35 Jahre Barcode in den Supermärkten

1973 begannen in den USA ein Mammutprojekt, in das zwei Großindustriezweige und hunderttausende Kleinunternehmen involviert waren: Die einheitliche Warenkennzeichnung im Handel. Wenig später folgten die Europäer.

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Von
  • Günther Leue

35 Jahre? Datiert der erste Einsatz einer EAN (European Article Number) in Deutschland nicht auf 1977? Das ist richtig. Aber der Startschuss für Europa erfolgte, nachdem die Europäer vier Jahre lang die Entwicklung des weitgehend identischen UPC (Universal Product Code) in den USA verfolgt hatten. Der Frühling 1973 sollte also für den Nutzungsbeginn von Barcodes in den Supermärkten im Gedächtnis vermerkt sein.

Die Handelsunternehmen wollten ihre immer kleiner gewordenen Margen dadurch aufbessern, dass Warenwirtschaftssysteme automatisiert und die Abwicklung am Verkaufsort optimiert wurden. So kam es zur Suche nach der bestmöglichen technischen Lösung in einem umfassenden Auswahlprozess, der von der Beratungsfirma McKinsey durchgeführt wurde. Ergebnis war die Gründung des UPC Ad-hoc-Committee (UPCC) im Oktober 1970; die Spezifikationen wurden dann im April 1973 veröffentlicht. Alle im nachgeordneten Symbol Technology Advisory Committee (STAC) versammelten Spezialisten aus Bereichen wie Scanner und Computer, Drucken und Qualitätskontrolle, Filmmastering oder Symbolanordnung mussten ihre Entscheidung einstimmig fällen. Sie waren sich ihrer Verantwortung voll bewusst, als sie ihr Votum für den eindimensionalen binären Barcode gaben, der von IBM vorgeschlagen worden war.

Das Bestechende an diesem Konzept war, dass für die Aufbringung des Symbols auf Verpackungen – das so genannte "Source Marking" – für vorhandene Verpackungsmaterialien, Druckprozesse und Farben fast immer Lösungen gefunden werden konnten, die den Ansprüchen genügten. Von vornherein sollte in der Regel vermieden werden, Etiketten gesondert zu drucken und diese dann auf die Packungen aufzubringen. Nur so ließen sich die enormen Vorleistungen, die die Konsumgüterindustrie zu übernehmen hatte, bevor sie nach ein bis zwei Jahren ersten Nutzen aus dem System ziehen konnte, in Grenzen halten. Ein wichtiger Punkt war auch das Nummernsystem, das verwendet werden sollte, um den Code in Symbole umwandeln zu können. Ein 12-stelliger Code wurde festgelegt, bei dem die erste Ziffer die "Coding Authority" kennzeichnen sollte, die den Herstellern eindeutige Nummern zuteilen kann, die dann zur Vergabe von Artikelnummern für das Sortiment dienen.

In Europa verfolgte man das UPC-Programm in den USA mit großer Aufmerksamkeit. Nach erbitterten Richtungskämpfen um das richtige System entschlossen sich die Europäer schließlich, dem Beispiel der USA zu folgen. Albert Heijn, Präsident der größten holländischen Lebensmittel-Handelskette "AH Albert Heijn", hatte 1973 und 1974 als Gast des UPCC bereits einschlägige Kenntnisse erlangen können. Aufgrund dieser Erfahrungen setzte er sich besonders dafür ein, das UPC-Modell als Basis für ein europäisches System zu nutzen.

In Deutschland wurde – vergleichbar dem UPPC in den USA – 1974 die Centrale für Coorganisation (CCG) gegründet, an der paritätisch die Rationalisierunggemeinschaft Handel (RGH) als Repräsentantin des Handels und der Markenverband Deutschland beteiligt waren. Dem Aufsichtsrat als oberstem Gremium gehörten Vorstände und Manager von Handels- sowie von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen an. Heijn gelang es schließlich, zwölf Länder dazu zu bringen, im Jahre 1977 die European Article Number (EAN) Organization zu gründen, für die er sich als Chairman zur Verfügung stellte. Heute gibt es Coding Authorities in etwa 100 Ländern auf allen fünf Kontinenten, die ihre Länder-Nummern von der EAN-International zugeteilt bekommen.

