Telefónica O2 und E-Plus: Ein Plädoyer für die Übernahme
Ein auf nur drei Mitspieler schrumpfender Mobilmarkt muss noch keine Schwächung des Wettbewerbs bedeuten. Deutlich ungleiche Frequenzspektren könnten für Spannung unter den Mitspielern sorgen – und das Gigabit-Mobilfunknetz in Reichweite bringen.
Die Kartellwächter schauen mit Argusaugen auf die geplante Übernahme von E-Plus durch Telefónica O2. Erste Vorbehalte gegen den Mega-Deal sind auch schon publik geworden: Der Mobilfunkriese, der nach der Übernahme von E-Plus entstünde, könnte zu einer für Netzbetreiber angenehmen, für Kunden jedoch unangenehmen Patt-Situation zwischen Telefónica (mit seiner Marke O2), Telekom und Vodafone führen.
Denn, so die Annahme der EU-Kommission, wenn ein vierter Wettbewerber fehle, das habe sich auf anderen Märkten gezeigt, legen die drei übrigen keinen besonderen Wert mehr auf Zugewinn an Marktanteilen. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, die drei würden nach Beseitigung einer bedeutenden Wettbewerbskraft friedlich koexistieren und kaum noch in wirklichen Wettbewerb mit Preiskämpfen und Innovationen treten. Langfristig könnten sogar höhere Preise die Folge sein.
Das Szenario nimmt aber drei gleichwertige Schwergewichte an. Die Bundesnetzagentur könnte dem Deal zustimmen, aber nur wenn Telefónica und E-Plus nach dem Zusammenschluss Teile ihres Frequenzspektrums abgeben. Gemeinsam haben sie nach aktueller Lage rund 130 MHz über die diversen Bänder verteilt. Das scheint der Bundesnetzagentur zu viel, Überzähliges sollen die beiden für etwaige Newcomer parken, damit nach der Übernahme die drei verbliebenen Wettbewerber, Telefónica, Telekom und Vodafone, pari sind. Vodafone hat derzeit rund 60 MHz, die Telekom immerhin rund 70 MHz.
Bandbreitenverdoppelung als neues Schwungrad
Doch die Wertschöpfungskette der Mobilfunknetzbetreiber beginnt mit dem Frequenzspektrum. Die Aussichten für gute Geschäfte hängen wesentlich von der Spektrumbreite ab. Grob vereinfacht kann man sagen: Je mehr Spektrum, desto höhere Datenraten, desto mehr Raum für attraktive Tarifoptionen. 130 MHz Spektrumbreite – mit dem Pfund ließe sich wuchern: Bei gleicher Zahl an Basisstationen könnte der neue Mobilfunkriese rund doppelt so viel Bandbreite bereitstellen wie die Konkurrenz. So könnte Telefónica beispielsweise mit schnelleren LTE-Angeboten vorpreschen und auch starken Kundenzulauf angemessen bedienen.
Betreiber, die hingegen ähnlich breite Spektren haben, können sich auf diesem Wege kaum voneinander differenzieren. Es bleiben zwar immer noch wichtige Merkmale, aber viele davon sind weich – Unterschiede lassen sich im Laufe der Zeit ausgleichen. Das gilt etwa für die Flächendeckung, die Kernnetze, Service-Qualität oder auch das Diensteangebot. Die Flächendeckung und die Service-Qualität lassen sich nach und nach verbessern und das Diensteangebot gestalten maßgeblich die Zulieferer mit der Ausgestaltung ihrer Netzwerkkomponenten, sodass keiner dieser Punkte dauerhaft unterschiedliche Bedingungen schafft.
Aber erst die unterschiedlichen Bedingungen führen zu Spannungen und damit zu Bewegungen der Protagonisten. Würde Telefónica das E-Plus-Spektrum behalten, hätte das Unternehmen Raum für individuelle Dienst- und Tarifgestaltung. So wären die Chancen höher, dass Telefónica die Telekom und Vodafone unter Druck setzt, als bei annähernd gleicher Spektrumausstattung. Der Wettbewerb, den bisher oft E-Plus befeuert hat, wäre trotz nur dreier Mitspieler weiter in Gang – aber mit geänderten Rollen: Telekom und Vodafone wären die Verfolger, die beispielsweise wie zuvor E-Plus mit aggressiver Preisgestaltung antworten. Oder sie könnten zum wie Beispiel Telstra in Australien mehr Kraft in die schnelle Implementierung von neuen Techniken legen, die die Bandbreite erhöhen. Auf heute übertragen: Eher mit LTE-Advanced anfangen als Telefónica.
