EU fördert "Science beyond fiction" stärker als bisher

Damit die EU führend in der IKT-Grundlagenforschung werden kann, muss sie ihr bisheriges Engagement verdoppeln, erklärte EU-Kommissarin Viviane Reding bei der Tagung "Science Beyond Fiction" und kündigte eine Erhöhung der Forschungsförderung an.

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Von
  • Angela Meyer

Mit einer Verdopplung seines bisherigen Engagements bis 2015 soll Europa gegenüber den USA, China und Japan aufholen und weltweit die führende Rolle in der Grundlagenforschung zu Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) einnehmen. Dies verkündete die EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien Viviane Reding zur Eröffnung der Konferenz FET09 - Science beyond Fiction in Prag. Ihre Strategie setzt hierfür im Kern auf mehr Geld und mehr Kooperation im Bereich der Future and Emerging Technologies (FET), womit die EU IKT-Grundlagenforschung meint, die völlig neue Wege finden und gehen soll. Konkret versprach Reding, die bisherige EU-Förderung hierfür von 100 Millionen Euro schrittweise auf 170 Millionen im Jahr 2013 zu erhöhen - danach beginnt ein neuer Förderzeitraum - und hofft, dass auch in diesem Fall wie bisher jeder Euro, den die EU für Forschungsförderung ausgibt, ein Vielfaches an nationalen und privaten Förderungen initiiert. Die Förderung soll dabei gezielt sowohl jungen Forschern den Schritt in die risikoreiche Grundlagenforschung erleichtern als auch intensiv forschende kleine und mittlere Unternehmen unterstützen.

Henry Markram, Chef des Blue-Brain-Projektes

Bis 2013 will die Kommission außerdem zwei von insgesamt fünf Flaggschiffprojekten initiieren, die durch Kooperationen über die Grenzen der Staaten und Disziplinen hinaus auch wissenschaftlich neue Grenzen überschreiten und zugleich als Exzellenzeinrichtungen die europäische Position in der Grundlagenforschung stärken sollen. Zu den noch diskutierten Kandidaten hierfür gehört unter anderem das Blue Brain Project, das langfristig das menschliche Gehirn in einer Computersimulation nachbilden will. Bisher haben die Wissenschaftler auf einem Blue-Gene-Supercomputer ein Grundmodul eines Rattengehirns simuliert. Diese sogenannte kortikale Kolumne besteht aus rund 10.000 virtuellen Neuronen, die miteinander über 30.000.000 simulierte Synapsen verbunden sind. In seinem Vortrag zum Auftakt der Tagung machte Projektleiter Henry Markram deutlich, das selbst das schon sehr ehrgeizige Blue-Brain-Projekt nur ein Auftakt ist für einen breiten Einsatz simulations-basierter Forschung ist, die ihrerseits darauf gründet, dass Wissenschaftsdaten zunehmend im industriellen Maßstab gewonnen und immer umfassender mit informatischen Methoden ausgewertet werden können. Fernziel ist für ihn unter anderem die personalisierte Simulation eines Menschen, mit deren Hilfe Ärzte individuell passgenaue Behandlungen entwickeln können.

Während Markrams Team mit dem Blue-Brain-Projekt trotz dieser ehrgeizigen Ziele "nur" die Grenzen der bisherigen Technik für die Entwicklung einer neuartigen Anwendung ausreizt, versuchen Forscher wie Anton Zeilinger mit der Quanteninformatik in gänzlich neue Bereiche vorzudringen, die wahrscheinlich selbst von der Natur noch nicht genutzt werden. Die Quantenkryptografie ist als am weitesten vorangeschrittener Teilbereich inzwischen sogar schon praktisch für eine sichere Übertragung von Nachrichten nutzbar. Als einen konkreten nächsten Schritt zu einem weltumspannenden Quantennetzwerk kündigte Zeilinger am Ende seines Vortrages an, in etwa einem Jahr Photonen über eine Distanz von rund 140 Kilometern zu teleportieren. Bei anderen Forschungen zu Qubits und verschränkten Zuständen liegen die konkreten Anwendungen zumindest noch weit in der Zukunft. Zeilinger ist dennoch überzeugt davon, dass die zukünftige Computertechnik weit über bisher diskutierte Spezialanwendungen hinaus auf Quanteninformatik beruhen wird. Auch bei Lasern und integrierten Schaltkreisen habe es zunächst nur eine funktionierende Technik, aber noch keine vernünftige Anwendung gegeben.

Schreiben nur mit Gedanken ist eines der Projekte, die in der Ausstellung gezeigt werden.

Diese Erkenntnis zu verbreiten, dass es die heute grundlegenden Techniken ohne echte Grundlagenforschung nicht gäbe, dass angewandte Forschung allein zwar auch weiter bringt, aber eben keine neuen Ufer erreicht, gehört zu den zentralen Anliegen der von der EU erstmals zum 20. Geburtstag der FET-Forschungsförderung veranstalteten dreitägigen Tagung. "Science Beyond Fiction" versucht dies mit einer Mischung aus allgemeinen Diskussionen, wie man die Grundlagen für neue Technologien schafft, und Vorträgen und Workshops zu Forschung an den Grenzen bisheriger Disziplinen. Eine begleitende Ausstellung präsentiert 29 Projekte von der Hirn-Computer-Schnittstelle über kognitive Roboter bis zur Quanteninformationsverarbeitung. Auch sie soll nicht nur der Öffentlichkeit zeigen, wohin die Forschungsgelder fließen, sondern soll ebenso junge Forscher motivieren, über den Tellerrand zu schauen und sich etwas mutiger als bisher auch auf ungewisse Projekte einzulassen. (anm)