Geld für Nichts

Das derzeitige Strommarkt-Modell gerät durch die zunehmende Einspeisung erneuerbarer Energien an seine Grenzen. Reformideen gibt es zuhauf. Was nun passieren muss.

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Von
  • Eva Augsten

Das derzeitige Strommarkt-Modell gerät durch die zunehmende Einspeisung erneuerbarer Energien an seine Grenzen. Reformideen gibt es zuhauf. Was nun passieren muss.

Wie jedes Jahr kam die Empörung Mitte Oktober. Wieder einmal kochten die Gefühle hoch, als die Netzbetreiber die neue Ökostromumlage für 2014 bekanntgaben. Ab diesem Januar zahlen die Stromkunden 6,24 Cent pro Kilowattstunde, um die Einspeisevergütung für Wind- und Sonnenstrom zu finanzieren.

In der vergangenen Legislaturperiode betrachtete Bundesumweltminister Peter Altmaier es als seine vornehmste Aufgabe, die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) einzufrieren. Doch seine „Strompreisbremse“ scheiterte im April 2013 am Widerstand der Länder. Nun unternimmt Wirtschaftsminister Sigmar Gebriel einen neuen Versuch. Er muss deutlich dickere Bretter bohren, denn die steigende EEG-Umlage ist nur eine von vielen Baustellen. Der gesamte Strommarkt muss dringend reformiert werden.

Nach wie vor betrachtet das Kabinett die Einspeisevergütung nur als eine vorübergehende Starthilfe für die erneuerbaren Energien. Für die Photovoltaik etwa bedeutet dies: Sobald in Deutschland 52 Gigawatt installiert sind, soll Schluss sein mit der Förderung. Die Betreiber von neuen Solaranlagen müssen ihren Strom dann auf dem freien Markt vertreiben. Nur: Es ist fraglich, ob es einen solchen Markt dann noch geben wird.

Bisher orientierten sich die Strompreise nämlich an den Brennstoffkosten der konventionellen Kraftwerke. Da Windräder und Solarmodule keinen Brennstoff benötigen, kennen sie auch keine solchen „Grenzkosten“ – sie können ihren Strom praktisch unbegrenzt billig anbieten und sich gegenseitig die Preise kaputtmachen.

Schon der Anteil von gerade einmal fünf Prozent Solarstrom im Jahresmittel hat die frühere mittägliche Preisspitze in eine Delle verwandelt. Für Windstrom erhält man heute im Schnitt nur noch etwa neunzig Prozent des durchschnittlichen Börsenpreises. Das führt zu einer paradoxen Situation: Wind und Sonne machen zwar den Strom an der Börse billiger, doch dadurch erhöht sich gleichzeitig auch die EEG-Umlage, denn diese berechnet sich aus der Differenz zwischen Einspeisevergütung und Börsenpreis. Während industrielle Großverbraucher, die ihren Strom direkt an der Börse kaufen, vom Preisverfall profitieren, müssen Haushaltskunden draufzahlen – und zwar laut Christoph Schmidt, Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), mehr als 20 Milliarden Euro allein 2013. Er hat hochgerechnet, dass es im Jahr 2020 ein Betrag von knapp 59 Milliarden Euro sein wird, wenn alles weiterläuft wie bisher.

Die Regierung muss sich also Gedanken machen, wie sich die Kosten für die Erneuerbaren gerechter verteilen lassen, ohne deren Zubau komplett abzuwürgen. Und sie muss die Stromversorgung von trägen, aber verlässlichen Großkraftwerken in ein Zusammenspiel dezentraler Erzeuger überführen. Wie also lassen sich Markt und Erneuerbare vereinen?

1. Strommarkt an die Erneuerbaren anpassen – nicht umgekehrt

Die Monopolkommission, ein Beratergremium der Bundesregierung, hat bereits vor der Bundestagswahl vorgeschlagen, das EEG durch ein Quotenmodell nach dem Vorbild Großbritanniens und Schwedens zu ersetzen (siehe TR 10/2013, S. 80). Die Idee ist simpel: Die Regierung soll jedem Stromanbieter vorschreiben, einen von Jahr zu Jahr höheren Anteil an Ökostrom zu vertreiben, egal aus welcher Quelle. Auf diese Weise soll sich automatisch die günstigste Technik durchsetzen. Im Moment wäre das Onshore-Windkraft mit rund neun Cent pro Kilowattstunde. „So kann der Staat das Ziel präzise steuern und dabei auch Rücksicht auf den Netzausbau nehmen“, argumentiert RWI-Präsident Schmidt. Er hat mit seinen Kollegen überschlagen, dass man damit die Ausbauziele für 2020 für etwa 6,8 Milliarden Euro erfüllen könnte. „Aber selbst wenn es dreimal so teuer wird, sparen wir gegenüber dem EEG immer noch einen zweistelligen Milliardenbetrag“, sagt Schmidt.

