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Was war. Was wird.

Es ist eigentlich ganz einfach: Das Grundgesetz darf nicht mit Geheimverträgen ausgehebelt werden. Aber ach, was so streitbar ist an dieser Demokratie, das ufert allzu schnell ins undemokratische aus, merkt Hal Faber an.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wie hätten's denn gern, ihr Verfassungsbrötchen, der Herr? Dicke Scheibe Fleisch, mit süßem oder scharfen Senf? Und das Volk soll das Maul halten, bittschön? Aber gerne doch." Und so dürfen wir denn lesen, nicht in der Bäckerblume, sondern in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum G-10-Gesetz von 1970:

"Auch die Ersetzung des Rechtsweges durch eine anderweitige Rechtskontrolle verletzt im vorliegenden Falle nicht die Menschenwürde. Zwar verlangt die Rücksicht auf die Subjektqualität des Menschen normalerweise, dass er nicht nur Träger subjektiver Rechte ist, sondern auch zur Verteidigung und Durchsetzung seiner Rechte den Prozessweg beschreiten und vor Gericht seine Sache vertreten kann, in diesem Sinne also Gerichtsschutz genießt. Es gibt aber seit je Ausnahmen von dieser Regel, die die Menschenwürde nicht kränken. Jedenfalls verletzt es die Menschenwürde nicht, wenn der Ausschluss des Gerichtsschutzes nicht durch eine Missachtung oder Geringschätzung der menschlichen Person, sondern durch die Notwendigkeit der Geheimhaltung von Maßnahmen zum Schutz der demokratischen Ordnung und des Bestandes des Staates motiviert wird."

Dagegen gab es beim Verfassungsgericht bereits 1970 etliche Einwände, die im Minderheitsvotum formuliert wurden:

"Der nach Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG mögliche heimliche Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers unter Ausschluss des Rechtsweges trifft nicht nur Verfassungsfeinde und Agenten, sondern gleichfalls Unverdächtige und persönlich Unbeteiligte. Auch ihr Telefon kann abgehört, ihre Briefe können geöffnet werden, ohne dass sie jemals etwas davon erfahren und ohne dass sie imstande sind, sich zu rechtfertigen, oder -- was für die Betroffenen von äußerster Wichtigkeit sein kann -- sich aus einer unerwünschten Verstrickung zu lösen. /../ Die 'Staatsraison' ist kein unbedingt vorrangiger Wert. Verkennt der Gesetzgeber die Schranken, so kehrt die 'streitbare Demokratie' gegen sich selbst."

Bekanntlich hat Edward Snowden in dieser Woche auf schriftliche Fragen von EU-Parlamentariern  geantwortet und davon berichtet, dass Deutschland das G-10-Gesetz auf Druck der NSA geändert hat. So richtig neu ist das nicht. Bereits im November 2013 lief eine Sendung des ARD-Magazins FAKT über den BND, in der behauptet wurde:

"Damit die Erhebung und Auswertung wenigstens halblegal stattfindet, ließ sich der BND 2008 vom britischen Geheimdienst helfen, das entsprechende Gesetz neu zu formulieren. Das Ergebnis: Da Daten ständig über Ländergrenzen fließen, wurde der gesamte Datenverkehr per Gesetz zu Auslandskommunikation erklärt - und die darf der BND abhören."

*** Seitdem versuchen heftig diskutierende Juristen vergeblich, diese Gesetzesänderung im Jahre 2008 durch den BND und das britische GCHQ zu finden. Sinnigerweise gibt selbst der in der G10-Kommission sitzende Grünen-Parlamentarier in der Sendung zu, dass dies ein "höchst interessanter Vorgang" sei. Mit der Aussage von Snowden ist das Problem der heimlichen Grundgesetzänderung wieder auf dem Tisch, schließlich ist bei ihm ausdrücklich davon die Rede, dass Anwälte der NSA und des GCHQ sehr hart daran arbeiten, in den Gesetzen von EU-Ländern Gesetzeslücken zu finden, mit denen das Ausschnüffeln begründet oder legalisiert werden kann. Abseits einer geheimen G-10-Gesetzesänderung gibt es nichts, was derartigen Datenverkehr anbelangt. Erinnert sei an die entsprechende Anfrage der Linksfraktion und die Antwort der Bundesregierung vom letzten Oktober:

"Für eine Telekommunikationsüberwachung durch ausländische Stellen bieten weder das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut noch sonstige Vorschriften des deutschen Rechts eine Grundlage."

*** Bekanntlich ist auch der Historiker Josef Foschepoth der Auffassung, dass in geheimen Archiven Befugnisse existieren, die sowohl die Schnüffelei der NSA gestatten als auch hauseigene Überwachung durch den deutschen Nachrichtendienst BND. Für Juristen ist die Sache einfach: Das Grundgesetz darf nicht mit Geheimverträgen ausgehebelt werden. Wenn die Bundesregierung dies im Jahre 2008 gemacht hat, hat sie eindeutig verfassungswidrig gehandelt, an der Grenze zum Hochverrat. Die große Koalition von CDU/CSU und SPD, die damals im Amt war, wird alles tun, die Verträge weiterhin geheim zu halten. Wenn die gesetzlichen Schutzmechanismen "dank" der Geheimabkommen nicht greifen, hat sich die Idee mit der streibaren Demokratie erledigt.