Mitgift für das Gigabit-Mobilfunknetz
Für ein breiteres Spektrum als heute spricht auch ein wenig beachteter Teil der LTE-Spezifikationen: Während das aktuell eingesetzte LTE gemäß Release 8 die Breite der Träger auf maximal 20 MHz festnagelt und so brutto maximal 150 MBit/s liefert, darf eine Basisstation gemäß LTE Release 10 (LTE-Advanced) bis zu 100 MHz für die Übetragung nutzen (bis zu fünf 20-MHz-Träger). So wird aus LTE-Advanced ein Gigabit-Mobilfunknetz.
Bisher hat jedoch keiner der Betreiber 100 MHz zur Verfügung. Es steht zwar im Raum, Teile des 700-MHz-Bands von der aktuellen Zuteilung für das Fernsehen auszunehmen und den Mobilfunkern zuzuschlagen, aber das ist ein langwieriger Prozess mit unklarem Ausgang. Telefónica könnte diese Mitgift hingegen schon umgehend von den Kartellbehörden bekommen. Mit dem dicken Frequenzpolster wäre es auch leichter, die unzusammenhängenden Spektren in den verschiedenen Bändern umzuwidmen, ohne die Dienstequalität zu beeinträchtigen (Spektrum Refarming, Umzug von zum Beispiel GSM-Geräten in weniger attraktive Bänder zu Gunsten von schnellen LTE-Geräten in den breiten Bändern).
Natürlich wäre ein starker Gigabit-Mobilfunkbetreiber der bestdenkbare Fall. Vorstellbar ist ebenso, dass sich Telefónica mit der Verdauung der E-Plus-Einzelteile schwer tut und auf Jahre hinaus damit beschäftigt ist, sie einzugliedern. Die beiden Netze müssen an vielen Stellen neu konfiguriert und umgebaut werden, alte und überzählige Netzelemente müssen raus, ohne das gesamte Gefüge zu gefährden. Das dauert und kostet. Ein Mobilfunknetzbetreiber im Verdauungsschlaf bringt aber die anderen beiden nicht auf Trab.
Netzbetreiber im Verdauungsschlaf
Telefónica beziehungsweise O2 hat aber zumindest bisher eine erfolgreiche Strategie betrieben. Als letzter Starter im Feld, damals noch unter dem Namen Viag Interkom, hat es das Unternehmen über die Jahre geschafft, die Flächendeckungsnachteile spürbar zu mildern (anfangs noch über das nationale Roaming mittels der Telekom-Basisstationen). Und zuletzt gelang es mit der Kraft der spanischen Mutter, E-Plus zu überholen.
Die obersten Wettbewerbshüter Europas werden bei der Prüfung einige Bleistifte abkauen. Aber sie sind den politischen Entscheidern, die mit der Telekom und deren Wertschöpfungskette verbunden sind, zumindest räumlich nicht so nahe wie das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur. Zwar haben Vertreter der EU-Kommission auch schon erhebliche Zweifel an der Übernahme geäußert, aber es gibt auch in Brüssel Befürworter und womöglich sogar solche, die ein dickes Frequenzpolster gutheißen. Neelie Kroes, für die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin, hat erst kürzlich gesagt, dass sie die Frequenzvergabe gemessen an den schnell steigenden Anforderungen der Nutzer nicht angemessen findet. Ein Zusammenschluss mit großem Spektrum würde zumindest in Deutschland die Bremse lösen.
Den Platzhirschen die Stirn bieten
Kroes hat sich zwar auf die Regulierung im 700-MHz-Band bezogen, das in Europa bisher für das analoge und digitale TV in Verwendung ist. Aber beim Vergleich der Kundenzahlen und der Frequenzspektren der vier Mobilfunkbetreiber kommt heraus, dass ein Teil derzeit brach liegen muss. E-Plus und Telefónica haben nur zusammen etwa so viele Kunden angelockt wie Telekom und Vodafone, bei annähernd gleichen Spektren.
Als wesentlicher Grund dafür wird angesehen, dass Telefónica und E-Plus einzeln zu klein sind für große Investitionen, die die Netzqualität auf das Niveau der beiden Platzhirsche heben würden. Beispielsweise starteten die Telekom und Vodafone ihren LTE-Ausbau kurz nach der Frequenauktion bereits im Jahr 2010. E-Plus kann mit dem LTE-Ausbau aber erst im März 2014 starten – es mangelt an wirtschaftlichen Ressourcen an allen Ecken und Enden. Zusammengelegt mit Telefónica könnte sich das Blatt wenden.
Siehe dazu auch:
- Bundeskartellamt will die E-Plus-Übernahme weiter prüfen
- EU-Kommission hat Bedenken gegen E-Plus-Übernahme durch Telefonica O2
- Neuer Mobilfunkriese O2+ mischt den Markt auf
(dz)