DLD: Recht auf Wissen kontra Privatsphäre

Normalerweise kümmert sich die Konferenz Digital Life Design um die schöne neue digitale Welt und den lukrativen Cyberspace. Doch zum Schluss rückte wieder das Thema Überwachung in den Mittelpunkt.

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Von
  • Detlef Borchers

Zum Schluss der Münchener Konferenz Digital Life Design (DLD) rückte das Thema noch einmal in den Mittelpunkt, das die gesamte Veranstaltung prägte: die Überwachung der Kommunikation durch US-Geheimdienste. Anke Domscheit-Berg, in der DDR aufgewachsene Europawahl-Kandidatin der Piratenpartei, verglich im Gespräch mit Jeff Jarvis die Überwachungstendenzen mit ihren Erfahrungen der Stasi-Überwachung, der EFF-Gründer John Perry Barlow schwelgte in Erinnerungen an frühere Auseinandersetzungen mit der CIA und bekannte: "Ich kann damit leben, dass ich keine Privatsphäre habe, wenn ich im Gegenzug ganz genau weiß, was sie mit den über mich gesammelten Daten machen." Mit "sie" meinte er NSA, CIA, die Unterhaltungsindustrie und viele andere Organisationen.

Üblicherweise ist die DLD eine Konferenz über die schöne neue digitale Welt, auf der ein heiles Bild vom – für Investoren – lukrativen Cyberspace präsentiert wird, gemischt mit Ausflügen in die Kunst und die Wissenschaft. Wie sehr das Bild gestört ist, zeigte eine Diskussionsrunde über Big Data, in der Amazons Vertreter Werner Vogels erst einmal beteuern musste, dass sein Konzern nichts mit Prism oder anderen US-Programmen zu tun hat. Der für Cloud-Technik zuständige Manager nahm eine Aufforderung des CCC-Sprechers Frank Rieger auf und meinte, dass in drei bis fünf jahren die durchweg verschlüsselte Kommunikation im Internet Standard sein könnte.

Kurz vor dem Schluss erzählte Anke Domscheit-Berg in einer Art Werbeeinlage für ihr dieser Tage erscheinendes Buch Mauern einreißen!, wie sie den Fall der Mauer erlebte. Als mit der DDR der Staat unterging, der ihre Telefonkommunikation überwachte, das Studentenwohnheim durchsuchte und gefälschte Post verschickte, fand sie den Mut zum Handeln. Wenn ähnliche Aktionen mit moderner Technik in einem Staat eingesetzt würde, sei dieser auf den Weg in ein totalitäres Regime. Domscheit-Berg erwähnte zwei von ihr gestartete Petitionen, die von deutschen Bürgern nur deswegen nicht mitunterzeichnet wurden, weil sie in Zukunft planten, in die USA zu reisen.

Den Einwand von Jeff Jarvis – der sich als US-Amerikaner auf dem DLD zum zweiten Mal für sein Land entschuldigte –, es fehle einfach nur an einer strengen, demokratisch kontrollierten Aufsicht über die NSA, wollte Domscheit-Berg nicht gelten lassen. Sie verglich die US-Überwachung mit dem Foltern, das auch für die beste Sache der Welt nicht erlaubt sein dürfe. Die Zuhörer forderte sie dazu auf, das NSA-Thema in die Familien zu tragen. "Es ist vielleicht noch nicht zu spät, die Demokratie zu retten", die aktivistisch veranlagten dazu, am Fight Back Day zur Erinnerung an Aaron Swartz auf die Straße zu gehen.

John Perry Barlow bedauerte zunächst, dass Edward Snowden und Julian Assange als wichtigste Personen des Informationsbefreiungskrieges nicht in München auftreten konnten. Der Gründer der EFF und der Freedom of the Press Foundation stellte sich als einfacher Cowboy aus Wyoming vor. In dem Kaff, in dem er früher lebte, wusste jeder alles über jeden, hielt sich aber an den unausgesprochenen Pakt, nichts zu Verraten. "Wir haben keinen Pakt mit NSA, CIA oder MPAA, wir fordern ein Recht auf Wissen, was alles im Geheimen gespeichert wird." Für dieses Recht würde er auf seine Privatsphäre verzichten wollen, bekannte Barlow. Auf seine auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum vorgetragene Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace ging er nur am Rande ein, schließlich sei sie für ein anderes Internet gedacht gewesen. Wie es heute aussieht, beschrieb er drastisch mit den Worten: "Wir hinterlassen eine digitale Schleimspur im Netz." Für seine frei vorgetragene Rede bekam der gestiefelte Cowboy lang anhaltenden Beifall. (anw)