*** Jede "Digitale Agenda", deren Umsetzung morgen auf der CeBIT verkündet werden soll, ist dann nur ein weiteres Stückchen Überwachungstechnik. Jede Rede von der offenen Gesellschaft ist damit obsolet. Auf eine neue Digitalpolitik, die die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde retten soll, kann verzichtet werden.

*** Dies gilt auch für andere Länder, etwa in Großbritannien, wo man im Zuge von Snowden entdeckt hat, dass die beim Innenministerium angesiedelte Kontrollbehörde für das GCHQ selbst eine Geheimbehörde ist. Und mit mit Julian Assange kann man sich in den USA die Frage stellen, wer hier eigentlich die Hosen anhat.

*** Der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion wurde vorab gemeldet, doch nicht beachtet. Gleiches gilt für die Attacke der japanischen Luftwaffe auf Pearl Harbour. Der israelische Nachrichtendienst hatte mehr als 400 Hinweise auf den Beginn des Yom-Kippur-Krieges 1973, beim Beginn des Golfkrieges 1991 hatte der "klassische" US-Dienst CIA drei Dutzend Hinweise über einen irakischen Angriff auf Kuwait. Wieviel vorab von der Aktion Russlands bekannt war, die Krim mit Hilfe "anonymisierter" Truppen heim ins Reich zu holen, werden künftige Historiker klären können. Immerhin war ja das Skript bekannt, dank Tom Clancy und Mark Greany. Der Kampf findet im Infospace mit Big Data statt und wird mit IBM-Software, dem i2 Analyst’s Notebook, ausgefochten, bei uns bekannt als BKA-Software, die Kreuztreffer finden soll.

Was wird.

Der BND und das GCHQ, pardon, natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr britischer Kollege David Cameron sowie VW-Chef Martin Winterkorn eröffnen heute Abend die CeBIT. Am nächsten Tag gibt es noch einen Rundgang, doch ohne Händeschütteln verdienter Industrievertreter: Schließlich hat Merkel beim Datenschutz alle Hände voll zu tun. Anschließend werden die drei deutschen Internetminister wie erwähnt die Digitale Agenda vorstellen. Für knisternde Spannung ist also gesorgt, zumal in diesem Jahr das NSA-Thema die Messe beschwingt. Man nehme Firmen wie Lamapoll, die in der Presseerklärung Schlimmstes befürchten: "Stell dir vor, du führst eine Online-Umfrage durch und die NSA liest mit!" Ja, was könnte die NSA da für Erkenntnisse über den Konsumterror sammeln! Endlich reagieren die richtigen Macker von IT und Mittelstand auf die NSA und bieten deutsche Wertarbeit. Denn geben wir es mit Sandro Gayken zu: Es geht nichts über solide Füße. Die Hacker, die Nerds, die sollte man einfach vergessen.

"Und ich hoffe auch, dass die sogenannte Netzgemeinde endlich an den Rand gedrängt wird und sich nicht mehr so intensiv an den Debatten beteiligen darf. Blattmacher wie Frank Schirrmacher freut es natürlich, wenn es Sascha Lobo oder halbstarke Informatiker in der FAZ knallen lassen. Doch die haben einfach versagt. Sie verkörpern genau jene Ingenieursperspektive, die technisch zwar total fit ist, die man aber politisch und wirtschaftlich nicht gebrauchen kann. Wir müssen diese Diskussion auf solide Füße stellen."

Toll ist auch, wie die CeBIT wieder wächst, von 4100 Ausstellern im letzten Jahr auf nunmehr 3400, allesamt schwerst fokussiert auf den Business-Aspekt von "Datability". Aus diesem Grunde gibt es endlich wieder einen Businnes Run für solide Füße in Laufschuhen, sogar mit einem Liveticker auf Facebook. Wer keinen Plan hat, kann es ja mit dem Auftritt von Steve Wozniak versuchen, dem "Genie mit Herz", zu dem die Konferenz-Broschüre dräuend fragt: "Wo wären wir ohne ihn?"

Ja, wo wären wir denn ohne Steve Wozniak? Vielleicht auf dem VCFE, das im Mai startet und gerade Anmeldungen für das diesjährige Ausstellungsthema Paradiesvögel und Exoten sucht. Man nehme nur den Robotron Z1013, der dem Nerd Constanze Kurz das Leben in der DDR erträglich machte, wie sie der Süddeutschen Zeitung im Wochenende-Interview erzählt, passend zum Frauentag:

"Nerds, ob männlich oder weiblich, haben ihren Stolz. Ich erlebe das bei Hackerinnen, ob in Deutschland oder international, dass die keinen Bock haben, über ihr Frausein zu reden. Ich bin Techie, ich will über Technik reden." (jk)