Kartierung der deutschen Blogosphäre

Deutschland, das Land der Suchmaschinenoptimierer und Spammer? Hierzulande gibt es ungewöhnlich viele SEO- und Spam-Blogs, meint ein US-Wissenschaftler, der in Zusammenarbeit mit einem deutschen Kommunikationsforscher die deutsche Blogosphäre erfasst.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Kommunikationswissenschaftler Jan Schmidt vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg wird den US-amerikanischen Blogosphären-Erforscher John Kelly dabei unterstützen, eine Karte der deutschen Blogosphäre zu erstellen. Kelly versucht über verschiedene Teilprojekte die globale Blogosphäre zu kartieren – eines der ersten Projekte war die Bestandsaufnahme der iranischen Blogosphäre.

John Kelly ist Gründer von Morningside Analytics und Partner des Democracy & Internet Project am Berkman Center for Internet & Society an der Harvard University. Für seine Dissertation erstellte er eine Spider-Software für Blogs. Sie folgt allen Links, die von einem Blog ausgehen. Daraus errechnet sie die Nähe einzelner Blogs zueinander und gewichtet sie über die Anzahl der Links. Der Berliner Netzaktivist Markus Beckedahl sah sich bei John Kelly die ersten Versionen der deutschen Blogosphären-Karte an und vermittelte daraufhin eine Zusammenarbeit mit Jan Schmidt.

Für die Karte zur deutschen Blogosphäre durchforstete der Spider laut Kelly "einige hunderttausend Blogs". Blogs mit nur wenigen Links filterte Kelly bereits aus und reduzierte so die Anzahl der nun zu berücksichtigenden Blogs auf 10.000 für eine erste Kartenversion. "Etwa die Hälfte der 10.000 Blogs verdient die Anwesenheit auf der Karte nicht, weil sie SEO- bzw. Spam-Blogs sind", sagte Kelly in einem Interview, das Beckedahl mit ihm geführt hat. Kelly zeigte sich erstaunt: "Die deutsche Blogosphäre hat ungewöhnlich viele dieser Blogs. Ich weiß nicht, was das bedeutet. Vielleicht gibt es mehr Unternehmen, die dahinter stehen." Diese Spam-Blogs sind vor allem beim Bloghoster Blogspot angesiedelt. Beckedahl wundert sich ebenfalls: "Es ist schon ziemlich peinlich, dass diese Spam-Blogs noch weiter existieren. Blogspot sollte als Hoster schon ein Interesse daran haben, das zu bereinigen."

Beckedahl entdeckte weitere Cluster im Bereich "Stricken und Handwerken", einen breiten Bereich zu Themen aus Musik sowie linker Kultur und Politik. Außerdem gibt es eine eigenständige Wolke, die von Blogs Blogsport gebildet wird. Beckedahl gegenüber heise online: "Blogsport ist der linke Bloghoster deines Vertrauens und wurzelt in der Hamburger Szene. Das läuft über Empfehlungen und alle Antifagruppen verlinken sich gegenseitig." Da Kelly selbst die verbliebenen 10.000 Blogs nicht zuverlässig einordnen kann, arbeitet er jetzt mit dem deutschen Blogforscher Jan Schmidt zusammen. Kellys Ziel ist es, die verschiedenen nationalen Sphären anzusehen, um später kulturelle Vergleiche vornehmen zu können. Er sieht die Karten als eine Art "Funktionskarten der jeweiligen Gesellschaft, der sozialen Geisteshaltung".

Jan Schmidt wird in einem ersten Schritt "irrelevante Daten" wie etwa Medien-Websites eliminieren, also Sites, die verlinkt werden, die aber selbst nicht bloggen. In einem nächsten Schritt muss er "darüber entscheiden, was wir als Blog verstehen und was die richtige Art und Weise des Bloggens ist", um die Spam-Blogs aussortieren zu können. Ein wesentliches Blog-Merkmal sieht Schmidt darin, dass ein menschlicher Autor hinter dem Blog steht, der selbst die Inhalte verfasst. Thema und Stil sind hierfür irrelevant. Spam-Blogs werden in der Regel maschinell betrieben.

Wenn eine aktualisierte Kartenversion vorliegt, wird er über Stichproben thematische Cluster definieren. Ausgeschlossen sind damit aber Blogs, die in internen Netzwerken laufen oder Plattformen, die Blog-ähnliche Funktionen erfüllen, aber nicht als Blog bezeichnet werden. Jan Schmidt: "Wir messen die öffentliche Blogosphäre und erfassen damit zunächst nur Inhalte, sie sich seitens der Software als Blog messen lassen." Der Forschung helfe es allerdings auf jeden Fall, den Blick für die Vielfalt der Cluster zu schärfen, die bislang in der Diskussion gar nicht wahrgenommen wurden. So seien die Strickblogs etwa untereinander stark verlinkt, beteiligen sich aber nicht an Diskussionen um die Entwicklung von Web 2.0. Schmidt: "Das zeigt, dass die Menschen mit Blogs sehr unterschiedlich umgehen. Mögliche Folgefragen wären, warum bestimmte Subgruppen sich untereinander abschotten. Liegt das an den Themen, an den persönlichen Nutzungsweisen, den Interessen?" (Christiane Schulzki-Haddouti) / (jk)