Schweden will Internetverkehr mit dem Ausland überwachen

Der schwedische technische Geheimdienst FRA soll nach dem Willen der Regierung in Stockholm die Befugnis erhalten, an 20 Knotenpunkten die gesamte ins Land gehende und ans Ausland gerichtete Netzkommunikation abzuhören.

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Der schwedische technische Geheimdienst FRA (Försvarets Radioanstalt) soll nach dem Willen der Regierung in Stockholm die Befugnis erhalten, an 20 Knotenpunkten die gesamte ins Land gehende und ans Ausland gerichtete Netzkommunikation abzuhören. Dies geht aus einem Gesetzesentwurf zur Verbesserung der militärischen Aufklärung hervor, über den das schwedische Parlament Mitte Juni abstimmen soll. Kritiker von der "European Digital Rights"-Initiative (EDRI) sprechen von einem "Orwellschen Gesetz", das auf eine "totale Überwachung" ausgerichtet sei.

Nach Angaben eines Vertreters der schwedischen Piratenpartei soll das Äquivalent zur National Security Agency (NSA) in den USA den Netzverkehr einschließlich E-Mails, VoIP oder Chats anhand von 250.000 Suchkriterien in Echtzeit automatisch überwachen. Alle schwedischen Behörden vom Landwirtschaftsministerium bis zur Polizei könnten demnach gezielte Anfragen und Suchwünsche stellen. Treffer könnten danach für eine gründlichere Analyse durch FRA-Mitarbeiter gespeichert werden. Für derlei Aufgaben scheint der Geheimdienst gerüstet zu sein. Laut einer Liste der öffentlich bekannten Supercomputer steht der Abhöreinrichtung das fünftschnellste Rechnersystem weltweit mit einer Leistung von 102,8 TFlop/s zu Diensten. Strafverfolger sollen zudem einzelne Überwachungsaufträge spezieller Kommunikationsaufträge beantragen dürfen.

Die FRA würde mit dem Gesetz die Vollmacht erhalten, nicht mehr nur Daten rund um "äußere militärische Bedrohungen", sondern zu "äußeren Gefährdungen" allgemein zu sammeln und auszuwerten. Im Einzelnen werden dabei etwa internationale Verbrechen, Drogen-, Menschen- oder Waffenhandel, religiöse oder kulturelle Konflikte, Rohstoffmangel oder Währungsspekulationen angeführt. Befürworter aus dem Regierungslager pochen auf die neuen Kompetenzen und betonen immer wieder, dass "nur" grenzüberschreitende Datenpakete erfasst würden und schwedische Bürger so kaum betroffen seien. Für eine detaillierte Inspektion würde zudem nur ein ganz geringer Anteil des Netzverkehrs herausgepickt.

Bei einer Anhörung haben zahlreiche Sachverständige unter anderem auch aus dem schwedischen Justizministerium den Vorschlag als zu weitgehend und nicht zum nationalen Rechtssystem passend bezeichnet. Die schwedische Polizeigewerkschaft warnte vor einem "Mangel an Verständnis für den Schutz der Privatheit der Bürger". Gegner des Gesetzes monieren ferner, dass die "allgemeine Überwachung" ohne richterliche Kontrolle vorgesehen sei. Selbst ein früherer FRA-Direktor sah in dem Vorhaben einen drohenden Verstoß gegen EU-Recht. Er brachte es zudem mit dem heftig umkämpften Abhörprogramm der US-Regierung mithilfe der NSA in Verbindung. Dazu passt, dass Schweden sich wiederholt gegen Auflagen im geplanten EU-Rahmenbeschluss zum Datenschutz im Sicherheitsbereich für den Transfer personenbezogener Informationen an Drittstaaten wie die USA gestemmt hat.

Laut Medienberichten haben sich US-Konzerne wie Google und skandinavische Telekommunikationsanbieter wie TeliaSonera ebenfalls entschieden gegen den Entwurf ausgesprochen, um den Datenschutz ihrer Nutzer nicht vollständig zu kompromittieren. Sie sollen damit gedroht haben, bei der sich derzeit abzeichnenden Verabschiedung des Gesetzes mit der Mehrheit der Regierungskoalition für den großen Lauschangriff aufs Internet ihre Server aus Schweden abzuziehen.

Hierzulande ist es dem Bundesnachrichtendienst (BND) gestattet, im Rahmen der strategischen Auslandsüberwachung der Telekommunikation bis zu 20 Prozent der internationalen Telekommunikation zu erfassen und maschinell nach Stichworten zu durchsuchen. Gemäß der umstrittenen Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) müssen alle Provider mit internationalen Netzknotenpunkten zudem eine spezielle "Auslandskopf-Überwachung" ermöglichen. An diesen Vermittlungsstellen müssen sie Schnittstellen für das Abhören von Nutzern implementieren, von denen lediglich ein bestimmter ausländischer Anschluss bekannt ist. Ein großer internationaler TK-Anbieter hat gegen diese Auflage in einem Verfahren des vorbeugenden Rechtsschutzes durchgesetzt, die nötigen Überwachungseinrichtungen vorerst nicht anschaffen zu müssen. (Stefan Krempl) / (jk)