Doch die guten Erfahrungen in Schweden lassen sich nur begrenzt auf Deutschland übertragen. In Skandinavien gibt es reichlich billigen Ökostrom aus Wasser und Holz. Hierzulande hingegen würde die Quote zunächst mit Windstrom erfüllt. Das macht sie teurer als in Schweden, ist aber immer noch billiger als Solarstrom. Eine weitere Folge: Alle anderen Erneuerbaren werden zunächst ausgebremst, und es etabliert sich eine Monokultur. Erst wenn das Windkraft-Potenzial ausgeschöpft ist, würden wieder Solar- und Biomasse-Kraftwerke zugebaut. Da aber die teuerste benötigte Technologie den Preis der Öko-Zertifikate bestimmt, steigen dann schlagartig die Preise. Die Windmüller können sich dann ohne weiteren Aufwand einen Zusatzgewinn in die Tasche stecken. „Diese Mitnahme-Effekte können die Quote sehr teuer machen“, sagt Corinna Kleßmann, die beim Consulting-Unternehmen Ecofys verschiedene Fördersysteme für erneuerbare Energien untersucht. Schlimmstenfalls so teuer, dass die Stromhändler lieber eine Strafzahlung in Kauf nehmen und auf die Quote pfeifen. In Großbritannien hat das Quotenmodell so schlecht funktioniert, dass die Briten ab 2017 auf eine Kombination aus Prämien und Einspeisetarifen umsteigen wollen.

Wie ein Strommarkt aussehen müsste, der auf möglichst billigen Solarstrom ausgerichtet ist, hat Philippe Welter, Herausgeber des Solarstrom-Magazins „Photon“, in einem Essay beschrieben. Solarstrom-Erzeuger erhalten in seinem Modell einen Fixpreis für ihren Strom, schließlich lässt sich dessen Erzeugung kaum steuern. Stattdessen soll der Strompreis für die Verbraucher stark variieren – an einem trüben Wintertag würde der Solarstrom sie 27 Cent kosten, an einem Sommermittag 2,7 Cent. Bisher ist der E-Pool, wie Welter das Modell nennt, nur ein Gedankenspiel. Doch er verfolgt konsequent eine wesentliche Grundidee: Wenn Wind- und Solarstrom zu den neuen Säulen unserer Energieversorgung werden sollen, muss sich der Strommarkt an sie anpassen – und nicht umgekehrt.

Diese These verficht auch Uwe Leprich, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES) in Saarbrücken: „Dies wird deutlich kosteneffizienter, als die fluktuierenden erneuerbaren Energien in den bestehenden Markt zu drücken“, schreibt Leprich in einer Studie, die das IZES für den Bundesverbands Erneuerbarer Energie (BEE) und Greenpeace erstellt hat. Die Wissenschaftler sehen die festen Tarife und den Einspeisevorrang für Wind- und Solarstrom nicht als überholten Anschub für die Energiewende, sondern auf Dauer als ihr wichtigstes Element.

Um den Markt zu entzerren, plädiert Leprich dafür, den Ökostrom nicht mehr über den Umweg der Börse an den Kunden zu bringen, sondern nach einem prozentualen Schlüssel direkt an die Stromhändler zu verteilen, die dann auch die Einspeisevergütung zu entrichten haben.

Was sich zudem ändern soll, sind die Spielregeln für die regelbaren Stromquellen. Sie müssen das Auf und Ab des Wind- und Solarstroms ausgleichen. Dabei könnten künftig auch Biomassekraftwerke mitmischen und so ihre Flexibilität nutzen, anstatt rund um die Uhr einen Festpreis einzustreichen, findet Leprich. Zuschüsse sollen dafür sorgen, dass sie preislich mithalten können. „Die Prämien müssen so kalkuliert sein, dass die Biomassekraftwerke ihren Strom für etwa zwei Cent anbieten können. Nur so können sie Kohle- und Atomkraftwerke verdrängen – und genau das ist ja das Ziel der Energiewende“, sagt Leprich.

Die Offshore-Windparks seien wiederum eine ganz andere Welt. „Um solche Projekte umzusetzen, braucht man große Unternehmen, die finanzielle Risiken in Kauf nehmen können“, erklärt Leprich. Diesen müssten dann aber auch entsprechend hohe Renditen winken. Leprich will die Energiekonzerne mit einer Prämie ködern: Der Staat entscheidet, wann und wo Offshore-Windparks entstehen sollen und schreibt die Projekte aus. Den Zuschlag für das jeweilige Projekt erhält das Unternehmen, das es für die geringste Fördersumme umsetzt.

