Geheimdienstexperte: Russischer FSB überwacht wie die NSA

Mit einem direkten Spionagezugriff auf Server verfolge die NSA das gleiche Prinzip wie das russische Abhörsystem SORM, erklärte der Journalist Andrej Soldatow vor EU-Abgeordneten.

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Mit einem Teil des Spionageprogramms PRISM zum Direktzugriff auf Server und Router verfolgt die NSA das gleiche Prinzip wie das russische Abhörsystem SORM. Das erklärte der russische Journalist und Geheimdienstexperte Andrej Soldatow am heutigen Mittwoch in einer Anhörung des NSA-Untersuchungsgremiums des EU-Parlaments, zu der er per Videokonferenz aus Moskau zugeschaltet war. In beiden Fällen gehe es darum, Datenpakete gleich beim Zugangsanbieter mit einer Black Box abzufangen und aus der Ferne analysieren zu können.

In der Sowjetunion sei dieses – in die normalen Leitungen von Telekommunikationsanbietern eingebaute – System ursprünglich in den 1980ern vom Geheimdienst KGB entwickelt worden, führte Soldatow aus. Seine Wurzeln lägen so in einem "totalitären Staat". Der KGB-Nachfolger FSB habe SORM nach 2000 dann für neue technische Entwicklungen wie Skype angepasst. Theoretisch brauche ein Agent einen Gerichtsbeschluss, um einen Nutzer überwachen zu dürfen. Der müsse dem Techniker beim Provider aber nur einmal gezeigt werden. Der Anbieter dürfe danach nicht wissen, wer letztlich bespitzelt werde.

Andrej Soldatow während der Befragung

Soldatow wollte nicht behaupten, dass sich die NSA bei der Konzeption von PRISM von den Russen habe "inspirieren" lassen. Fakt sei aber, dass die Methode der Russen und der US-Amerikaner "effektiver" sei als die in vielen westeuropäischen Ländern übliche Ausleitung einzelner Telekommunikationsverkehre. "Man braucht letztlich den Betreiber und das Gericht nicht", meinte Soldatow. Im Kern gehe es um die Fernkontrolle der wichtigsten Bestandteile der Internetinfrastruktur eines Landes.

Vom Ausmaß her seien SORM und PRISM aber recht unterschiedlich, erläuterte Soldatow. So genieße die NSA den Vorteil, dass viele Onliner weltweit große US-amerikanische Internetdienste wie Google oder Facebook nutzten. Kaum jemand außerhalb des russischen Territoriums verwende dagegen etwa ein soziales Netzwerk des Landes. Die Optionen des FSB, Bürger anderer Staaten auszuspionieren, seien so begrenzt. Die Ausnahme bildeten andere frühere Sowjetländer wie die Ukraine, Weißrussland, Usbekistan oder Kasachstan, die die russische SORM-Gesetzgebung und die Überwachungsanlagen "kopiert" hätten.

Parallel versucht der FSB Soldatow zufolge verstärkt westliche Provider und Diensteanbieter zur Kooperation zu zwingen, wenn sie auf den russischen Markt wollen. Dies gehe soweit, dass diese auch kryptographische Vorkehrungen offenlegen oder ihre Angebote in Russland hosten müssten. Damit habe der Geheimdienst bei einzelnen Internetfirmen mehr oder weniger großen Erfolg. Über die Fähigkeiten des FSB, ausländische Spitzenpolitiker auszuspionieren, sei dagegen noch wenig bekannt. Hier fehle es schlicht an Faktenwissen.

Olympische Winterspiele in Sotschi: Die Chance für den FSB

(Bild: dpa)

Klar sei dagegen, dass während der Olympischen Winterspiele in Sotschi die gesamte Kommunikation auch ausländischer Besucher über russische Netze laufe und damit "vollständig durchsichtig ist für den FSB". EU-Innenpolitiker wunderten sich in diesem Zusammenhang vor allem darüber, dass es aus dem Ausland noch keine Proteste gegen die dreijährige Vorratsdatenspeicherung der dabei anfallenden Verbindungs- und Standortinformationen gegeben habe, die Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew im November angeordnet hat.

SORM und der FSB generell unterlägen praktisch keinerlei demokratischer Kontrolle, gab Soldatow weiter zu Protokoll. Ein parlamentarischer Geheimdienstausschuss existiere zwar. Dessen Vorsitzender habe aber eingeräumt, dass den Mitgliedern die Hände gebunden seien. Selbst der KGB habe noch weniger Spielraum gehabt, da ihm zumindest die Kommunistische Partei auf die Finger geschaut habe. Die öffentliche Meinung in Russland sei auch noch nicht "reif" dafür, umfassende Veränderungen des Geheimdienstsystems zu fordern: So rufe die Masse nach jedem größeren Terroranschlag nach strengeren staatlichen Maßnahmen wie Strafen auch für Verwandte von Selbstmordattentätern.

Den NSA-Whistleblower Edward Snowden, der noch bis zum Sommer Asyl in Russland genießt, hat Soldatow nach eigenen Angaben noch nicht getroffen. "Er lebt in einer geschützten Umgebung", erklärte der Experte. Er kenne auch keinen russischen Journalisten, der mit ihm bereits Kontakt gehabt hätte. Bekannt sei aber, dass Snowdens russischer Rechtsbeistand traditionell eng mit dem FSB zusammenarbeite. (mho)