Mathematik zwischen Genie und Wahnsinn - zum 80. Geburtstag von John Nash

Der Mathematiker und Nobelpreisträger John F. Nash, bekannt durch den Hollywood-Film "A Beautiful Mind", wird heute 80 Jahre alt.

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Von
  • Ralf Bülow

An einem Aprilabend des Jahres 1959 tragen zwei Polizisten in Zivil einen Mann, der sich vergeblich wehrt, zu ihrem Auto, das vor einem Haus in einem Vorort von Boston parkt. Sie fahren zum nahegelegenen Städtchen Belmont und liefern ihn im McLean Hospital ab, einer großen psychiatrischen Klinik. Es ist das vorläufige Ende der Karriere von John Nash, des besten amerikanischen Mathematikers seiner Generation, und es dauert danach Jahrzehnte, bis er wieder ein normales Leben führen und für seine Leistungen die verdiente Anerkennung finden kann.

John Forbes Nash jun. wurde vor 80 Jahren am 13. Juni 1928 in der Kleinstadt Bluefield im US-Bundesstaat West Virginia geboren. Sein Vater arbeitete als Elektroingenieur, die Mutter war ausgebildete Lehrerin. Nash absolvierte die High School, wo er sich vom normalen Schülerleben zurückhielt, und ging 1945 nach Pittsburgh an die Technische Hochschule, die heutige Carnegie Mellon University. Hier studierte er Chemie, wechselte aber zur Mathematik und erhielt 1948 ein Stipendium für eine Elite-Hochschule an der Ostküste.

Nash entschied sich für die Universität Princeton, deren mathematische Abteilung die beste des Landes und nachhaltig durch Immigranten aus Europa geprägt war. Hier wirkten Stars wie Emil Artin, Alonzo Church, William Feller oder Solomon Lefschetz sowie Superstar John von Neumann. Vom benachbarten Institute of Advanced Study schauten gelegentlich die Halbgötter Albert Einstein und Kurt Gödel vorbei. Binnen zwei Jahren beendete Nash seine Dissertation zur Spieltheorie, in der er das Konzept des nichtkooperativen Spiels und als optimale Strategie das später nach ihm benannte Nash-Gleichgewicht vorstellte.

Ein populäres Beispiel eines solchen Spiels ist der "Kampf der Geschlechter". Ein Mann und eine Frau, die an verschiedenen Orten in der Stadt sitzen, wollen gemeinsam den Abend verbringen. Ihre Handys sind kaputt, sodass sie nur durch Vernunft gelenkt losmarschieren, natürlich in der Hoffnung, am Ziel den Partner vorzufinden. Zur Wahl stehen ein Fußballmatch, was der Mann präferiert, und ein Konzert, die Vorliebe der Frau. Wer geht nun wohin?

In Nashs Theorie gibt es zwei Gleichgewichte, also Lösungswege, die den Abend retten: Mann und Frau sehen sich entweder beim Fußball oder beim Konzert. Dabei bleibt offen, wie sie zu ihren Entscheidungen kommen. Einfacher ist es, wenn das Spiel mehrmals hintereinander abläuft: Hier existiert eine Wahrscheinlichkeit, mit der die Partner zu Sport oder Musik gehen sollten, um sich möglichst oft zu treffen. Generell gilt für Nash-Gleichgewichte, dass keiner der Beteiligten durch ein isoliertes Abweichen von der Strategie seinen Nutzen mehren kann.

Neben dem Gleichgewicht entwickelte der junge Mathematiker in Princeton noch die Nash-Verhandlungslösung und fand den Nash-Einbettungssatz, ein überraschendes Resultat aus der reinen Mathematik. Ab 1951 lehrte er in Boston am MIT, wo er unter anderem das 19. Hilbertsche Problem löste. In den Sommerferien jobbte er in der RAND Corporation, der legendären kalifornischen "Denkfabrik", wo er sich auch mit Programmieren beschäftigte. 1957 heiratete er eine Studentin, Alicia Larde, die einer großbürgerlichen Familie aus El Salvador entstammte.

Wie weit sich Nashs Krankheit in seinem exzentrischen Auftreten und eigenwilligen Sexualleben andeutete, sei hier nicht erörtert. Der Zusammenbruch kam jedenfalls im Frühjahr 1959, als er von so intensiven Wahnvorstellungen heimgesucht wurde, dass eine Einweisung ins Krankenhaus unvermeidbar war. Nach zwei Monaten im McLean Hospital kündigte er beim MIT und fuhr mit seiner Frau für ein Jahr nach Europa, wo er erfolglos um politisches Asyl nachsuchte. Nach der Rückkehr in die USA brachten zwei Klinikaufenthalte nur temporäre Besserung – Nash blieb in den Klauen der paranoiden Schizophrenie. Allerdings erlebte er immer wieder lichte Momente und konnte wissenschaftlich arbeiten. 1978 erhielt er eine Auszeichnung für Betriebswirtschaft.

Nach drei Jahrzehnten vermochte Nash das Leiden abzuschütteln. Zugleich lenkte die zunehmende Verbreitung der Spieltheorie die Aufmerksamkeit der Experten auf seine Texte, und auch deutsche Forscher setzen gerne seine Ideen um. Das Happy End ist bekannt: 1994 gewann John Nash zusammen mit John Harsanyi und Reinhard Selten den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Zur globalen Persönlichkeit wurde er durch den Spielfilm "A Beautiful Mind" nach der gleichnamigen Biographie von Sylvia Nasar.

Spätestens seit seinem Nobelpreis ist Nash, wie man so schön sagt, ein normaler Mensch und in der Lage, objektiv über seine Vergangenheit zu sprechen. Er arbeitet wieder in der Universität Princeton, die zu seinen Ehren eine Konferenz mit prominenten Gästen ausrichtet. (Ralf Bülow) / (jk)