Kernel-Log: Rauhe Sitten unter Kernel-Entwicklern, Kernel-based Modesetting schreitet voran

Andrew Morton mahnt zu mehr Freundlichkeit auf der Kernel-Mailinglist; der Kernel soll bald mehr Aufgaben bei der Grafikausgabe übernehmen, was einen "Blue-penguin of death" möglich macht; Linus Torvalds veröffentlichte derweil 2.6.26-rc3.

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Von
  • Thorsten Leemhuis

Dass langjährige Kernel-Hacker auf der Linux Kernel Mailing List (LKML) teilweise sehr deutlich und schonungslos Kritik an Patches anderer Entwickler äußern, ist nichts Neues – Andrew Morton scheint das aber mehr und mehr ein Dorn im Auge zu sein, da er andere Kernel-Hacker in letzter Zeit ab und an etwas zurückpfiff. Vor Kurzem traf es den für seine Direktheit bekannten Al Viro, nachdem der sich unverblümt über einen trivialen Patch äußerte, der ausschließlich einige stilistische Änderungen (Korrektur an Einrückungen im Quellcode) durchführte. Andrew Morton stellte daraufhin klar, dass Al Viro ausschließlich für sich spreche; ironisch bedankte sich Morton ferner für die wunderbare Art, neue Mitstreiter anzuspornen.

Daraus entwickelte sich eine längere Diskussion, in der Morton und andere angesehene Kernel-Hacker ihre Standpunkte näher erläuterten. Morton erwähnte dabei, dass wohl insbesondere Entwickler aus einigen asiatischen Ländern besorgt darüber sind, wie sie und ihre Patches in aller Öffentlichkeit von den Kernel-Entwicklern empfangen werden. Das sei mit ein Grund, warum manche Programmierer ihre Entwicklungen erst gar nicht zur Aufnahme in den offiziellen Kernel übermitteln.

Verschiedene Kernel- und X-Entwickler arbeiten derweil weiter an den erstmals während der 2.6.22-Entwicklung auf der LKML diskutierten Patches, durch die der Linux-Kernel zentrale Aufgaben bei der Grafikkarten-Initialisierung und der Bildschirmansteuerung übernimmt ("Kernel-based Modesetting"). Das soll den Zugriff auf die Grafikkarte einheitlich regeln, bei dem sich derzeit Framebuffer-Treiber, Direct Rendering Manager und X-Server gelegentlich ins Gehege kommen. Zudem soll der X-Server ohne Root-Rechte laufen können und der Standby besser funktionieren, da der Kernel die Grafikchips durch diese Erweiterung nach dem Standby besser initialisieren kann. Auch das Umschalten zwischen Text-Konsole und X-Server soll deutlich flotter und ohne Bildaussetzer funktionieren.

Das kürzlich vorgestellte Fedora 9 enthält diese Erweiterungen und einen darauf abgestimmten X-Server bereits – das Ganze ist aber bislang nur experimentell und funktioniert nur mit neueren Mainboard-Grafikchipsätzen von Intel. In den offiziellen Kernel sollen die Patches wohl mit 2.6.27 oder 2.6.28 einziehen, so die Entwickler das Ganze in den Griff bekommen – ursprünglich hatte das Ganze bereits jetzt fertig sein sollen. Auf der Kernel-Mailingliste hat Jesse Barnes nun einen auf Kernel-based Modesetting aufbauenden Patch vorgestellt, durch den der Kernel bei einem schwerwiegenden Fehler ("Ooops") auf die Text-Konsole zurückschaltet, um Debug-Ausgaben anzuzeigen – bislang friert die grafische Oberfläche bei einem Fehler schlicht ein, und außer dem Blinken der Tastatur-LEDs erhält der Anwender kein Informationen, was eigentlich passiert ist. Es ist derzeit allerdings unbekannt, ob die Kernel-Entwickler die Fehlerausgabe wie vor einem Jahr gewitzelt auf einem blauen Hintergrund anzeigen wollen, um analog zum Blue Screen of Death von Windows einen Blue Penguin of death zu etablieren.

