Verfassungsgericht bereitet Grundsatzentscheidung zu Wahlcomputern vor

In Karlsruhe wurde heute über die Beschwerde gegen die Verwendung von Wahlcomputern bei der letzten Bundestagswahl verhandelt. Die Richter ließen dabei durchblicken, dass ihre Entscheidung Auswirkungen auf eine ganze Reihe von Wahlsystemen haben wird.

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Von
  • Richard Sietmann

Zweiter Senat des Bundesverfassungsgerichts. Vierter von rechts der Vorsitzende Prof. Dr. Vosskuhle

(Bild: BVerfG)

In der mündlichen Verhandlung der Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Verwendung von Wahlcomputern zur elektronischen Stimmerfassung und -zählung bei der Bundestagswahl im September 2005 mussten sich am heutigen Dienstag in Karlsruhe neben den Beschwerdeführern auch die politischen und behördlichen Verfechter der elektronischen Wahlmaschinen den Fragen des Bundesverfassungsgerichts stellen. Während die Beschwerdeführer das Prinzip der Öffentlichkeit der Wahlhandlung zum Schutz vor Manipulationsrisiken einfordern, betonten die zur Anhörung geladenen Vertreter aus Politik und Praxis die praktische Erleichterung der Stimmabgabe für Wähler und Wahlämter.

Für den Deutschen Bundestag hielt der stellvertretende Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses, der Abgeordnete Carl-Christian Dressel, die Fahne für die verwendeten Nedap-Wahlgeräte hoch. Aus dem Umstand, dass eine Wahl – ob mit oder ohne Wahlcomputer – manipuliert werden könnte, "folgt nicht, dass die Wahlgesetze verfassungswidrig sind". Deshalb bestünde aus Sicht des Deutschen Bundestages kein Grund, an der Gültigkeit der letzten Wahl zu zweifeln. Vielmehr hätten die eingesetzten Wahlgeräte dazu beigetragen, "dass sich der Wählerwille exakt im Wahlergebnis niederschlagen kann". Die Kommunen hätten "nicht unerhebliche Investitionen getätigt", argumentierte Dressel für die normative Kraft des Faktischen und bekräftigte: "Der Einsatz von Wahlgeräten soll weiterhin ermöglicht werden." Und was Manipulationsrisiken angehe, vertraue er hier "auf die generalpräventive Wirkung des Strafrechts".

Der hessische Landeswahlleiter Dr. Wolfgang Hannappel räumte ein, dass es seit der letzten Landtagswahl "eine gewisse Verunsicherung" in der Wahlbevölkerung gebe; dies sei das Ergebnis der öffentlichen Diskussionen. Den Einsatzberichten zufolge seien die Wähler jedoch zufrieden gewesen. "Das waren die Berichte der Kommunen, die sind an einem positiven Ergebnis interessiert", widersprach Till Jaeger als Vertreter der Beschwerdeführer dem Bild, wie Hannappel "die schöne, heile Welt" zeichnete. "Ohne statistisch-repräsentative Erhebungen wird man hier keine Aussagen treffen können", verdeutlichte Jaeger.

Bisher habe noch nie jemand einen Anhaltspunkt für Manipulationen gehabt, trug Hannappel vor. "Sie können doch überhaupt nicht nachzählen", wunderte sich da der Berichterstatter in diesem Verfahren, Prof. Rudolf Mellinghoff, über diese Gewissheit. "Eine Manipulation eines Wahlgerätes hat nur einen Sinn, wenn sie irgend etwas bewirkt", entgegnete der Landeswahlleiter, "sie haben dann ein abweichendes Ergebnis". Verfassungsrichter Mellinghoff konnte darauf nur "mit etwas Erstaunen" reagieren. "Wenn etwa die Partei Die Linke in einem Wahlkreis erstmals antritt, dann haben sie doch automatisch eine Abweichung", meinte er zu dieser Art der statistischen Prozesskontrolle.

