Ein Bildschirm ist nicht genug

Fernsehen und gleichzeitig mit Tablet oder Smartphone im Internet surfen: Der Trend geht zum "Second Screen". TV-Sender versuchen deshalb, den zweiten Bildschirm mit eigenen Inhalten zu füllen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Bernd Müller
Inhaltsverzeichnis

Fernsehen und gleichzeitig mit Tablet oder Smartphone im Internet surfen: Der Trend geht zum "Second Screen". TV-Sender versuchen deshalb, den zweiten Bildschirm mit eigenen Inhalten zu füllen.

Kate Harff ist 30 und ausgebrannt. Sie macht was mit Kunst und schlägt ihre Zeit auf Facebook und Twitter tot. Dann kommt der digitale Burnout – und sie fasst einen Entschluss: Sie lässt sich in die Nervenklinik einweisen und begibt sich mit Therapeuten auf Spurensuche in ihrem bisherigen Leben. Mit ihr auf der Reise ins Ich: Zuschauer des TV-Senders Arte.

Kate – gespielt von Natalia Belitski – dokumentiert im Film ihre Therapieerfahrungen auf Facebook, parallel erscheinen diese "in echt" auf dem sozialen Netzwerk. Die Zuschauer posten Kommentare, nehmen an virtuellen Therapiesitzungen teil oder laden Videos über ihren eigenen Wahnsinn hoch. Die 14-teilige Serie "About:Kate", die im Sommer auf Arte ausgestrahlt wurde, gilt als eines der innovativsten Fernsehformate, das je über deutsche Mattscheiben flimmerte.

Vor allem mit der engen Einbindung von Smartphone und Tabletcomputer setzte "About:Kate" Maßstäbe. Während die Sendung lief, stellte eine App für Android- und Apple-Geräte synchron Informationen bereit, etwa Kates Einträge auf Facebook, auf die der Zuschauer direkt antworten konnte. Second Screen – zweiter Bildschirm – heißt dieser Trend, der die TV-Branche derzeit in Atem hält. Immer mehr Zuschauer konzentrieren sich nicht voll auf das Programm, sondern surfen, posten und shoppen nebenher auf einem Tablet oder Smartphone.

Für die Sender ist der Trend eine Bedrohung, denn wenn die Aufmerksamkeit für den "First Screen" – den Fernseher – nachlässt, drückt das die Preise, die ein Sender für seine Werbeblöcke verlangen kann. Deshalb arbeiten alle Fernsehanbieter an Konzepten, ihre Inhalte auf die Second Screens auszudehnen, ihren Zuschauern also über das Fernsehformat hinaus so überzeugende Inhalte und Interaktionsmöglichkeiten zu bieten, dass sie sich auch auf dem Smartphone mit der Sendung beschäftigen.

Dabei konkurrieren die Fernsehanstalten mit unabhängigen Anbietern von Werbe- und Quiz-Apps, die sich ein Stück vom Aufmerksamkeitskuchen abschneiden wollen. So kann man sich mit der App von Wywy in TV-Sendungen wie "Big Bang Theory" einchecken, mit Freunden über den verklemmten Physik-Nerd Sheldon chatten und Punkte für "coole Prämien", etwa Einkaufsgutscheine, sammeln.

Boris von Heesen bezweifelt allerdings, dass dieser Ansatz nachhaltig ist. "Manche Start-ups glauben, sie könnten das TV-Programm entern, indem sie den Second Screen besetzen", sagt der Gründer von Anywab, einer Unternehmensberatung für digitales Feedback in Darmstadt. Die TV-Sender dagegen seien klar im Vorteil, weil sie passgenau Zusatzinfos zu ihren Formaten anbieten könnten. "Wer den Second Screen beherrschen will, muss die Kontrolle über den First Screen haben."

Boomt Second Screen also wirklich, oder ist es nur ein künstlicher Hype, mit dem die Internetbranche die TV-Konkurrenz vor sich herzutreiben versucht? Bei "About:Kate" beispielsweise sah kaum jemand hin: Die Folgen liefen um Mitternacht, und nur wenige Hundert Zuschauer waren aktiv dabei. Bei Insidern mache sich eine gewisse Ernüchterung breit, hat von Heesen festgestellt. In einer Studie mit 2000 Webnutzern zwischen 14 und 49 Jahren hat Anywab die Nutzung von Second Screen vor einem Jahr genauer untersucht.

Demnach surfen 83 Prozent der Befragten zumindest gelegentlich im Internet, während sie vor dem Fernseher sitzen. Nicht alle verwenden das Netz jedoch als Second Screen: Drei Viertel der Parallelnutzer lesen und schreiben E-Mails, zwei Drittel sind zudem auf Facebook unterwegs, 28 Prozent stöbern in Online-Shops wie Amazon oder Zalando. Die Nutzung des mobilen Endgeräts als Ergänzung zum TV-Programm liegt weit dahinter.

Nur vier Prozent der Befragten haben bereits an einer Online-Aktion der Sender teilgenommen. Die meisten von ihnen beim Privatsender RTL, dessen App "RTL Inside" knapp vor der "Tagesschau"-App der ARD liegt. Alle anderen sind weit abgeschlagen, darunter auch die "Sportschau"-App.

Trotzdem bleibt das Problem bestehen: Die Zuschauer surfen vor der Glotze und schauen damit weniger fern. Warum sie überhaupt beides parallel tun, hat RTL-Vermarkter IP Deutschland in der Studie "Kartografie von Bewegtbild III" ermittelt. Häufige Motive sind "Leerstellen im Programm überbrücken", "mehr Relevanz durch Zusatzinformationen", "Herstellen von Gemeinschaftsgefühl" oder "Mitgestalten".

Mit verschiedenen Ansätzen versuchen die TV-Anstalten, die Aufmerksamkeit zurück auf ihre Programminhalte zu lenken. Die ARD bietet für ihre Flaggschiffe wie "Tagesschau" oder "Sportschau" jeweils eigene Apps an, die Privatsender verfolgen eher die Strategie "eine App pro Sender". Michael Heise, Leiter Games und Produktinnovation bei RTL, hält separate Apps für jedes Format für nicht sinnvoll. Der Kölner Privatsender hat nur zwei im Angebot: RTL Now, die TV-Inhalte als Livestream oder zeitversetzt aus einer Mediathek abspielt, sowie RTL Inside, über die alle Second-Screen-Inhalte angeboten werden. 2,5 Millionen Mal wurde RTL Inside schon heruntergeladen. Für die erste Million brauchte es ein Jahr, für die zweite Million nur ein halbes – "und das Tempo beschleunigt sich weiter", sagt Heise.

Bestimmte Sendungen, etwa "Wie tickt Deutschland?", ein Quiz, bei dem Promis auf Umfrageergebnisse tippen, sorgen an einem Tag für Downloadzahlen im sechsstelligen Bereich. Etwa 30-mal am Tag schickt RTL Inhalte zu Sendungen auf den Second Screen: Quizfragen, Diättipps, zusätzliche Kameraperspektiven und vor allem Umfragen: Dort können die Zuschauer entscheiden, ob sie Peer Steinbrücks Stinkefinger gut fanden oder ob Moderatorin Katja Burkard mit dem "Let's Dance"-Gewinner Cha-Cha-Cha oder Tango tanzen soll. Zur Unterstützung der Werbekunden sei der Second Screen zwar auch gedacht, so Michael Heise, "aber er ist für uns vorrangig kein Vehikel zum Geldverdienen, sondern dient in erster Linie zur Zuschauerbindung".