Navigationsprojekt für blinde Fußgänger

Die Kooperationsgemeinschaft Nav4blind entwickelt ein hochgenaues Navigationssystem, mit dem die Mobilität von blinden und stark sehbehinderten Menschen verbessert werden soll.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Per Busch
  • Dr. Jürgen Rink

Nav4blind entstand ursprünglich durch eine Initiative des Landkreises Soest. Die treibende Kraft dahinter ist Jörn Peters, einem Mitarbeiter des Katasteramts in Soest. Das Ziel dieser Gemeinschaft ist ein Navigationssystem, das genau genug für die Bedürfnisse blinder Fußgänger ist. Es wird wie bei einem Autonavigationssystem funktionieren: Der Nutzer gibt ein Ziel an, und das System leitet ihn dorthin. Nav4blind muss dabei aber wesentlich präziser sein. Bis auf zehn Zentimeter genau soll es die aktuelle Position des Anwenders bestimmen und diesen durch exakte Angaben zur Lage von Bürgersteigen, Ampelpfosten, Fußgängerüberwegen, Hauseingängen, Treppen und gefährlichen Stellen bei der Suche des Weges unterstützen. Blinde und stark sehbehinderte Menschen sollen bei ihren Alltagsgängen oder in einer fremden Umgebung in sichere Korridoren geleitet werden.

Zudem wird Hintergrundwissen über die aktuelle Umgebung oder einen geplanten Weg und dessen Ziel abgerufen werden können. Dazu gehören Informationen über die Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs oder beispielsweise die auf den aktuellen Aufenthaltsort bezogene Bereitstellung eines Wikipedia-Artikels zu einer touristischen Sehenswürdigkeit. Blinden Menschen sollen so neue Wege eröffnet werden, Informationen über ihre städtischen und natürlichen Umgebungen zu erhalten und diese über eine Routenführung aktiv kennenlernen zu können. Die Entwicklung barrierefrei bedienbarer mobiler Informations- und Navigationssysteme für blinde und sehbehinderte Menschen verbessert auch die Benutzerfreundlichkeit für ältere Personen und Mitbürger mit Konzentrationsproblemen oder Leseschwächen. So werden neue Möglichkeiten zur gesellschaftlichen und digitalen Teilhabe eröffnet. die Menschen werden selbstständiger und fühlen sich sicherer.

Nav4Blind startet als Pilotprojekt in der Innenstadt von Soest, in Bad Sassendorf sowie am Möhnesee und soll dann auf die ganze Region ausgeweitet werden. Nach dieser Projektphase sollen die Ergebnisse bundesweit übertragen und später auch für ähnliche Projekte im Ausland genutzt werden. Das Konzept wird in einer breit aufgestellten Public Privat Partnership umgesetzt.

Um die hohe Ortsgenauigkeit zu erreichen, werden die detailreichen Daten des amtlichen Liegenschaftskataster-Informationssystems mit den Möglichkeiten von Mobil- und Lokalisierungstechniken wie dem Satellitenpositionierungsdienst der deutschen Landesvermessung kombiniert. Die Ausgabe der Informationen und Hinweise erfolgt akustisch und taktil. Mit Nav4blind soll die Navigation in Zukunft auch innerhalb von Gebäuden funktionieren. Zur Ermittlung der genauen Position werden dann RFID und Funknetze eingesetzt.

Am 13. Mai wurde die Initiative im Rahmen der Wettbewerbsreihe "365 Orte im Land der Ideen“ ausgezeichnet. Dieser Wettbewerb gehört zur Kampagne "Deutschland – Land der Ideen", einer gemeinsamen Image- und Standortinitiative der deutschen Bundesregierung und Wirtschaft. Das Ziel der Kampagne ist die Vermittlung eines positiven Deutschlandbildes im In- und Ausland. Am gleichen Tag fand in Soest paralell zur Preisverleihung die Veranstaltung "Wie sieht und navigiert ein blinder Mensch“ statt. Dabei wurden unter anderem neue Technologien für die Fußgängernavigation dieser Personengruppe präsentiert.

Mit zu Nav4blind gehören Initiativen und Firmen, die zum Teil gerade erst gegründet werden. Vor Kurzem hat die im Aufbau befindliche Firma Geo Mobile ihre Webpräsenz vorgestellt. Drei Mitarbeiter eines Fraunhofer-Instituts gründeten dieses Start-up-Unternehmen. Am Gemeinschaftsstand von Siemens C-Lab und Offis wurden ausgewählte Ergebnisse des EU-Förderprojekts Enabled vorgestellt. Dort konnte man einen zur taktilen Navigation dienenden Vibrationsgürtel und akustische Landkarten ausprobieren. Elumo entwickelt die Texterkennungssoftware mSpeak, die auf Nokias Symbian-Handys läuft. Solche Lösungen sind nicht nur für blinde Menschen wichtig, sondern können für Analphabeten oder Menschen mit Leseschwächen ebenfalls sehr hilfreich sein. Das anfänglich iSpeak genannte Produkt war einer der Preisträger des Gründerwettbewerbs "Mit Multimedia erfolgreich starten" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und wurde 2008 auf der CeBIT prämiert.

Bis die Ziele von Nav4blind realisiert werden können, ist noch viel Arbeit notwendig. Gemeinsam mit dem Kreis Soest haben weitere Beteiligte einen Projektantrag für ein Förderprogramm bei der Landesregierung Nordrhein-Westfalens eingereicht. Falls dieser Antrag positiv beschieden wird, können die Umsetzungsarbeiten noch in diesem Jahr beginnen. Das System könnte dann frühestens ab 2010 in Soest voll einsatzbereit sein. Das Unterprojekt „Guide4Blind – Neue Wege für und mit dem Tourismus für blinde und stark sehbehinderte Menschen“ wurde am 26. Mai nach einem Wettbewerb bereits als förderungswürdig anerkannt.

Das Katasteramt des Landkreises Soest, Siemens C-Lab und Offis beteiligten sich als Nav4Blind-Mitglieder außerdem erfolgreich am Antrag des europäischen Förderprojektes Haptimap, das im Herbst 2008 mit insgesamt 13 Partnern starten wird. In diesem Projekt werden Multimodale Benutzerschnittstellen für Landkarten, standortbezogene Dienste und Navigationsgeräte entwickelt, die in sechs verschiedenen europäischen Regionen erprobt werden. Das System soll Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen Unterstützung bieten. Dazu muss das Kartenmaterial mit entsprechenden Informationen angereichert und aufbereitet werden.

Im Zusammenhang mit Galileo wurde die Navigation für blinde und sehbehinderte Menschen in den Katalog der Fördermaßnahmen des europäischen Satellitenprojekts aufgenommen. Durch einen Aktionsplan sollen noch in diesem Jahr besonders kleinere Unternehmen und Startups in Förderprojekte einbezogen werden. Die Nav4blind-Gemeinschaft dient der EU dabei als Ansprechpartner bei fachlichen Fragen. (Per Busch) (jr)