Debian: Wahl zum Standard-Init-System führt zu Zank

Auf einer Debian-Mailigliste gab es kürzlich ungehaltene Mails, nachdem Systemd eine Abstimmung zum Standard-Init-System zu gewinnen scheint. Vermutlich wird die Frage erst in einer großen Wahl entscheiden.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Thorsten Leemhuis

Bei einer derzeit laufenden Abstimmung des Debian Technical Commitee sieht es derzeit stark danach aus, dass sich das Gremium für Systemd als Standard-Init-System für Debian 8 (Jessie) aussprechen wird. Nachdem das am Sonntagnachmittag absehbar wurde, gab es einige ungehaltene Mails auf der Diskussionsliste des Gremiums, das Streitfragen bei der Entwicklung der Linux-Distribution klärt. Damit mehreren sich die Anzeichen, dass ausreichend Entwickler zusammenkommen, um die Sache über eine General Resolution (GR) zu klären; bei einer solchen dürften dann alle Debian Developer (DD) über das Standard-Init-System der nächsten Debian-Version abstimmen.

Das Debian-Projekt erwägt schon eine Weile, vom bislang zum Start eines Debian-Systems eingesetzten Sysvinit auf ein moderneres Init-System umzusteigen. In der engeren Wahl sind Systemd und Upstart; das ebenfalls in Erwägung gezogene OpenRC wirkt derzeit recht chancenlos. Einige Vor- und Nachteile dieser Lösungen hat das Debian-Projekt in seinem Wiki zusammengetragen;

Das Debian Technical Commitee hat in den vergangen Wochen schon mehrfach Abstimmungen gestartet, um die Frage zu klären (1, 2). Letztlich einigten sich die Mitglieder des Gremiums aber bislang immer darauf, die Sache weiter zu diskutieren. Am Samstag hat der Vorsitzende Bdale Garbee überraschend eine neue Abstimmung gestartet. Bei ihr bleibt die Frage außen vor, ob Debian-Software ein bestimmtes Init-System voraussetzen darf; das hatte die vorangegangene Abstimmung verkompliziert und letztlich dazu geführt, dass auch diese Abstimmung mit "Further Discussion (FD)" endete.

In der jetzigen Abstimmung haben sich vier Mitglieder des achtköpfigen Gremiums für Systemd ausgesprochen – darunter auch der Vorsitzende selbst. Anschließend gab Debians Upstart-Maintainer Steve Langasek seine Stimme ab und hat dabei Further Discussion (FD) auf die erste Position seiner Stimmabgabe gesetzt; dabei hat er, wie er selbst erläutert, von einer taktischen Stimmabgabe abgesehen, bei der er Upstart nach vorne gesetzt hätte. Nach den Abstimmungsmodalitäten des Gremiums kann es dadurch nur mehr zu einem Ergebnis kommen, bei dem Systemd entweder direkt gewinnt oder letztlich die Stimme des Vorsitzenden entscheidet. Das kann sich nur noch ändern, wenn Mitglieder des Gremiums ihre Stimme nochmal ändern; das ist laut den Abstimmungsmodalitäten durchaus noch möglich.

Nach Abgabe dieser fünf Stimmen erschien Gremium-Mitglied und Upstart-Befürworter Ian Jackson auf der Mailingliste. Er zeigte sich ziemlich ungehalten über die überraschend anberaumte Abstimmung. In Wut schrieb er einige vorwurfsvolle Mails; in einer rief er auf, den Vorsitzenden aus dem Amt zu wählen; wenig später wurde ihm seine Aufgebrachtheit bewusst und er kündigte an, der Mailingliste des Gremiums einige Tage fern zu bleiben. In Folge dessen gab es dann auch Rücktrittforderungen an Jackson auf der Mailingliste, an die jedermann schreiben darf; zudem erschien Schmähkritik, die auf Systemd und dessen Hauptentwickler abzielt. Einige Gremium-Mitglieder haben seitdem die Wogen zu glätten versucht; darunter Systemd-Befürworter Russ Allbery, der eine lange Mail an die Liste schrieb, die etwas Ruhe schaffte.

Im Rahmen der Diskussion wurde auch der Ruf nach einer General Resolution (GR) wieder laut, um die rund tausend wahlberechtigten Debian Developer über das Standard-Init-System der nächsten Debian-Version abstimmen zu lassen. Einiges deutet darauf hin, dass sich die sechs dafür benötigten Entwickler zusammenfinden, um so eine Wahl in Gang zu bringen. Sogar der Ruf nach einer Debian-Abspaltung, die nicht auf Systemd setzt, wurde laut. Forks oder Debian Pure Blends mit alternativem Init-System dürfte es aber auch geben, falls Upstart das Rennen machen sollte; unter anderem die Siduction-Macher hatten bereits zum Jahresanfang angekündigt, bei ihrem Debian-Ableger voll auf Systemd setzen zu wollen, selbst wenn sich das Debian-Projekt für ein anderes Standard-Init-System entscheiden sollte.

[Update 11.02., 17:30] Die Abstimmung des Technical Committee ist beendet und ging zugunsten von Systemd aus. Zudem haben wir einen Fehler im Text korrigiert, den Langasek hat nicht wie ursprünglich angegeben für Upstart, sondern für eine weitere Diskussion gestimmt. [/Update] (thl)