AOL Time Warner: Bedrohung für den Journalismus?
Die Übernahme von Time Warner durch AOL hat eine Debatte über die Unabhängigkeit der Medien ausgelöst.
Die Übernahme des größten amerikanischen Medienkonzerns Time Warner durch den Internet-Giganten AOL hat in den USA auch eine Debatte über die Unabhängigkeit der betroffenen Medien ausgelöst. Das neue Konglomerat ist so groß und vielfältig, dass alle möglichen Formen von Interessenkonflikten denkbar sind.
"Wird AOL andere Onlinedienste als die der eigenen Time.com oder Entertainment Weekly oder Sports Illustrated überhaupt noch nutzen?", fragt der Medienkritiker der Washington Post, Howard Kurtz. "Können Fortune und CNN Financial News noch aggressiv über das Auf und Ab der AOL-Aktien berichten? Kann Time noch fair über AOL-Konkurrenten wie Yahoo oder Amazon.com schreiben?"
Für Experten wie den New Yorker Medienwissenschaftler Mark Miller sind solche Fragen schon mit einem klaren Nein beantwortet. "Es ist ebenso unwahrscheinlich, dass sie sich noch kritisch mit dem Internet beschäftigen, wie es unwahrscheinlich ist, dass TV-Reporter über die Auswirkungen von Gewalt im Fernsehen berichten", meint Mark Miller, Medienwissenschaftler an der New Yorker Universität. "Man berichtet nicht über sich selbst." Die New York Times verwies in einem Leitartikel auf die im Zeitungsgeschäft trotz aller Konzentration gewahrte Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung. "Solche Schutzwälle zwischen den vielfältigen Abteilungen dieser neuen Informatons-, Unterhaltungs- und Marketingiganten zu errichten, dürfte nicht so einfach sein."
Es überrascht kaum, dass die Verantwortlichen bei AOL alle Befürchtungen als böse Unterstellung abtun. Die Journalisten bei Time, CNN und den anderen Medien der neuen Firmenfamilie "werden das gleiche Maß an Unabhängigkeit haben wie bisher", versicherte AOL- Vizepräsident George Vradenburg. "Sie können schreiben, was sie für richtig halten."
Auch die Entwicklung des einst als demokratisches Medium für jedermann beschriebenen Internet zu einem von monopolartigen Großkonzernen kontrollierten Netzwerk lässt die Zweifler nicht verstummen. "Was ist gut an einem riesigen Apparat, der jeden erreichen kann?", fragt Miller. "Wir müssen dafür sorgen, dass nicht allein zwei oder drei Unternehmen die Informationen im Internet schleusen und kontrollieren können", warnte der Senator Patrick Leahy in einer Stellungnahme zum AOL-Deal.
Das Problem der "cross-ownership" von Industrie und Medien existiert in den USA schon länger. Der Zusammenschluss von AOL und Time Warner beleuchtet es nun allerdings mit neuer Dramatik. Doch ähnliche Fragen wurden auch schon gestellt, als der Disney-Konzern die Fernsehgesellschaft ABC gekauft hat und das frühere Elektrounternehmen General Electric sich deren Konkurrenz NBC einverleibte. Die Erfahrungen sind gemischt. Während ABC Probleme mit der Berichterstattung über Missstände in einem Disney-Themenpark hatte, verweisen Redakteure der Zeitschrift Sports Illustrated auf ihre kritischen Berichte über die Zustände beim Baseballteam Atlanta Braves. Es gehört der Muttergesellschaft Time Warner.
Die in Deutschland noch so gut wie unbekannte Übernahme von Medien durch branchenfremde Unternehmen birgt nach Ansicht von Kritikern aber auch noch eine andere Bedrohung: "Es geht nur noch ums Geschäft, nicht mehr um Qualität", sagt der Kommunikationswissenschaftler Robert McChesney. Und so traurig es auch sei: "Guter Journalismus ist oft ein schlechtes Geschäft und schlechter Journalismus ein gutes Geschäft." (Holger Schmale, dpa) (jk)