Eintauchen ins 3D-Entertainment

Das Start-up Avegant entwickelt eine Datenbrille, die mit einer eigenen Projektionstechnik brillante Bilder erzeugt - und von Brillenträgern auch ohne Brille genutzt werden kann.

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Von
  • Rachel Metz

Das Start-up Avegant entwickelt eine Datenbrille, die mit einer eigenen Projektionstechnik brillante Bilder erzeugt - und von Brillenträgern auch ohne Brille genutzt werden kann.

Eine Qualle treibt faul an mir vorbei und wirbelt mit ihrem an- und abschwellenden Körper Teilchen im Wasser auf, als eine Seeschildkröte auftaucht und anfängt, die Tentakel der Qualle anzuknabbern. Während ich zuschaue, bleibe ich pulvertrocken. Denn ich bin nicht unter Wasser, sondern in einer 3D-Welt, in die ich mittels der Datenbrille Glyph hineinsehe.

Glyph sieht von außen ein wenig futuristisch aus, mit diesem riesigen Bügel, der vor den Augen liegt und in zwei dicken Kopfhörerschalen endet. Auf der Innenseite der Brille werden mir Bilder auf die Netzhaut projiziert, die den Eindruck eines 80-Zoll-Fernsehbildes in drei Meter Entfernung vermitteln. Und so real wirken, dass ich spontan „Oh, nein, nicht fressen“ rufe, als die Schildkröte in der Szene sich über die Qualle hermacht.

Das Büro, in dem ich Glyph teste, ist weniger aufregend als die Unterwasserwelt in der Datenbrille. Es gehört Avegant, einem Start-up in Mountain View im Silicon Valley, das vor einem Jahr mit der Entwicklung von Glyph begann. Mit dem Gerät lassen sich 3D- und herkömmliche Videos schauen oder Computerspiele spielen. Nachfolgemodelle sollen mit einem Tracking der Kopfbewegung ausgestattet sein, so dass man über die Brille dann voll in Szenen eintauchen kann und sich dabei 360 Grad um sich selbst drehen kann.

An der Kickstarter-Kampagne von Avegant beteiligten sich knapp 1500 Personen, denen Glyph mindestens 499 Dollar wert war. Dadurch konnte das Start-up dreimal so viel Geld einwerben wie ursprünglich geplant. Ende des Jahres will Avegant an die Finanziers die ersten fertigen Geräte ausliefern.

Was hat Glyph, dass sich so viele Leute dafür begeistern? Die Firma vermutet, dass es an der Projektionsmethode liegt, die ein schärferes und auch leichter zu betrachtendes Bild erzeugt als Konkurrenzprodukte wie Oculus Rift. Die arbeiten mit kleinen Displays, während in der Glyph das Bild über Spiegel und Linsen auf die Netzhaut projiziert wird. Dieses Verfahren erzeugt eine Raumtiefe im Bild, die sich gut für 3D-Inhalte eignet.

Als ich fĂĽr den Test zum BĂĽro von Avegant fuhr, war ich noch skeptisch. Ich hatte nie ein 3D-Demo von vergleichbaren Anwendungen gesehen, das mich wirklich gepackt hatte. Doch mit Glyph war das anders.

Yobie Benjamin, der Software-Verantwortliche bei Avegant, zeigt mir im Konferenzraum zwei Modelle: ein altes ohne Kopfhörer und das neue mit den riesigen Kopfhörerschalen. Benjamin hilft mir zuerst, das alte Modell aufzusetzen, das noch aus dünnen Plastikstreben besteht und auf dem Kopf festgehalten wird. Die Stromversorgung übernimmt eine graue Box von der Größe eines Toasters, an die das Gerät angeschlossen wird. In dem Modell, das auf den Markt kommt, solle die Batterie im Gestell des Gerätes verschwinden und genug Strom für drei bis vier Stunden Laufzeit liefern, sagt Benjamin.

