Kolumne: Bitte keine Revolution - auch nicht in der IT-Branche

Der Open-Source-Unternehmer, Weltraumtourist und Milliardär Mark Shuttleworth will die IT-Welt revolutionieren. Heise-resale-Kolumnist Damian Sicking hält das für eine ganz schlechte Idee.

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Von
  • Georg Schnurer

Lieber Milliardär und IT-Revolutionär Mark Shuttleworth,

die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) brachte am vergangenen Wochenende einen ganzseitigen Artikel über Sie. Ich muss gestehen, dass Ihr Name mir nichts sagte, aber ich habe den Beitrag trotzdem gelesen. Und dabei erfuhr ich, dass Sie in der Linux- und Open-Source-Welt ("Ubuntu") eine große Nummer sind. Völlig an mir vorbeigegangen bzw. nicht mehr in Erinnerung war auch, dass Sie als erster Afrikaner und zweiter Weltraumtourist überhaupt im Jahre 2002 zur Raumstation ISS geflogen sind. Die Fahrkarte für rund 20 Millionen Dollar konnten Sie sich nach dem Verkauf Ihres ersten Unternehmens Thawte Consulting an Verisign locker leisten (geschätzter Verkaufserlös: mehr als 500 Millionen Dollar).

Kurzum: Sie scheinen ein Mann zu sein, dem alles gelingt, sozusagen der Franz Beckenbauer Afrikas. Und klar, ein Mann, der die Weltkugel aus dem All gesehen hat, der ist mit irdischen Maßstäben nicht zu messen. Wer im Himmel war und aus dem Himmel zu uns herabgestiegen ist, der ist, ja, sprechen wir es ruhig aus, gottähnlich. Daher wundert es mich kein bisschen, dass Sie sozusagen als Missionar unterwegs sind. Dem FAS-Artikel ist zu entnehmen, dass Ihre Mission darin besteht, die IT-Welt revolutionieren. Wie genau diese Revolution aussieht, verrät der Artikel zwar nicht (hat vermutlich etwas mit Open Source, Linux, Ubuntu und ihrer Firma Canonical zu tun), aber ich bitte Sie inständig: Überlegen Sie es sich noch mal! Die Chance ist nämlich groß, dass Sie mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Revolutionen haben etwas mit Veränderungen zu tun. Veränderungen sind an sich nichts Schlimmes. Oft sind die nötig. Sie gehören zum Leben dazu. Was Revolutionen aber von "normalen" Veränderungen unterscheidet, ist ihre Radikalität. Revolutionen beabsichtigen immer eine Veränderung von Grund auf. Das macht sie so gefährlich. Denn das wesentliche Problem bei radikalen Veränderungen besteht darin, dass sie nicht nur die beabsichtigten Wirkungen, sondern auch unbeabsichtigte und vor allem unvorhersehbare Nebenwirkungen haben. Das macht sie nicht nur unvorhersehbar, sondern auch unkontrollierbar. Jede Veränderung hat neben ihren beabichtigten Wirkungen auch unbeabsichtige Nebenwirkungen. Im Falle von radikalen Veränderungen, also Veränderungen von Grund auf, sind diese Nebenwirkungen oder Nebenfolgen aber oft so stark, dass sie die eigentlich beabsichtigten Wirkungen der Veränderung überwiegen, so dass der Zustand nach erfolgter Revolution oft schlechter ist als vorher.

Deshalb dürfen radikale Veränderungen, also Revolutionen, immer nur das letzte Mittel, die "ultima ratio" sein. Nur wenn die Lage absolut kritisch oder bedrohlich ist und alle anderen, konservativen Versuche nicht weitergeführt haben, dann ist es an der Zeit, über radikale Veränderungen nachzudenken. Und dabei muss man sehr, sehr vorsichtig sein.

Das gilt im Übrigen auch für das Führen von Unternehmen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an das im Jahr 2001 erschienene Buch "Das revolutionäre Unternehmen" des amerikanischen "Gurus" Gary Hamel. Die Hauptthese: "Nur wer sich permanent neu erfindet und so das revolutionäre Unternehmen schafft, ist zukünftig erfolgreich." Das ist natürlich Unsinn. Lassen Sie mich die Absurdität der "Revolutionstheorie" von Hamel an folgendem Beispiel deutlich machen: In der Fußballbundesliga stehen die Vereine Cottbus, Mönchengladbach und Frankfurt momentan auf den letzten drei Plätzen. Nehmen wir an, die Saison ist zu Ende und die drei Teams müssen absteigen. Nach der Lehre Hamels kann die Vereine jetzt nur noch eine interne Revolution vor dem weiteren Niedergang retten (eigentlich hätte sie schon längst erfolgen müssen). Wie könnte die Revolution aussehen? Die könnte etwa so aussehen, dass die Präsidenten der drei Vereine beschließen, ihre Mannschaften wegen erwiesener Erfolglosigkeit nicht mehr beim Fußball, sondern ab der kommenden Saison beim Wasserball teilnehmen zu lassen. Das wäre eine Revolution! Das wäre Selbstmord.

Und wo ich schon dabei bin: Das Gefasel davon, dass sich Unternehmen "permanent" in Frage stellen müssen und "permanent" neu erfinden müssen, ist genau so ein Unsinn. Denn wer sich wirklich daran halten würde, der wäre unfähig zu handeln. Unternehmen und ihre Mitarbeiter brauchen Stabilität, Konstanz und auch das Vertrauen darin, dass es richtig ist, was sie tun. Was aber nicht bedeutet, sich nicht zu verändern. Nur eben nicht radikal.

Aber gut, viele Menschen, die das Wort "Revolution" benutzen, meinen es glĂĽcklicherweise gar nicht so. Sie sind gar nicht so radikal (Management-Guru Hamels ĂĽbrigens auch nicht). Oft ist es nur Marketing. Revolutionen verkaufen sich einfach besser als Evolutionen. Auch Sie, lieber Mark Shuttleworth, wollen sicher keine Revolution anzetteln, oder?

Beste GrĂĽĂźe

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale. (gs)