Jugendschutz-Novelle nimmt soziale Medien ins Visier

Mit ihrem Entwurf für einen neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag will die Rundfunkkommission der Länder auch Blogger und soziale Netzwerke in die Pflicht nehmen.

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
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Die Rundfunkkommission der Länder hat ihren Entwurf für einen neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) vorgelegt und will die Öffentlichkeit mit einer Online-Konsultation beteiligen. Bis zum 19. Mai können sich Bürger einbringen, dann sollen die Beiträge bis Anfang Juni ausgewertet werden. Am 12. Juni sollen dann zur Sitzung der Rundfunkkommission Eckpunkte für eine JMStV-Novelle vorgelegt werden. Bis Dezember soll dann der Vertrag paraphiert werden.

Der von allen 16 Bundesländern getragene Entwurf will mit Hilfe von Alterskennzeichnungen den technischen Jugendmedienschutz im Internet stärken. Dabei sollen auch soziale Medien erfasst werden. Bisher haben nur wenige hundert Websites von sich aus Alterskennzeichnungen eingeführt. Derzeit haben die Filter für Jugendschutzprogramme eine Genauigkeit von 80 Prozent, die über mehr Alterskennzeichnungen verbessert werden soll.

Im Entwurf fordern die Länder eine freiwillige Alterskennzeichnung für Telemedien mit "unveränderbaren Angeboten". Dabei können die Anbieter ihr Gesamtangebot in einer der Altersstufen "ab zwölf Jahren" oder "ab 18 Jahren" einordnen. Außerdem können sie ihre Angebote bei einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle vorlegen und dies von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) bestätigen lassen. Dabei soll eine inhaltliche Prüfung allein nach dem JMStV erfolgen.

2010 scheiterte bereits ein Anlauf, den Jugendmedienstaatsvertrag zu novellieren. Geplant war auch damals eine freiwillige Alterskennzeichnung von Websites, die jedoch auf Kritik in der Netzgemeinde stieß. Marc Liesching, Professor für Medienrecht und Medientheorie, macht darauf aufmerksam, dass Telemedienanbieter schon jetzt freiwillig ihre Angebote zur Prüfung vorlegen können. Doch es mache kaum Sinn "freiwillig ein Behördenorgan zu konsultieren, das im Jahr 2013 insgesamt nur 18 Aufsichtsverfahren in Telemedien durchgeführt hat". Außerdem ergebe das Verfahren keine signifikant höhere Rechtssicherheit.

Neu ist zudem, dass der Entwurf auch auf nutzergenerierte Inhalte abzielt und somit auf soziale Medien wie Blogs und Facebook. Nach Ansicht der Autoren des Entwurfs müssen private Blogger schon heute dafür sorgen, dass die Jugendschutzbestimmungen des JMStV eingehalten werden. In dem Entwurf heißt es: "Dabei ist unbeachtlich, ob die Inhalte durch ihn selbst oder durch Dritte auf seiner Plattform eingestellt wurden." Werden die Bestimmungen verletzt, sollen "empfindliche Sanktionen" drohen.

Mit der Novelle sollen Inhalteanbieter privilegiert werden, die ihre Angebote mit Alterskennzeichnungen versehen. Sie sind vor einer Verfolgung fehlerhafter Kennzeichnungen als Ordnungswidrigkeit geschützt. Im Rahmen der Online-Konsultation interessiert man sich dafür, unter welchen Bedingungen "keine oder nur geringe Kostenfolgen" für den Anbieter entstehen.

Die Bedingungen für die Privilegierung werden in der Begründung genannt: So muss sich ein Anbieter einer freiwilligen Selbstkontrolleinrichtung unterwerfen. In seinem Angebot muss er darauf hinweisen, welche Inhalte auf seinen Seiten nicht erwünscht sind. Außerdem muss er Kontrollmaßnahmen durchführen und ein Beschwerdemanagement betreiben. Eine Vorabkontrolle sei nicht erforderlich, wird im Entwurf betont. Über die Online-Konsultation soll geklärt werden, unter welchen Bedingungen ein Beschwerdemanagement und eine regelmäßige Kontrolle für nicht-kommerzielle Anbieter zu leisten ist.

Mit der neuen Regelung soll vor allem die Extremismusszene im Netz isoliert werden. Extremistische Gruppen nutzten insbesondere Blogs immer häufiger, um ihre Ideen zu verbreiten. Die Autoren denken dabei vor allem an die Kommentarfunktion, denn sie schreiben: "Anbieter von Webangeboten, die auch User Generated Content beinhalten werden zunehmend darauf achten, solche Inhalte aus ihrem Angebot zu entfernen, um ihre Privilegierung zu erhalten."

