Sprechstunde bei Dr. Web

Keine Wartezimmer und keine unangenehmen Fragen: Der Online-Arzt DrEd stellt Diagnosen über das Internet – und lässt das Medikament per Post schicken. Ist das hilfreich oder verantwortungslos? Ein Selbstversuch.

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Von
  • Bernd Kramer

Keine Wartezimmer und keine unangenehmen Fragen: Der Online-Arzt DrEd stellt Diagnosen über das Internet – und lässt das Medikament per Post schicken. Ist das hilfreich oder verantwortungslos? Ein Selbstversuch.

Mich hat es erwischt. Beim Tippen tun die Finger weh, meine Arme, der Kopf, die Schläfen pochen, mir ist mal heiß, mal kalt. Dazu kommt Durchfall. Ich würde mich ungern zum Arzt schleppen. Warum auch? Im Durchschnitt nimmt sich ein Arzt in Deutschland acht Minuten Zeit für einen Patienten, hat die Krankenkasse Barmer errechnet. Guten Tag, wo tut es weh, bitte sehr, das Rezept. Für so wenig Aufmerksamkeit lohnt sich der Aufwand von Weg und Warten kaum. Geht es nicht auch ohne?

Ja – bei DrEd. Seit 2010 gibt es das Online-Angebot. Deutsche Ärzte stellen via Internet von London aus Diagnosen und verschreiben Medikamente – und umgehen so das deutsche Ferndiagnoseverbot. Per Mausklick zur Genesung. Klingt gut. Ist es das auch?

Ich registriere mich auf der Homepage von DrEd, Name, Geburtsdatum, Passwort. Schon kann ich dem Doktor mein Leiden schildern. "Ich habe kaum Kraft, zum Arzt zu gehen", jammere ich in meiner Mail. "Bahnt sich da ein Magen-Darm-Infekt an?" Senden.

Über 15000 Patienten haben die Online-Sprechstunde nach Unternehmensangaben schon besucht, über 25000 Behandlungen sollen bereits stattgefunden haben. Dabei stecken hinter dem Portal gerade einmal drei Ärzte. Kann das funktionieren? "Ferndiagnosen sind natürlich nur in einem begrenzten Spektrum möglich", sagt Jens Apermann, der deutsche Sprecher des Unternehmens. "Wir bieten nur Behandlungen an, die man jetzt schon gut und sicher aus der Ferne machen kann."

Ob Erektionsstörungen, Reisemedizin, Akne – all solche Wehwehchen lassen sich Apermann zufolge problemlos von der Stange behandeln. Es wäre etwa medizinisch nicht nötig, dass eine Frau alle drei Monate persönlich ihr Pillenrezept abholt. Doch für meinen Fieberkopf und den Durchfall hat DrEd keinen Rat. "Ihre Anfrage liegt außerhalb unseres Behandlungsangebots", schreibt am nächsten Morgen von London ein Arzt namens Sebastian Winckler und verweist mich an den Hausarzt.

Die Anfrage war frei, ein Rezept kostet bei DrEd zwischen 9 und 45 Euro. Das Geld könne man sich von der Krankenkasse erstatten lassen, steht auf der Homepage. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen weist dies zurück: Kosten für ausländische Ärzte würden nur in Ausnahmefällen erstattet, etwa auf Reisen oder wenn es keine Alternative in Deutschland gebe. Apermann verweist auf die europäische Rechtsprechung: Patienten hätten freie Arztwahl, die Kassen entsprechend zu zahlen – notfalls müsste man klagen. Aber wer will das? Ärztevertreter in Deutschland warnen lautstark vor ihrer neuen Konkurrenz. Und die Stiftung Warentest rät ebenfalls ab: Das Risiko einer Falschbehandlung sei zu hoch.

Eine Testerin der Stiftung klickte bei der Frage nach typischen Symptomen "Blasenschmerzen" und einige andere Symptome an, die auf Blasenentzündung hindeuten können – aber nicht müssen. DrEd bot ihr das Rezept für ein Antibiotikum an. Katrin Andruschow, Projektleiterin der Stiftung Warentest, fällt dafür nur ein Wort ein: verantwortungslos! Kommt man bei DrEd besonders leicht an verschreibungspflichtige Arzneien? Ich lege unter "Martha Großspecht" einen neuen Account an und wiederhole den Versuch: "Ihre Blasenentzündung" steht auf dem Web-Formular – das klingt wie: "Ihre Bestellung". Acht Symptome kann ich wählen und setze nur ein Häkchen bei "Blasenschmerzen". "Haben Sie außer diesen Beschwerden noch andere Symptome?" Ich klicke auf "ja", und ein neues Eingabefeld erscheint. Das ist neu.

