Forscher sieht Ballungsgebiete auf Energiewende schlecht vorbereitet

Alle reden über Strom-Ferntrassen. Aber viel größer werde der Aufwand für die Energiewende in den Städten, meint der Darmstädter Forscher Ingo Sass. Marode Kabel müssten ausgetauscht werden.

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  • dpa
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Für die Energiewende sind Ballungsräume wie das Rhein-Main-Gebiet aus der Sicht des Darmstädter Wissenschaftlers Prof. Ingo Sass schlecht vorbereitet. Die Diskussion über die Höchstspannungs-Stromtrassen dominiere das Thema in der Öffentlichkeit, dabei werde die Umrüstung der Leitungen in den Städten ungleich größeren Aufwand bedeuten. "Da gibt es einen ungeheuren Sanierungsbedarf", sagte Sass, Leiter der Forschungsplattform "urban energies" an der Technischen Universität Darmstadt, der dpa.

Zigtausende Kilometer meist in der Erde verlegter Nieder- und Mittelspannungskabel genügten den Ansprüchen der Energiewende nicht. "Die sind zum Teil über 100 Jahre alt und einfach mürbe." Die Hoch- und Höchstspannungstrassen seien lediglich Zubringer für den Strom aus weiter Entfernung – die Netze in den Ballungsgebieten leiteten den Strom zum Kunden. Ihre Sanierung werde volkswirtschaftlich viel teurer sein als der Bau der neuen Trassen, sagt Sass. Außerdem müsse die Auslastung der neuen Netze geprüft werden – durch die Energiewende werde der Strom nicht mehr so gleichmäßig fließen wie bisher.

Großes Potenzial sieht Sass in der Nutzung der Sonnenenergie – etwa zum Heizen von Gebäuden. Dazu müsse man im Sommer die Wärmeenergie einfangen, sie in die Tiefe leiten, dort zwischenlagern und bei Bedarf wieder an die Oberfläche holen. "Mitteltiefe Hochtemperaturspeicherung" heißt diese Technik, mit der aus Sicht der Forscher vor allem die Energieeffizienz älterer Gebäude verbessert werden könnte. Dazu wollen sie die Erde in mehreren hundert Metern Tiefe auf 60 bis 70 Grad aufwärmen. Im Sommer will die Universität Darmstadt dazu eine Probebohrung machen.

Neubauten seien recht leicht mit Energiespar-Technik auszustatten, aber es gebe rund 60 Millionen alter Häuser in Deutschland, und jedes Jahr würden nur 250.000 neue gebaut. "Die Energiewende muss im Bestand laufen", sagt Sass. Fast die Hälfte des Energiebedarfs von Gebäuden werde zum Heizen und Kühlen gebraucht.

Die größten Probleme der Energiewende seien aber nicht technischer Natur, unterstreicht Sass. Es müsse ein gesellschaftlicher Prozess in Gang gesetzt werden, bei dem soziale und rechtliche Probleme geklärt werden – etwa die Frage nach den Rechten von Grundstückseigentümern bei der Anlage von Wärmespeichern. "Wir glauben nicht, dass wir Techniker es allein richten können." (anw)