Rechtsanwalt Thomas Stadler sieht in dem Vorschlag einen Verstoß gegen das System der Haftungsprivilegierung der Paragrafen 7 ff. Telemediengesetz und damit auch der E-Commerce-Richtlinie. Denn die vorgeschlagene Regelung gehe davon aus, dass ein Blog-Betreiber verantwortlich für die Inhalte ist, die seine Nutzer einstellen. Der Blog-Betreiber müsse aber nach geltender Rechtslage erst dann handeln, sobald er von einem konkreten Rechtsverstoß Kenntnis erlangt. Stadler verweist auch auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, wonach sozialen Netzwerken keine allgemeine Filterpflicht auferlegt werden darf.

Im Entwurf heißt es aber auch ausdrücklich, dass "weder eine Ausdehnung der Haftung für fremde Inhalte nach dem Telemediengesetz vorgenommen, noch eine Haftung nach allgemeinen Gesetzen begründet werden" soll. Eine Alterskennzeichnung sei für einen technischen Jugendmedienschutz notwendig. Eine Vorabkontrolle sei nicht erforderlich, wird betont.

Filme und Spiele im Internet sollen das gleiche Kennzeichnungsverfahren nach dem Jugendschutzgesetz wie Trägermedien erhalten. Voraussetzung ist, dass sie mit Filmen und Spielen auf Trägermedien vergleichbar sind. Eine Vergleichbarkeit ist dann nicht gegeben, wenn etwa Inhalte durch "Kommunikationsmöglichkeiten" verändert werden können. Darunter könnten unter Umständen Chat-Funktionen fallen. Der Entwurf nennt hier jedoch keine konkreten Beispiele in der Begründung

Marc Liesching stellt grundsätzlich in Frage, ob ein Telemedium "unveränderbar" sein kann. Außerdem glaubt er, dass es verfassungsrechtlich nicht möglich sei, mit einem Landesgesetz den Anwendungsbereich eines Bundesgesetzes, nämlich des Jugendschutzgesetzes, zu erweitern. Dies falle in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Das Gesetz will außerdem aus der von den obersten Landesjugendbehörden eingerichtete gemeinsame Stelle "Jugenschutz.net" auf eine dauerhafte Finanzierungsgrundlage stellen. Außerdem will sie Kooperation der Prüfbehörden verbessern. So regelt sie die Informationspflichten von Jugendschutz.net neu: Die Einrichtung soll bei Verstößen den Anbieter darauf hinweisen und die KJM informieren, die wiederum Sanktionen ausüben kann. Bei Mitgliedern einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle hingegen soll sie zunächst nur die Freiwillige Selbstkontrolle informieren. Erst wenn diese untätig geblieben ist oder wenn die durch sie getroffene Maßnahme unzureichend ist, soll die KJM informiert werden.

Die Online-Konsultation richtet sich mit einer Reihe von Fragen an die Öffentlichkeit. Unter anderem will man auch wissen, wie die noch bestehenden Probleme der Jugendschutzprogramme bewertet werden. Auch möchte man wissen, ob "die Schlagkraft" von Jugendschutz.net und ähnlichen Stellen weiter ausgebaut werden soll.

Alvar Freude vom AK Zensur erwartet, "dass das Beteiligungsverfahren ergebnisoffen ist und die berechtigte grundsätzliche Kritik an dem technischen Mittel der Internetfilter und Alterskennzeichnungen berücksichtigt wird." Freude kritisiert zudem die von den Ländern gewählte Art der Online-Konsultation: "Die wichtigen Fragen werden leider gar nicht gestellt! Was soll das Ziel des Jugendschutzes im Internet sein? Wie soll man dem Internet als Kommunikationsmedium gerecht werden? War der bisherige Ansatz überhaupt der richtige? Was kann und soll der Gesetzgeber im Jugendschutz bei Mobbing, Abzocke und Datenschutz leisten?"

Der niedersächsische Landesmedienchef und stellvertretende Vorsitzende der KJM, Andreas Fischer, sagte gegenüber c't, dass der Entwurf nicht weit genug gehe, weil die Anerkennungsvoraussetzungen für Jugendschutzprogramme nicht geändert werden. Fischer: "So müsste die KJM weiterhin Jugendschutzprogramme anerkennen, die nur am Desktop PC funktionieren. Aus meiner Sicht darf es nur eine Anerkennung geben, wenn ein Jugendschutzprogramm zumindest Windows, iOS und Android ‚kann’."

Auch stört Fischer sich daran, dass die "Pflichten oder besser gesagt Nichtpflichten der Serviceprovider unverändert bleiben sollen", die bislang zu wenige nutzerautonome Jugendschutzprogramme installiert wurden. Er hatte deshalb vor einigen Wochen vorgeschlagen, dass die Provider als Service Jugendschutzfilter installierten sollten, die Nutzer gegebenenfalls wieder deaktivieren können. Aus seiner Sicht "haben die Länder wohl nicht den politischen Mut, Diskussionen mit der Netzgemeinde zu führen und sich am Ende auch gegen Widerstände durchzusetzen. Man könnte fast glauben, dass die Piraten in Deutschland kurz vor der absoluten Mehrheit stehen." (vbr)