Für und Wider Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen

Die französische Regierung hält das Votum des EU-Parlaments, dass ohne Einschalten der Justiz keine Eingriffe in die Grundrechte der Nutzer erfolgen dürfen, für vereinbar mit ihrem Vorschlag für Netzsperren bei illegalen Downloads.

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Die französische Regierung will auch nach der 1. Lesung des Telecom-Pakets im EU-Parlament an seinem umstrittenen Modell der "abgestuften Antwort" auf Urheberrechtsverletzungen im Internet festhalten. Die Volksvertreter hatten sich Mitte September in einem Änderungsantrag für die sogenannte Rahmenrichtlinie für den Telekommunikationssektor dafür ausgesprochen, dass ohne Einschalten der Justiz keine Eingriffe in die Grundrechte der Nutzer erfolgen dürfen. Der französische Sozialist Guy Bono, der den Korrekturvorschlag federführend mit eingebracht hatte, freute sich daraufhin über ein Signal aus Brüssel gegen den Ansatz der konservativen Regierung in seinem Heimatland, Internetzugänge nach wiederholten Warnungen per E-Mail und Einschreiben zu kappen. Frederic Bokobza, Unterabteilungsleiter für die Entwicklung der Informationsgesellschaft beim französischen Premierminister, erklärte das Votum des EU-Parlaments nun aber für vereinbar mit dem geplanten Erwiderungsvorhaben.

Der Änderungsantrag "hat bei uns zwar eine Diskussion ausgelöst", erklärte der Regierungsvertreter am Mittwoch auf einer Tagung über kreative Online-Inhalte in der Französischen Botschaft in Berlin. "Wir weichen aber nicht von unserem Weg ab." Der entsprechende Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der "gewöhnlichen Internetpiraterie", der auf einer von der Olivennes-Kommission ausgearbeiteten Vereinbarung zwischen Staat, Zugangsanbietern und Rechteinhabern beruht, werde im November im französischen Parlament beraten. Die Regierung selbst werde keine Änderungen mehr vorschlagen.

Gravierende Umstellungen sieht Bokobza nicht mit der geplanten Initiative einhergehen. Bisher hätte sich die Rechteindustrie an die Gerichte gewandt, nun solle eine Kontrollbehörde in Form der Haute Autorité pour la Diffusion des Oeuvres et la Protection des Droits sur l'Internet (HADOPI) dazwischentreten. Diese verwahre die angelieferten IP-Adressen, autorisiere den Versand der Warnhinweise und ordne im Notfall Sperrungen an. Betroffene könnten dagegen gerichtlich Widerspruch einlegen.

Jean-Francois Boittin, Gesandter für Wirtschaftsangelegenheiten bei der Botschaft, bezeichnete den Gesetzesentwurf als "Kompromiss zwischen 'alles kostenlos' und 'alles strafbewehrt'". Die vorgesehenen Strafen im französischen Urheberrechtsgesetz, die bis zu drei Jahren Haft vorsehen, seien eine zu große Waffe im Einsatz gegen illegale Download-Aktivitäten. Die HADOPI solle dagegen vor allem eine "pädagogische Rolle" spielen und über den Urheberrechtsschutz aufklären.

Auch Ruth Hieronymi, Vertreterin der konservativen Volkspartei im EU-Parlament, widersprach der Ansicht, dass sich die Abgeordneten gegen Modelle wie die Olivennes-Vereinbarung ausgesprochen hätten. Vielmehr hätten sie parallel zu den Bestimmungen in der Rahmenrichtlinie in die Universaldienst-Richtlinie mehrere Artikel eingefügt, die eine Kooperation zwischen Internetprovidern und Unterhaltungsindustrie zur Förderung "rechtmäßiger Inhalte" fordern. Die CDU-Politikerin beklagte zudem, dass in Brüssel die bereits von sich aus grenzüberschreitend arbeitende Providerlobby die Oberhand habe und die Rechteinhaber noch stärker national organisiert seien. Wenn man einem Kooperationsmodell das Wort rede, stehe man so "komisch" da und erwecke den Eindruck, nur den Interessen der Rechteindustrie nachzukommen. Von den Autoren und damit den eigentlichen Urhebern, für die sich die Politik letztlich stark mache, sei dagegen in der Debatte "überhaupt nichts zu hören".

Thomas Hoeren vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Universität Münster, warf dagegen die Frage auf, wieso die Zugangsanbieter überhaupt bei dem "innovativen Denkansatz" mitziehen sollten. Aus deutscher und europäischer Perspektive gebe es mit der E-Commerce-Richtlinie und der nationalen Umsetzung keine Möglichkeit, die Provider für Urheberrechtsverletzungen bei übertragenen Inhalten haftbar zu machen. Dafür wäre es auch nötig, dass sie jedes Bit überwachen.

Bei den verlangten Sperrungen witterte Hoeren auch einen schweren Verstoß gegen die Geschäftsbedingungen der Anbieter. Datenschutzbedenken werfe die Handhabung der als personenbezogene Informationen anzusehenden IP-Adressen in dem Modell sowie der mögliche Aufbau von Registern mit "Bad Guys" auf, denen zeitweilig kein Netzzugang gewährt werden dürfe. Im Gegensatz dazu böte sich theoretisch ein Modell der Kultur- oder Content-Flatrate für die Legalisierung von Filesharing an. Aber auch da gebe es im Detail noch viele Tücken. Da dieser Ansatz wirklich den Kreativen – und nicht den Verwertern – zugute komme, sei er offenbar auch gar nicht von offizieller Seite erwünscht. (Stefan Krempl) / (jk)