Zuerst bekomme ich eine Action-Szene in 3D aus dem Kinofilm Avatar vorgeführt. Die Daten kommen von einem Laptop über eine HDMI-Schnittstelle, die auch mit Smartphones und Tablet-Rechnern zusammenpasst. Das Bild erscheint durch einen schwarzen Rahmen begrenzt, aber die Na’vis, die blauhäutigen Aliens in dem Film, fliegen an mir vorbei, ohne dass die Bewegung ruckelt, die Farben sich verändern oder Bildobjekte sich verdoppeln – was ich in anderen Tests mit 3D-Inhalten immer wieder erlebt habe. Einige Aufnahmen sind etwas pixelig, aber Benjamin versichert mir, dass dieser Fehler von der Datei komme und nicht vom Gerät.

Das Unterwasser-Video, das dann folgt, ist ähnlich fesselnd. Ein Clownfisch und Korallen, die Qualle und die Meeresschildkröte, sie alle erscheinen in leuchtenden Farben, überaus lebendig. Glyph erzeugt diesen Eindruck, indem Licht aus einer LED-Quelle über eine Anordnung aus zwei Millionen winzigen Spiegeln auf eine Linse gelenkt wird. Die fokussiert das Licht dann auf die Netzhaut. Die Bildqualität ist dadurch viel höher als bei Display-Lösungen.

Durch die Linsenfokussierung kann ich Glyph auch ohne meine obligatorische Brille nutzen. Der Fokus lässt sich für jede Pupille einzeln justieren. So erscheint dann eine gestochen scharfes Bild vor mir – ohne Brille, die ich eigentlich in jeder Lebenslage tragen muss. Ich bin sprachlos.

Der zweite Prototyp der Glyph, firmenintern als "Formfaktor Alpha" bezeichnet, wiegt noch stolze 850 Gramm.

Dann wechsele ich zu dem neueren Modell, das Benjamin als „Formfaktor Alpha“ bezeichnet. Der Vorteil an dessen Design ist, dass man es wie einen normalen Kopfhörer auf dem Kopf tragen kann, wenn man keine Bilder ansehen will. Man muss einfach nur den Projektorbügel nach oben schieben. Die großen Kopfhörerschalen sind auch dafür da, Hintergrundlärm wegzufiltern.

Mein nächster Test ist ein Clip aus dem Film The Hunger Games, den ich von Netflix über mein Nexus-5-Smartphone in die Datenbrille streamen lasse. Bild und Ton sind exzellent. Obwohl es sich nur um die normale 2D-Fassung handelt, fühle ich mich in kürzester Zeit von der Außenwelt getrennt. Mit einem Rad kann ich an einer der Kopfhörerschalen die Lautstärke regeln.

Der Spaß wird noch größer, als ich ein Rennspiel starte. Den Wagen steuere ich, indem ich mein Smartphone hin und her bewege. Weil die Glyph einen Spalt zwischen Projektor und Auge lässt, kann ich meinen Blick zwischen Spiel und Smartphone hin- und herwenden, wenn nötig.

Das größte Problem, dass ich mit der Glyph habe, ist, dass sie zu schwer ist. Beim Rennspiel etwa muss Yobie Benjamin die Brille für mich festhalten, damit ich beide Hände frei habe. Der „Formfaktor Alpha“ bringt noch 850 Gramm auf die Waage. Das finale Modell soll nur noch die Hälfte wiegen, so Benjamin. Das ist zwar immer noch nicht richtig leicht, aber mit einem zusätzlichen Halteriemen sollte es keine Probleme geben.

Wenn beim Gewicht abgespeckt wird, kann das vielleicht auch dem Design zugute kommen. Im Moment sieht das Modell wie ein überdimensionierter Kopfhörer für Hiphopper aus. Wenn man den Projektorbügel vor den Augen hat, kommt man sich wiederum wie Robocop vor. Das ist auf einem Langstreckenflug egal, aber ich würde mich sehr schwer damit tun, so etwas in der U-Bahn zu tragen. Selbst wenn Avegant die Glyph deutlich leichter und eleganter macht – der Preis von 499 Dollar erfordert schon Überzeugungsarbeit. Die wird härter sein als die ganze Entwicklungsarbeit, in der Benjamin und seine Kollegen gerade stecken.

(nbo)