Organe aus dem Drucker

Eine Zellsuppe in die Kartusche eines 3D-Druckers, um anschließend Haut oder Herz Schicht für Schicht herzustellen. Mit dieser verblüffenden Idee wollen Forscher Patienten mit Organschäden helfen. Nun melden sie erste Erfolge.

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Von
  • Sascha Karberg

Eine Zellsuppe in die Kartusche eines 3D-Druckers, um anschließend Haut oder Herz Schicht für Schicht herzustellen. Mit dieser verblüffenden Idee wollen Forscher Patienten mit Organschäden helfen. Nun melden sie erste Erfolge.

Der Fitnessraum ist winzig, und die Muskelpakete, die hier mit rhythmischem Zucken Gewichte stemmen, haben nichts mit einem Schwarzenegger oder Van Damme gemein. Was an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) in eigens angefertigten, handtellergroßen Kammern unermüdlich einem inneren Programm folgend Gewichte stemmt, sind künstlich geschaffene, sieben Quadratmillimeter große Muskelstücke. Schon bald sollen die Labormuskeln abgestorbenes Gewebe in den Pumporganen von Herzinfarkt-Patienten ersetzen – in fünf Jahren, schätzt Ina Gruh, Gewebezuchtexpertin und Fitness-Trainerin für Muskelzellen in den Leibniz Forschungslaboratorien für Biotechnologie und künstliche Organe der MHH.

Seit Langem ist es ein Wunschtraum von Gewebezüchtern und Zehntausenden von Patienten in Deutschland, die auf ein Spenderorgan warten: im Labor Organe des Menschen wachsen zu lassen. Inzwischen ist diese Vision zwar noch immer keine Wirklichkeit – aber ein ganzes Stück realer geworden. Denn die Organzüchter haben den 3D-Druck für sich entdeckt. Sie bestücken Kartuschen von frisierten Tintenstrahldruckern mit verschiedenen Zelltypen und drucken so Gewebe – Schicht für Schicht und fast so präzise wie im Originalorgan.

Die Euphorie vieler Forscher über die einfache, billige und verblüffend erfolgreiche Technik ist groß. So verspricht Stuart Williams vom Cardiovascular Innovation Institute der University of Louisville in den USA etwa, innerhalb von zehn Jahren ein transplantierbares Herz aus patienteneigenen Stammzellen drucken zu können. Ein Stück Blutgefäß kann er als Vorarbeit immerhin schon herzeigen. Die kalifornische Firma Organovo, die einen der ersten Bioprinter auf den Markt gebracht hat, machte letztes Jahr Schlagzeilen mit einer gedruckten Leber – auch wenn es sich bisher nur um Stücke von vier Millimetern Durchmesser und einem halben Millimeter Dicke handelte. An ihnen wollen Wissenschaftler Nebenwirkungen von Medikamenten testen. Denn die Kunstorgane beherrschen die gleichen Prozesse wie echte Lebern, sei es die Cholesterinproduktion oder den Abbau von Giftstoffen. Keith Martin von der University of Cambridge in England hat Anfang des Jahres als Erster Nervenzellen und dazugehörige Stützzellen zu einer künstlichen Netzhaut zusammengedruckt – in der Hoffnung, Netzhautverletzungen reparieren zu können.

Und der Star der Gewebezüchter, Anthony Atala vom Wake Forest Institute für regenerative Medizin in North-Carolina, USA, druckte während eines Vortrags auf der berühmten TED-Konferenz eine kleine Niere und hielt sie anschließend in die Kamera. Ähnlich Spektakuläres gibt es aus China zu berichten: Xu Mingen von der Hangzhou-Dianzi-Universität präsentierte Ende vergangenen Jahres „Mini-Nieren“, die mit einem eigens entwickelten 3D-Drucker namens Regenovo gedruckt worden sein sollen. Binnen einer Stunde soll das Gerät kleine Leberstücke oder auch ein Ohr aus Knorpelzellen produzieren.

Visionäre träumen schon von kosmetischen Biodruckern, die alternden Kunden in der Mittagspause mit ein paar Frischzellen am rechten Ort die Ansätze von Fältchen beseitigen. Ganz Mutige sehen sogar bereits das Ende des Organmangels anbrechen.

Die digitale und die biotechnologische Revolution vereinigen sich – und damit zwei Bereiche, auf denen riesige Zukunftshoffnungen ruhen. Vielleicht ist gerade deshalb die Verführung zu großen Versprechen besonders ausgeprägt. Dabei müsste gerade die Biotechnologie-Branche schmerzhaft gelernt haben, wie schädlich große Ankündigungen sein können. Einst waren Stammzellen der große Hype, das Reparaturset für kranke Organe nur zehn Jahre entfernt. Das war vor rund zehn Jahren. Die Forscher machten in der Zwischenzeit zwar Fortschritte, aber der klinische Durchbruch fehlt noch immer. Nicht nur Wissenschaftler treibt daher die Frage um: Wird es diesmal anders sein?

Lothar Koch ist Physiker am Laser Zentrum Hannover, hat einen eigenen Bioprinter entwickelt – und sieht in den hergestellten Lebern und Nieren einen Hinweis, dass der Organdruck irgendwann einmal funktionieren könnte. Ein Beweis aber seien sie nicht. Keines der gedruckten Organe, die bislang in die Kameras gehalten wurden, könne verpflanzt werden. Die Niere aus den Labors von Atala und Mingen etwa sehe äußerlich zwar so aus wie eine, weil der Drucker die Zellen in annähernd richtiger Position angeordnet hat. Aber voll funktionsfähig sei das Gewebe nicht. „Es produziert nur winzige Mengen von etwas, was so ähnlich wie Urin ist“, sagt Koch. Er warnt daher vor einem Hype. Wer zu viel verspreche, schade nicht nur dem Ruf der Methode, sondern wecke auch falsche Erwartungen bei Patienten. „Bei mir fragten schon Menschen mit Hautverletzungen an, ob wir ihnen nicht ein Stück Haut drucken könnten“, erzählt Koch.

Gleichwohl hält er das Bioprinting für eine „wichtige Technik“. Wenn sie heutigen Patienten nicht helfen kann, dann möglicherweise der nächsten Generation Kranker.

(rot)