Kommentar: Stillstand als Fortschritt beim Jugendmedienschutz

Es wird albern: Der nächste Anlauf der Bundesländer zum Jugendmedienschutz wärmt längst gescheiterte Konzepte auf. Eltern sollten sich lieber selbst um den Schutz ihrer Sprösslinge kümmern.

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Von
  • Holger Bleich

Okay, manchmal hätte unser älterer Sohn gerne einen Papa, der sich nicht so gut mit Hau-Drauf-Games und verbotenen Webseiten auskennt. Das sagt er zumindest oft seinen Freunden. Er darf zu wenig, meint er dann. Dabei geht für ihn sehr viel, wenn ich dabei bin, und noch einiges, wenn er alleine mit aktiviertem Blacklist-Filter surft. Informierte Eltern, geleitete Sprösslinge und brauchbare Schmutz-Abwehr-Software: Jugendmedienschutz funktioniert bei uns recht problemlos.

Ein Kommentar von Holger Bleich

Holger Bleich schreibt seit 1999 für c't und heise online. Den Schwerpunkt bilden Technik-Themen wie Internet-Protokolle und Webhosting. Aus seinem Studium hat sich der diplomierte Politikwissenschaftler sein Interesse für juristische und kulturelle Aspekte der Netznutzung sowie für Netzpolitik erhalten.

So ziemlich der letzte, auf den ich mich in dieser wichtigen Angelegenheit verlassen würde, ist der Staat. Hier ein Beispiel, warum das so ist: Die Aufsichtsstelle, die überwachen soll, welche Jugendmedienschutz-Maßnahmen funktionieren und welche nicht, heißt Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Erstmalig hat diese im vergangenen Jahr zwei Jugendschutz-Programme als tauglich anerkannt, nämlich die von Telekom und Jusprog. Diese beiden Filter funktionieren im Vergleich zur Konkurrenz, beispielsweise der von mir privat eingesetzten Salfeld-Software, eher mittelmäßig, wie Tests von c't und anderen Stellen immer wieder ergeben. Nicht gerade vertrauenerweckend, finde ich. Anderen Eltern geht es wohl ähnlich wie mir, denn just diese staatlich anerkannten Schutzfilter werden kaum eingesetzt.

Wenn sich nun der Staat in Form der zuständigen Bundesländer anschickt, die Jugendmedienschutz-Regeln neu zu formulieren, sollte gesunde Skepsis vorherrschen. Zurzeit gilt ja sogar noch der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) aus dem Jahr 2003, weil dessen Novellierung 2010 krachend gescheitert war. Was meine Kinder können, sollte der Staat auch beherrschen: Aus Niederlagen Lehren zu ziehen und beim nächsten Mal vieles besser zu machen. Was aber die Rundfunkkommission der Länder nun als Entwurf veröffentlichte, ist nicht das angekündigte neue Konzept, sondern ein peinlicher Aufguss von längst gescheiterten Ideen.

Website-Betreiber sollen Software-Filtern immer noch mit Markierungen signalisieren, ob sie ihre Seiten "ab 12" oder "ab 18" klassifizieren. Ein solches freiwilliges Labeling-Konzept ist auf internationaler Ebene unter dem Namen "ICRA" wirkungslos verpufft. Ausgerechnet als deutsche Insellösung im weltweiten Internet-Ozean soll es nun funktionieren, so die absurde Vorstellung der Jugendschutz-Beamten. Schon klar: Die Bikini-Fotos im Urlaubs-Fotoalbum soll der brave deutsche Homepage-Bastler klassifizieren, während einen Klick weiter auf den großen US-Fotoplattformen wie Tumblr, imgur und Co. harter Porno ohne Label zu sehen ist. Sie haben es offenkundig immer noch nicht verstanden, dass man dem Medium Internet nicht mit Regeln aus der Rundfunk-Welt beikommen kann. Netzaktivist Alvar Freude kommentiert treffend: "Das Internet ist kein zweiter Fernseher!"

Man könnte dieses Beharrungsvermögen drollig finden, wenn nicht knallharte wirtschaftliche Interessen hinter dem staatlich verordneten Schein-Schutz stehen würden. Längst sind nämlich mit dem age-de.xml-Label die Alterskennzeichnungen im Web durch die Hintertür eingeführt. Weil die deutsche "Erotikindustrie" ihre ab-16-Seiten Filter-lesbar altersklassifiziert, darf sie auf die ansonsten nötige, vom Rundfunk hergeleitete Web-Sendezeitbeschränkung (!) verzichten. Damit steht sie schon heute auf der Gewinnerseite eines bizarren Jugendmedienschutz-Konzepts. Auch der Regulierungs-Wasserkopf in Form von Institutionen wie FSM, KJM und jugendschutz.net, wird profitieren und darf auf höhere monetäre Zuwendungen aus den öffentlichen Töpfen hoffen – mehr Regulierung bedeutet eben auch mehr Kontrollbedarf.

Den albernen "Vorschlägen zum Jugendmedienschutz" lässt sich dennoch durchaus Positives abgewinnen: Sollten die die nutzlosen Regeln Gesetz werden, wären sie wenigstens ungefährlich, was nicht selbstverständlich ist. Man stelle sich beispielsweise vor, die Jugendschutz-Beamten wären von einem durchgeknallten CSU-Hardliner auf die Idee gebracht worden, in der Symbolpolitik-Kiste von Ursula von der Leyen zu wühlen – schwuppdiwupp hätten wir wieder eine Debatte um Provider-DNS-Sperren am Hals. Nun dürften sich allenfalls private Forenbereiber oder Blogger ärgern, weil sie ihre Sites labeln und eine Beschwerde-Mailadresse einrichten müssten.

Dies lässt sich als negative Begleiterscheinung verkraften. Alles in allem schafft die Rundfunkkommission der Länder mit ihrem neuen Entwurf eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Sie selbst kommt ihrem Auftrag nach, den Jugendmedienschutz zu regeln, ändert aber in Wahrheit nichts relevantes. Die regulierte Selbstregulierung mit all ihren Gremien darf weiterhin vor sich hinwerkeln. Den Nutzern bleibt der ungefilterten Zugriff auf Inhalte erhalten. Und für mich als Vater ändert sich nichts zum Schlechten. Genau genommen: Es ändert sich gar nichts. Ich muss nicht auf vernünftige Unterstützung des Staates warten, sondern bleibe Herr meines eigenen häuslichen Jugendmedienschutz-Konzepts. (hob)