Vor einem Jahr bei dem Versuch der Stiftung Warentest hatte der Online-Arzt noch auf die detaillierte Nachfrage verzichtet. Ich tippe ein: "Blut im Urin" und muss eine Einverständniserklärung abgeben. "Ich bin davon überzeugt, die Anzeichen einer Blasenentzündung erkennen zu können." Bin ich das? Gehe ich nicht zum Arzt, weil ich denke, dass er es besser erkennt? Ich setze dennoch ein Häkchen. "Sie können in der Zwischenzeit gern einen Blick auf unsere anderen Sprechstunden werfen", teilt DrEd mit. Ich fühle mich wie im Shopping-Center.

Die Antwort fällt kryptisch aus: "Ihre Symptome sind die einer akuten Blasenentzündung", schreibt wieder Sebastian Winckler, Facharzt für Allgemeinmedizin. "Nach sorgfältiger Bewertung Ihrer Antworten und Angaben musste ich jedoch entscheiden, dass eine Behandlung durch DrEd in Ihrem Falle nicht angemessen ist." Krank, aber kein Rezept? Ich schreibe eine Bettel-Mail, behaupte, keinen Hausarzt aufsuchen zu können und dass alles tierisch weh tue. "Ihre Symptome sind die einer akuten Blasenentzündung", antwortet mir Sebastian Winckler. "Nach sorgfältiger Bewertung Ihrer Antworten und Angaben musste ich jedoch entscheiden, dass eine Behandlung durch DrEd in Ihrem Falle nicht angemessen ist."

DrEd ist strenger geworden. Aber er überzeugt Katrin Andruschow nicht: "Eine Behandlung kann nicht funktionieren, ohne den Patienten gesehen zu haben." Vor allem aber: Bei Behandlungsfehlern haben Patienten es schwer – denn klagen könnten sie nur in England. Ich wandle Name und Geschlecht und probiere eine weitere Sprechstunde: Erektionsstörungen, laut Apermann eines der wichtigsten Geschäftsfelder von DrEd. Ich male ein düsteres Bild von meinem Liebesleben. "Wie würden Sie Ihre Zuversicht einschätzen, eine Erektion zu bekommen und zu halten?" "Niedrig", gebe ich an. Es werden Erkrankungen abgefragt, Diabetes, Schlaganfall, ich verneine stets.

Laut Apermann gibt es bei DrEd keine automatisierte Behandlung, nicht Computer, sondern Menschen würden entscheiden. "Jede Patientenakte geht an den diensthabenden Arzt, der schaut sie sich an." Sehr lang scheint der Blick des Arztes aber nicht zu dauern. Keine 15 Minuten später habe ich Antwort. "Ich halte eine medikamentöse Behandlung in Ihrem Falle für hilfreich und angemessen und biete Ihnen diese gern an", schreibt Sebastian Winckler. Keine Nachfragen, keine Messungen, nichts. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so unkompliziert an Viagra komme.

Drei Tage später liegt ein Brief aus London in meinem Postkasten. Das Rezept sieht aus wie ein Werbeflyer, kein Stempel, dafür die Unterschrift von Sebastian Winckler: "4 Tabletten Sildenafil 50 mg". Der Apotheker schaut verdutzt und empfiehlt mir, das Rezept von einem Urologen in ein Privatrezept umschreiben zu lassen. "Wir dürfen es so leider nicht annehmen."

Wieder falsch, erklärt mir Jens Apermann von DrEd. "Eine Apotheke, die Rezepte aus dem europäischen Ausland ablehnt, handelt rechtswidrig." Er empfiehlt: einfach zur nächsten gehen! Man könne sich das Medikament auch von einer Versandapotheke kommen lassen. DrEd kümmere sich dann darum. Wolfgang Bühmann, Sprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen, ist entsetzt. Bei Männern mit Potenzproblemen messe er den Blutdruck, mache Ultraschallbilder des Penis; die Beschwerden können viele Ursachen haben. "Ich muss einen Patienten sehen, um zu beurteilen, wie gesund er ist", sagt Bühmann. "Ankreuzen kann man ja alles Mögliche."

Die meisten Ärzte gingen aber doch auch nur Symptomlisten durch, meint Apermann. "Wir können nie besser sein als ein idealer Arzt, aber wir sind oft besser als mancher reale Arzt." Katrin Andruschow von der Stiftung Warentest überzeugt das dennoch nicht. Natürlich gebe es keine Garantie, dass sich ein niedergelassener Arzt besser um seine Patienten kümmert. "Aber das kann kein Argument sein, um von vornherein eine unzureichende Form der Behandlung anzubieten." (bsc)