Langfristig sind wir alle tot - zum 125. Geburtstag von John Maynard Keynes

Keynes gilt als einflussreichster Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Zu seinen wichtigsten Thesen gehört die Ansicht, dass die Wirtschaft über die Zukunft nichts weiß und die Akteure am Markt das Vertrauen in das System verlieren können.

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Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 125 Jahren wurde John Maynard Keynes geboren. Er gilt als einflussreichster Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Zu seinen wichtigsten Thesen gehört die Ansicht, dass die Wirtschaft über die Zukunft nichts weiß und dass die Akteure am Markt das Vertrauen in das System verlieren können. Keynes verglich dabei die Wirtschaft mit einem Automobilmotor, bei dem die Lichtmaschine ausgetauscht werden muss: Der Staat kann durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im großen Stil, durch Erhöhung der Staatsausgaben den stotternden Motor wieder in Schwung bringen. Mit seiner Schrift über die "ökonomischen Möglichkeiten unserer Enkelkinder" präsentierte er die Idee der Arbeitszeitverkürzung für alle als Fortschrittsmotor im 22. Jahrhundert, in dem jeder nur 15 Stunden in der Woche arbeitet.

John Maynard Keynes wurde schlagartig bekannt, als er im Jahre 1919 ein Pamphlet über die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages veröffentlichte: Als Vertreter des britischen Schatzamtes war Keynes an den Verhandlungen zum Versailler Friedensvertrag beteiligt, der Deutschland mit 800 Millionen Pfund Reparationszahlungen belasten sollte. Diese Summe sei viel zu hoch und könne von Deutschland nicht aufgebracht werden. Als Mitglied der Liberalen Partei entwickelte Keynes danach wirtschaftliche Argumente für eine staatliche Interventionspolitik, die heute als Keynesianismus bekannt ist. Der bekannteste Slogan des Politikers Lloyd George "Wir können die Arbeitslosigkeit besiegen" war Keynes' Idee, ebenso der Vorschlag, Arbeitslose zum Fernstraßenbau heranzuziehen. Mit seiner Abhandlung zur Währung und besonders mit der "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" verfasste Keynes Werke, die die Makroökonomie nachhaltig beeinflussten. Als Politik-Berater war Keynes weniger erfolgreich. In den Verhandlungen von Bretton Woods über die Zukunft des internationalen Währungssystems wurde sein Vorschlag abgelehnt, mit dem "Bancor" eine Weltwährung zu schaffen. Erschöpft von den Verhandlungen mit den Amerikanern, die die Dominanz des Dollars durchsetzen konnten, starb Keynes am 21. April 1946.

John Maynard Keynes liebte Widersprüche. Als bekennender Homosexueller heiratete er eine russische Tänzerin. In seinen Werken bezeichnete er die Börsenspekulation als unwürdige Arbeit, schmutziger als die Tätigkeit eines Straßenfegers. Dennoch spekulierte er höchst erfolgreich an der Börse und finanzierte aus den Gewinnen maßgeblich die Bloomsbury Group und besonders seinen Liebhaber Duncan Grant. Keynes war ein glänzender Mathematiker und Freund von Bertrand Russell, dennoch voller Spott über die Wirtschaftswissenschaftler, die ökonomische Krisen wegrechneten und langfristige Wirtschaftsmodelle kalkulierten. Den Einsatz des Computers in diesen Systemen erlebte er nicht mehr. "Die Ökonomen machen es sich zu einfach. In stürmischen Zeiten erzählen sie uns, dass es nach dem Sturm wieder ruhig sei. Aber es ist in einer solchen Situation nicht gerade hilfreich, auf eine langfristige Tendenz hinzuweisen – auf lange Sicht sind wir alle tot." (Detlef Borchers) / (jk)