Interview Gesche Jäger: Auf der Suche nach dem Vater

Gibt es sie wirklich, die neuen Väter, die sich von der Rolle des Alleinernährers und Feierabend-Daddys verabschieden? Die Fotografin Gesche Jäger hat in ihrem Bildband "Väterland" elf Männer jenseits des Rollenklischees porträtiert.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christoph Twickel

Nach ihrer Ausbildung zur Fotografin, einer Weiterbildung im Bereich Mediendesign und dem Studium der Fotografie arbeitete Gesche Jäger zunächst als freie Fotografin in Bielefeld. Seit 2010 lebt und arbeitet sie in Hamburg. Seit 2011 ist Jäger außerdem Mitglied der Fotoagentur laif. Christoph Twickel hat sie für seen.by im September 2013 getroffen.

Frau Jäger, im unlängst erschienenen Bildband "Väterland" porträtieren Sie elf sehr unterschiedliche Väter – vom Daddy mit acht Kindern bis zum Samenspender, der gar nicht weiß, wie viele Kinder er gezeugt hat. Ihr erstes Fotobuch handelte von männlichen Singles in frauenarmen Gegenden Ostdeutschlands. Sie interessieren sich offenbar für Männer in Extremsituationen.

Gesche Jäger: Ich befasse mich gern mit Themen, an denen sich der gesellschaftliche Wandel aufzeigen lässt. Bei "Väterland" wollte ich herausfinden, wie sich die Rolle des Mannes in der Familie verändert hat.

Haben Sie gezielt Männer ausgewählt, die sich ihrer Vaterrolle besonders bewusst sind?

Jäger: Ich habe vielleicht 50 Väter angesprochen, und natürlich haben eher die mitgemacht, die sich gerne zeigen und zufrieden sind mit ihrer Rolle. Dadurch entsteht sicher ein besonderes Bild.

Gab es Leute, die Sie ĂĽberreden mussten?

Jäger: Der Samenspender war ein heikler Fall – seine Familie und sein Freundeskreis wissen nicht, dass er das tut. Und auf den geistig behinderten Vater musste ich gezielt zugehen, der wäre nicht auf mich zugekommen.

Was möchten Sie an seinem Beispiel zeigen?

Jäger: Noch in den Neunzigern hat man geistig behinderten Frauen dazu geraten, sich sterilisieren zu lassen. Es ist eine relativ neue Entwicklung, dass Menschen mit Behinderung auch Eltern sind. Der Vater, den ich porträtiert habe, arbeitet in einem integrativen Sozialsupermarkt, er wohnt allein in einer Hamburger Großsiedlung – und wenn der Sohn bei ihm ist, kommt auch eine Betreuerin.

Auf einigen der Bilder präsentieren sich die Väter – andere scheinen im Alltag entstanden zu sein. Wie haben Sie gearbeitet?

Jäger: Die Idee war, jeweils ein Motiv zu zeigen, auf dem sich die Väter mit ihrer Familie vor der Kamera präsentieren. Alle anderen Fotos sind ungestellt im Alltag der Familie entstanden. Ich habe die Väter und ihre Familien jeweils ungefähr eine Woche lang begleitet. Die Texte zum Buch hat dann der Journalist Jochen Brenner geschrieben. Es ging uns darum, ein Zeitdokument zu schaffen - ein Buch, das man sich in 30 oder 40 Jahren wieder anschauen und daran ermessen kann, was sich verändert hat.

Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Ihrem Vater gemacht?

Jäger: Ich bin Scheidungskind, meine Eltern haben sich getrennt, als ich zwei Jahre alt war. Am Wochenende habe ich meinen Vater regelmäßig gesehen – aber im Großen und Ganzen hat er sich rausgehalten. Vielleicht war die nur spärliche Anwesenheit meines eigenen Vaters ein Motiv, mehr über die sogenannte neuen Väter herausfinden zu wollen. Ich wollte sehen, auf welcher Ebene sie sich engagieren – und warum sie das tun: Weil man es von ihnen erwartet, oder weil sie es wollen? Oder treffe ich doch zu achtzig Prozent auf die traditionelle Rollenverteilung?

Ihr ResĂĽmee?

Jäger: Der neue Vater entpuppt sich erst. Die Rollenmuster sind resistenter als gedacht, und ihre Auflösung gelingt nicht von heute auf morgen. In einem Drittel aller Familien herrscht noch immer das klassische Familienmodell: Der Vater ernährt die Familie, die Mutter hütet Kinder und Haushalt. (keh)