Die neue Stromquelle

Ein Münchener Start-up will eine gewaltige, bisher vernachlässigte Energiequelle anzapfen – mit Komponenten aus dem Regal.

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Ein Münchener Start-up will eine gewaltige, bisher vernachlässigte Energiequelle anzapfen – mit Komponenten aus dem Regal.

Unmengen an Energie gehen in der Industrie als Abwärme verloren. Daraus will die Orcan Energy GmbH Strom machen. Auf insgesamt fünf Gigawatt schätzt das Spin-off der TU München das bundesweite Potenzial – etwa so viel wie drei Kernkraftwerke. Das Verfahren dazu ist schon lange bekannt: der sogenannte Organic Rankine Cycle (ORC), benannt nach dem schottischen Physiker William John Macquorn Rankine (1820 bis 1872). ORC-Anlagen funktionieren wie Dampfmaschinen oder -turbinen.

Allerdings arbeiten sie nicht mit Wasser, sondern mit organischen Kältemitteln wie Pentan, Butan oder diversen Fluorkohlenwasserstoffen. Während klassische Dampfkraftwerke eine mehrere Hundert Grad heiße Wärmequelle brauchen, kommen ORC-Maschinen mit deutlich weniger aus, weil die Kältemittel schon bei niedrigeren Temperaturen verdampfen. Da solche Anlagen wegen der geringen Stückzahlen bisher aber teure Spezialanfertigungen waren, konnten sie sich bis dato nicht durchsetzen.

Die Ingenieure von Orcan Energy wollen einen Weg gefunden haben, Wärmerückgewinnung deutlich wirtschaftlicher zu machen. Dazu drehten sie den normalen Entwicklungsprozess einfach um. "Normalerweise würde man zuerst den ORC-Prozess berechnen und sich dann auf die Suche nach den nötigen Komponenten machen – etwa nach einer Pumpe, die genau auf die gewünschte Leistung und Temperatur ausgelegt ist", sagt Geschäftsführer Andreas Sichert. "Um dann festzustellen: Diese Komponenten gibt es auf dem Markt gar nicht. Also muss man sie selbst entwickeln lassen. Das ist aufwendig und teuer."

Orcan Energy ist das Problem anders angegangen: "Wir haben uns angeschaut, welche Komponenten es bereits gibt", so Sichert. Dabei stellten die Ingenieure fest, dass sich einige – auf den ersten Blick unpassende – Bauteile mit minimalen Änderungen für den ORC-Prozess zweckentfremden lassen. So fanden die Münchener beispielsweise keine ausreichend effizienten Mini-Dampfturbinen zum Antrieb des Generators. Also nahmen sie stattdessen Kompressoren, wie sie tausendfach in Klimaanlagen und Wärmepumpen verbaut sind. Entfernt man ein Rückschlagventil, lassen sie sich wie Turbinen betreiben. Mit Ingenieurs-Intuition und einem eigens geschriebenen Simulationstool haben die Entwickler für solche Bauteile dann Rankine-Zyklen mit passenden Drücken, Temperaturen und Kältemitteln maßgeschneidert.

Das Ergebnis sind zehn Patente sowie ein Kleinkraftwerk namens ePack. Es leistet 20 Kilowatt, wiegt rund zwei Tonnen und hat die Grundfläche von zwei Europaletten. Als Kältemittel dient laut Orcan Energy eine harmlose handelsübliche Substanz. Abwärme von Flüssigkeiten kann das ePack ab einer Temperatur von 110 Grad verstromen, von Gasen ab 200 Grad. "Der Wirkungsgrad bei solchen Anlagen ist nicht besonders hoch, etwa zehn Prozent", gibt Sichert zu. "Aber das ist nicht so schlimm, da sie Abfallenergie nutzen."

Das Konzept überzeugte Geldgeber: 2008 von Richard Aumann, Andreas Sichert und Andreas Schuster gegründet, gewann Orcan Energy seit 2011 zwei Finanzierungsrunden von Risikokapitalgebern und Business Angels. Mittlerweile ist auch der Stromkonzern E.on als Partner eingestiegen. Im vergangenen Jahr begann die Serienproduktion der ePacks. Zehn Exemplare haben die Münchener seitdem zu niedrigen sechsstelligen Preisen verkauft. "Praktisch wöchentlich kommen neue Anlagen hinzu", sagt Sichert.

Bisherige Kunden sind ein Autohersteller sowie Betreiber von Biogaskraftwerken. Dort sind sie die ePacks an den Kühlkreislauf des Motors angeschlossen, zudem sitzt ein Wärmetauscher im Abgasstrang. Sichert zufolge passen sich die Anlagen automatisch einem wechselnden Wärmeangebot an und haben nach bisheriger Erfahrung eine Verfügbarkeit von 95 Prozent. Sie produzieren also – wenn genügend Abwärme vorhanden ist – praktisch rund um die Uhr Strom.

Als Zielgruppen sieht der promovierte Physiker zum einen die Betreiber von Blockheizkraftwerken, denn sie bekommen eine Einspeisevergütung für jede erzeugte Kilowattstunde. Zum anderen Industriebetriebe, bei denen viel Abwärme anfällt – etwa aus der Metall- oder Glasschmelze. Wer industrielle Abwärme verstromt, erhält derzeit allerdings keinerlei Förderung. Doch mit Stromgestehungskosten von nur sechs Cent pro Kilowattstunde macht sich ein ePack laut Sichert auch ohne Förderung in drei bis vier Jahren bezahlt – Strom vom Versorger kostet Betriebe mit etwa 14 Cent derzeit mehr als das Doppelte.

Künftig will das Start-up seine Technik nicht nur als eigenständige Kleinkraftwerke vertreiben, sondern auch in die Produkte Dritter integrieren – etwa in Heizkessel. Laut Sichert ließe sich eine ORC-Anlage sogar so weit verkleinern, dass sie in Lkws passt. Doch diesen Markt will Orcan Energy erst später angehen. "Wir wollen uns nicht verzetteln", sagt Sichert. (grh)