Bei der Veröffentlichung der dritten Vorabversion von Linux 2.6.26 stellte Linus Torvalds derweil fest, dass er für die Verwaltung der Linux-Quellen nun Git ungefähr ebenso lange nutzt wie zuvor das kommerzielle Quellcode-Verwaltungssystem BitKeeper. Dem hatte Torvalds Anfang 2005 nach einigem Hickhack den Rücken gekehrt und Git gestartet. Das Verwaltungswerkzeug bleibt trotz zahlreicher Verbesserungen in den vergangenen Jahren als schwierig zu benutzen verschrien. Auch so manche Kernel-Hacker haben mit Git und dem Vereinen der verschiedenen Entwicklungszweige ihre liebe Mühe – erst vor Kurzem hat der Linux-Vater im Rahmen einer Diskussion in verschiedenen Mails detailliert ausgeführt, wo Git überhaupt sinnvoll ist und wie man es bei der Linux-Entwicklung am besten einsetzt.

Kernel-Log-Staccato:

  • Verschiedene Entwickler haben nach den im vorangegangenen Kernel-Log bereits erwähnten Diskussionen rund um die Entfernung des performance-kritischen BKL (Big Kernel Lock) verschiedene Patch-Serien gepostet, die die Entfernung vorbereiten oder den Einsatz des BKL reduzieren. Erste Teile dieser Arbeit dürfte vermutlich bereits der im Spätsommer erwartete Linux-Kernel 2.6.27 mitbringen.
  • Die X.org-Entwickler haben in den vergangenen Tagen einige neue Versionen der X.org-Komponenten veröffentlicht. Es bleibt aber unklar, ob das ursprünglich für Ende April geplante und auf Mai verschobene X.org 7.4 tatsächlich noch diesen Monat erscheint.
  • AMD hat die Version 8.5 des proprietären Linux-Grafiktreibers fglrx für x86-32 und x86-64-Systeme veröffentlicht.
  • Die GCC-Entwickler haben die Version 4.2.4 der GCC (GNU Compiler Collection) veröffentlicht.
  • Diomidis D. Spinellis vergleicht in einer Studie "A Tale of Four Kernels" die Unterschiede zwischen den Kerneln von FreeBSD, GNU/Linux, Solaris und Windows.
  • Matthew Garrett hat diesen Monat bereits drei Einträge (1, 2, 3) geschrieben, die sich speziell mit dem Einsatz von Stromspartechniken moderner CPUs unter Linux näher auseinander setzen. Die Posts erklären unter anderem, warum es zumeist Unsinn ist, CPUs mit Funktionen wie Cool'n'Quiet oder Enhanced Intel Speedstep (EIST) in den langsameren Modus zu zwingen.
  • In den Blogs von Dave Airlie und Matthias Hopf liefern einige Informationen zum Stand der 3D-Unterstützung für AMDs r500-Chips (Radeon X1000-Serie) in den Grafiktreibern "radeon" und "radeonhd".
  • Das Lm_sensors-Projekt hat die Version 3.0.2 der Treiber und Tools zum Auslesen von Hardware-Monitoring-Informationen veröffentlicht.
  • Die Entwickler von Real-Time Linux haben den RT-Tree nun auch auf 2.6.25 portiert; wenig später gab es mit 2.6.24.7-rt[7-9] und 2.6.25.4-rt2 noch weitere Überarbeitungen, die einige Fehler in den vorangegangenen Versionen korrigieren.
  • Der Kernel-Log-Autor wird am kommenden Donnerstag auf dem LinuxTAG 2008 einen Vortrag zu aktuellen und zukünftigen Entwicklungen des Linux-Kernels halten.

Weitere Hintergründe und Informationen rund um Entwicklungen im Linux-Kernel und dessen Umfeld finden sich auch in den vorangegangen Ausgaben des Kernel-Logs auf heise open:

Ältere Kernel-Logs finden sich über das Archiv oder die Suchfunktion von heise open. (thl)