Heijn hatte erkannt, dass bei Nutzung des brachliegenden Potenzials des UPC-Symbols der Code von 12 auf 13 Stellen erweitert werden konnte. In enger Abstimmung mit dem UPCC kam es im Dezember 1976 zur Freigabe des 13-stelligen EAN-Symbols und dessen Aufwärtskompatibilität zum UPC. Damit war von vornherein gewährleistet, dass wo das EAN-Symbol gescannt wurde, problemlos auch UPC verarbeitet werden konnte. Umgekehrt war es anfangs nicht möglich, an den Scannern in den USA das EAN-Symbol zu entschlüsseln. Erst im Jahre 2005 wurde diese gegenseitige Kompatibilität offiziell verabschiedet. Seit dem kann man also von weltweiter Nutzung UPC/EAN sprechen

Das 13-stellige EAN-Symbol wurde vom gleichen Mann entwickelt, der bei der IBM das UPC-Symbol geschaffen hatte: Georg I. Laurer. Ein andere wichtige Rolle spielte Dr. Jerome Swartz, Mitbegründer von Symbol Technology, der den ersten handlichen Laser-Scanner für Barcodes entwickelte. Nicht zuletzt patentierte Swartz die Idee des tragbaren Selbst-Scan-Systems, mit dem Kunden ihre Einkäufe selbst erfassen und damit die Schlangen an den Kassen verringern helfen sollen. Eine Idee, mit der erst heute einige Supermärkte experimentieren. Dabei von Anfang an auch klar, dass neben der Hersteller-Auszeichnung beim Verpackungsdruck auch die Notwendigkeit bestand, Etiketten zu drucken, um Artikel ohne Barcode wie etwa Frischwaren auszeichnen und scannen zu können. Dafür musste eine ganze "Subindustrie“ Geräte entwickeln und bereitstellen.

Wirtschaftlich sollten sich die Investitionen weitgehend durch die Beschleunigung an der Kasse und der Einsparung der Einzelpreis-Auszeichnung rechnen. Doch setzte die Branche auch auf Einsparungen aus neuen Warenwirtschaftssystemen, die mit dem Barcode möglich wurden. Dazu wurde eine andere Computer-Ausstattung benötigt: ausfallsichere Systeme, die transaktionsorientiert waren und in Echtzeit arbeiteten. 1978 erwies sich der Kontakt zu James Treybig, Präsident der Tandem Computer Inc. in Cupertino, als sehr hilfreich, um Non-Stop-Systeme zur Bewältigung der Informationsflut von Scanner-Terminals und zur Realisierung von Warenwirtschaftssystemen auch nach Deutschland zu bringen.

Solche Kontakte und die dabei gewonnenen Erkenntnisse konnten 1977 und 1978 in Europa genutzt werden, als dort der Startschuss für das EAN-Programm gegeben wurde. Mit am bedeutungsvollsten war die Zusammenarbeit mit der CCG (die heute GS1 Germany heißt). Im Frühjahr 1977 erhielt Karlheinz Hagen, der damalige und langjährige Geschäftsführer der CCG, vom Aufsichtsrat die Zustimmung, Beratungsaufträge zu erteilen, und so kam es zu einer sehr fruchtbaren mehrjährigen Kooperation.

Es gehörte schon einiger Mut dazu, den Siegeszug von UPC/EAN vorherzusagen, obwohl in den ersten Jahren nur eine relativ geringe Anzahl von Märkten auf Scanning umgestellt worden war. Das UPC-/EAN-Programm war eines der größten freiwilligen Kooperationsvorhaben, die je in der Wirtschaft durchgeführt wurden und bei dem sich zwei Großindustriezweige mit hunderttausenden von selbstständigen Unternehmen weltweit auf ein einheitliches Verfahren festlegten. Für die Durchsetzung des auf Freiwilligkeit basierenden Systems war eine enorme Aufklärungs- und Schulungskampagne nötig, um die Teilnehmer von den Vorteilen zu überzeugen. Bei solchen Dimensionen musste das System für den Rest dieses Jahrhunderts Bestand haben und für die weltweite Durchsetzung mindestens ein Jahrzehnt veranschlagt werden. (Günther Leue) / (vbr)