Analyse: Facebooks Glass heißt Oculus Rift

Was Mark Zuckerberg mit der Virtual-Reality-Brille von Oculus VR plant, geht weit über die Spielewelt hinaus. Es ist ein Signal an die gesamte IT-Industrie.

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Nun ist es also amtlich: Virtual Reality wird das nächste große Ding. Wenn jemand im Sommer 2012 Palmer Luckey, dem Gründer von Oculus VR, gesagt hätte: "Junge, in zwei Jahren bietet Dir jemand 2.000.000.000 Dollar für Deine kleine Firma", er hätte ihn wohl für verrückt erklärt. Die Rift-Brille ist schließlich keine Raketen-Technik, sondern war damals kaum mehr als eine Ski-Brille, an der ein Bewegungssensor und ein Handy-Display mit Klebeband befestigt waren.

Ein Kommentar von Hartmut Gieselmann

Hartmut Gieselmann schreibt seit 1998 für c't und heise online. Neben Tests- und Artikeln zur Spiele-Entwicklung verfolgt der Redakteur aus dem Ressort "Software & Medien" die Pionier-Arbeit in der Vitual Reality, schreibt über Musik-Produktion und veranstaltet Remix-Wettbewerbe für c't.

Aber gerade dieser Low-Tech-Ansatz ist es, der die Rift so interessant macht. In großer Stückzahl lässt sie sich spottbillig produzieren – genau das richtige für eine Firma wie Facebook, die stets in Zahlen mit vielen Nullen denkt. Doch man sollte nicht glauben, dass Mark Zuckerberg soviel Geld in die Hand nimmt, um ein Geek-Projekt für ein paar Spiele-Freaks zu unterstützen. Wie Google mit der Datenbrille Glass hat Facebook größere Pläne. Zwar werden VR-Brillen vorerst hauptsächlich für Spiele eingesetzt werden. Spiele-Hersteller sind genau die richtigen, wenn es darum geht, eine möglichst einfache Bedienung für neue technische Geräte zu entwickeln. Sie können tolle Benutzeroberflächen bauen und daran arbeiten, dass Ausflüge in virtuelle Welten nicht mehr auf den Magen schlagen.

Doch in fünf bis zehn Jahren, wenn die Displays nicht mehr nur einen, sondern mindestens vier oder sogar acht Megapixel pro Auge darstellen, sodass die Virtuelle Realität nicht mehr krümelig aussieht, und die Rechenleistung eines iPhone 8S genügt, um das ganze mit 120 Hz in Bewegung zu halten, dann wird Virtual Reality auch für Menschen interessant, die sich nicht für Computerspiele begeistern. Dann wird Facebook die Technik voll ausspielen können: Mit der Brille kann man dann neue Klamotten am virtuellen Leib anprobieren, eine Wohnung oder ein Haus besichtigen, oder sich mit all seinen fünfhundert Facebook-Freunden auf einer virtuellen Südseeinsel treffen und eine riesige Party feiern. Das ist wahrscheinlich das Ziel, das Mark Zuckerberg vor Augen hat. Und wenn Facebook die Kontrolle über den Zugang zur virtuellen Welt hat, bestimmen sie natürlich auch, wer dort werben und seine Waren anbieten darf.

Noch müssen Hard- und Software-Entwickler einige Arbeit leisten. Sony hat mit seinen Move-Controllern schon mal vorgelegt.

(Bild: heise online)

Die bis dahin noch zu lösenden technischen Probleme dürften keine allzu hohe Hürde sein. Mit dem finanziellen Polster könnte es sich Oculus vielleicht sogar leisten, eine eigene Display-Fertigung aufzuziehen, die die schnell schaltenden, hochauflösenden Bildschirmchen maßgeschneidert ausspuckt. Eingabegeräte sind der zweite Bereich, in dem noch viel Forschung nötig ist. Hier sind der Move-Controller von Sony oder das Stem-System von Sixense sicherlich nur der erste Schritt in die richtige Richtung. Oculus wird Forschungsprojekte an Universitäten initiieren, die das Problem der Simulatorkrankheit aus medizinischer und psychologischer Sicht erforschen. Pharma-Firmen werden neue Pillen auf den Markt werfen.

Neben diesen langfristigen Auswirkungen wird Oculus kurzfristig von der Finanzspritze profitieren. Sie können ihre erste Brille, die wahrscheinlich im nächsten Jahr auf den Markt kommt, zum Selbstkostenpreis anbieten. Zunächst wird es darum gehen, vor dem Konkurrenten Sony einen möglichst großen Teil des Markts zu besetzen, das Geldverdienen kommt später. Entscheidend sein werden die Spiele. Das Signal der Übernahme durch Facebook wird eine neue Welle von VR-Spielen lostreten, die von großen Herstellern wie Electronic Arts, in der großen Masse aber von kleinen Indie-Startups kommen, die auch auf einen finanzstarken weißen Ritter hoffen, der sie übernimmt.

Noch ist die Oculus Rift nur als Prototyp für Entwickler erhältlich. Mit dem Geld von Facebook im Rücken dürfte Brille im kommenden Jahr auf den Markt kommen – und bezahlbar sein.

(Bild: heise online)

Investoren und Banker werden nun freimütiger in Startups investieren, die "irgendwas mit VR" machen. Die Zahl der neuen VR-Firmen wird die der wenigen Aufrechten, die wie Mojang eine Zusammenarbeit mit Facebook ablehnen, bei weitem übertreffen. Interessant wird sein, was Valve macht: Werden sie weiterhin mit Oculus so eng zusammenarbeiten und ihre Forschungs-Ergebnisse freimütig austauschen? Wird Oculus ihre Spitzenkräfte wie Michael Abrash abwerben, oder Facebook gar Valve komplett kaufen? Wir werden es sehen.

Spieler dürfen sich in jedem Fall freuen, dass durch den Facebook-Deal die VR-Hardware besser und günstiger und die Auswahl an VR-Spielen größer und besser wird. Nach den ersten Tweets von Palmer Luckey und John Carmack wird Oculus weiter tüfteln wie bisher. Ob sie – wo nun Summen mit mindestens neun Nullen im Spiel sind – weiterhin so freizügig über ihrer neuesten Entdeckungen plaudern, darf man indes bezweifeln. (hag)