Mellinghoff ließ auch durchblicken, dass der Zweite Senat eine Grundsatzentscheidung vorbereitet. Der Maßstab, "den wir in diesem Fall ganz neu bilden müssen", werde Auswirkungen auf eine ganze Reihe von Wahlsystemen haben. Ob er sich grundsätzlich gegen eine Mediatisierung der Stimmabgabe wende, wollte Verfassungsrichter Prof. Udo Di Fabio von dem zweiten Vertreter der Beschwerdeführer, Prof. Wolfgang Löwer, wissen und brachte provokativ das Wort "Technikfeindlichkeit" ins Spiel. "Mit Technikfeindlichkeit hat das gar nichts zu tun", entgegnete Löwer. Die gegenständliche Verkörperung der Wählerstimmen sei aber ein wesentliches Element für die Sicherheit durch Kontrolle. Während wir in der Bundeswahlordnung den Umgang mit Stimmzetteln "liebevoll im Detail regeln", klaffe bei den Wahlcomputern hingegen "ein normatives schwarzes Loch". Es ginge nur darum, das blinde Vertrauen in die Technik auszuschließen. Dem schloss sich der dritte Vertreter der Beschwerdeführer, der Hamburger Staatsrechtler Prof. Ulrich Karpen, ausdrücklich an. "Wir sind keine Technikfeinde", erklärte er. "Was wir sagen ist, dass der Stand der Technik noch nicht ausgereift ist." Und Wahlen seien nun einmal "kein geeignetes Spielfeld für technische Innovationen".

Ob bei der Konfiguration der elektronischen Stimmzettel, die von Wahl zu Wahl erfolgt, Manipulationen möglich seien, wollte die Verfassungsrichterin Prof. Gertrude Lübbe-Wolf wissen. Für die nach der Bundeswahlgeräteverordnung bisher für die Zulassung der Nedap-Maschinen zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) erläuterte der Leiter des PTB-Fachbereichs "Metrologische Informationstechnik", Prof. Dieter Richter, dass die Wahlämter gemäß Bedienungsanleitung gehalten seien, die korrekte Zuordnung von Stimmzettelausdruck und Tasteneingaben zu überprüfen. Wie ein Wähler die Korrektheit überprüfen könne? "Der Wähler hat keine Möglichkeit, das zu kontrollieren", antwortete Richter. Er bestätigte auch, dass die Konfigurationssoftware im Unterschied zur Gerätesoftware gar nicht Bestandteil der Baumusterprüfung durch die PTB ist. "Habe ich das richtig verstanden?", fragte daraufhin Berichterstatter Mellinghoff ungläubig zurück: "Die Programmierungssoftware ist nicht Gegenstand der Prüfung?"

Das Bundesinnenministerium halte die Sicherheitsvorkehrungen für ausreichend, werde aber auf technische Weiterentwicklungen reagieren, bekundete BMI-Ministerialdirigent Hans-Heinrich von Knobloch gegen Ende der Anhörung. "Es gibt Überlegungen, die Bundeswahlgeräteverordnung zu novellieren." Die seien aber, wie er auf Nachfrage Mellinghoffs erklärte, "noch nicht im Stadium eines Referentenentwurfs". Das Ministerium wolle auch unter Einschaltung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine Wahlgeräteverordnung, "die dem Stand der Technik entspricht". Ob das heiße, dass sich das BMI "noch gewissermaßen in einer Experimentierphase befinde", wollte daraufhin der Senatsvorsitzende Prof. Andreas Voßkuhle wissen. Von einer Experimentierphase könne man "sicherlich nicht" sprechen, antwortete von Knobloch, schließlich seien seit der Einführung 1999 mit den Nedap-Geräten "etwa 15 Millionen Stimmen unbeanstandet abgegeben worden".

Welche Bedeutung Karlsruhe der Stimmerfassung durch Wahlcomputer beimisst, lässt sich bereits daraus ablesen, dass die heutige Anhörung erst die dritte mündliche Verhandlung zu Wahlprüfungsverfahren überhaupt war. Die meisten Einsprüche scheitern schon in erster Instanz beim Bundestag selbst oder werden vom Verfassungsgericht als zweiter Instanz gar nicht erst angenommen. Wann das Gericht in der Sache entscheiden wird, steht noch nicht fest. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz soll das Urteil innerhalb von drei Monaten nach der mündlichen Verhandlung ergehen. (Richard Sietmann) / (pmz)