschaftler untersucht, welche Rolle die Multisprachler heute schon bei der Wikipedia spielen. Aktuell handele es sich nur um eine vergleichsweise kleine Gruppe, doch die sei eine wichtige Minderheit. Sie sorge für eine Reduktion des Self-focus Bias in jeder Ausgabe.

Hale untersuchte dazu die Edits, also die an Artikeln vorgenommenen Veränderungen, zwischen dem 8. Juli und 9. August letzten Jahres. Kleinere Veränderungen verwarf er dabei – ebenso solche, die von Textrobotern und nichtregistrierten Nutzern durchgeführt wurden. Das Ergebnis waren schließlich 3,5 Millionen bedeutende Überarbeitungen von 55.000 Beitragenden.

Hale suchte dann nach jenen Wikipedia-Aktiven, die in mehr als einer Sprachausgabe mitmachten. Diese Gruppe bestand nur noch aus 8000 Personen, was knapp 15 Prozent entspricht. Diese Multisprachler untersuchte Hale dann weiter.

Es zeigte sich, dass einige Wikipedia-Ausgaben über mehr Multisprachler verfügen als andere. Insbesondere kleinere Sprachversionen sind darunter. Die Varianten in Esperanto und Malaiisch hatten den höchsten Anteil, die japanische Wikipedia trotz ihrer Größe deutlich weniger Multisprachler. Wer nur bei einer Sprachversion mitmacht, ist laut Hale zudem grundsätzlich inaktiver: Mehrsprachige Mitarbeiter führten im Schnitt 2,3 Mal mehr Edits durch.

Ebenfalls interessant: Fast die Hälfte der Artikel, die Multisprachler ergänzten, werden von einsprachigen Wikipedia-Beitragenden nicht mehr editiert. Multisprachler tendieren zudem dazu, den gleichen Artikel in mehreren Sprachen zu bearbeiten. Das ist deshalb wichtig, weil es zeigt, dass sie gute neue Artikel von Wikipedia-Ausgabe zu Wikipedia-Ausgabe weitertragen.

"Dieses Ergebnis legt nahe, dass mehrsprachige Nutzer wertvolle Beiträge leisten, die einsprachige Nutzer nicht abliefern. In vielen Fällen arbeiten Multisprachler am gleichen Artikel in mehreren Sprachen", sagt Hale. Insgesamt spielten diese Nutzer eine zunehmend wichtige Rolle. Hale legt den Wikipedia-Organisatoren deshalb nahe, gezielt nach solchen Beitragenden zu suchen. ()