Im Gegensatz zu Schmidt, der mit markigen Milliardenbeträgen argumentiert, will sich Leprich allerdings nicht auf Kosten für sein Modell festlegen. Zahlen können schnell zum Bumerang werden, wie die stets zu niedrig angesetzten Prognosen für die EEG-Umlage zeigen.

Was sich Leprich für die See wünscht, würden die Energiekonzerne am liebsten zum Modell für das ganze Land machen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) und das kommunale Energieversorger-Netzwerk Thüga plädieren dafür, überall in Deutschland Ökostromprojekte staatlich auszuschreiben – wie es in Brasilien bereits geschieht. Durch die Ausschreibung kann die Regierung jederzeit Netzausbau und Ökostromerzeugung neu austarieren, anstatt wie bei der Quote auf einen einmal angestoßenen Marktprozess vertrauen zu müssen. Zugleich biete sie mehr Wettbewerb als ein fester Einspeisetarif. Doch die Erfahrung aus Brasilien zeigt: Unerfahrene Firmen neigen zu Billigangeboten, die sie am Ende nicht einhalten können. Auch unwillige Stromkonzerne könnten sich Projekte sichern und dann mehr oder weniger mutwillig hinauszögern. Um das zu verhindern, müsste man mit ausgeklügelten Qualifikationsvorschriften und Strafsystemen gegensteuern, erklärt Ecofys-Beraterin Kleßmann.

2. Ökostrom-Förderung individueller gestalten

Zudem ließe sich an der Förderung von Erneuerbaren noch einiges drehen, um Ort und Zeit der Ökostromproduktion besser an den Strombedarf anzupassen. Wenn zum Beispiel Photovoltaik-Anlagen mit Ost- oder Westausrichtung eine höhere Einspeisevergütung bekämen, könnte dies die mittägliche Stromschwemme – und den damit einhergehenden Preisverfall – dämpfen. Und wenn Windkraftanlagen umso besser gefördert würden, je näher sie an den Verbrauchern sind, würde das einen großen Teil des Netzausbaus ersparen.

3. Kapazitätsmarkt für Gas- und Wasserkraftwerke schaffen

Eng verknüpft mit dem Schicksal der Erneuerbaren sind flexible Gaskraftwerke. Der Preisverfall an der Börse macht auch diese zunehmend unwirtschaftlich. Dabei sind sie gut geeignet, die fluktuierende Einspeisung von Erneuerbaren auszugleichen. Wie wenig der Staat dem freien Strommarkt noch traut, zeigen die Gesetzesänderungen von Ende 2012: Der Staat verbietet den Versorgern seitdem, bestimmte Kraftwerke vom Netz zu nehmen, wenn sie für das Stromnetz als notwendig erachtet werden. Auch die winterliche Reserveleistung, die früher Angelegenheit der Netzbetreiber war, wird seither von der Regulierungsbehörde nachgerechnet. Die Verordnung ist als Notlösung gedacht und gilt nur bis 2017. Verschärfen wird sich das Problem aber voraussichtlich noch, wenn zwischen 2019 und 2022 ein Großteil der Kernkraftwerke abgeschaltet wird. Zu jenem Zeitpunkt sollen Wind- und Solaranlagen eine Spitzenleistung von 100 Gigawatt erzeugen – so viel wie 100 Braunkohleblöcke.

Dass sich die dann benötigten flexiblen Kraftwerke allein durch den Verkauf von Strom für wenige Hundert Stunden im Jahr rechnen werden, glaubt der Volkswirt und Politikwissenschaftler Patrick Graichen nicht. Er ist bei der Denkfabrik „Agora Energiewende“ für die Themen Strommarkt und Versorgungssicherheit zuständig „Dann werden wir einen Kapazitätsmarkt brauchen“, sagt er. Das heißt: Kraftwerksbetreiber bekommen Geld dafür, dass ihre Turbinen bei Bedarf startklar sind, egal ob sie nun Strom liefern oder nicht.

Die Diskussion darüber, ob ein solcher Kapazitätsmarkt tatsächlich nötig ist und wie er aussehen soll, hat gerade erst begonnen. Daten und Analysen stehen noch aus, doch die Beteiligten haben ihre Interessen schon abgesteckt. Dem Energiewirtschaftsverband BDEW wäre es am liebsten, wenn alle Kraftwerksbetreiber für gesicherte Leistung Zertifikate ausgeben und dafür zusätzlich zum Stromverkauf Geld kassieren. Es gäbe dann also zwei Strommärkte: einen – wie heute schon – für die tatsächlich gelieferten Kilowattstunden und einen für die bereitgehaltene Leistung. Ein Industriekunde könnte dann beispielsweise selbst entscheiden, ob er einen Aufpreis für die absolute Versorgungssicherheit bezahlt, oder ob er bereit ist, im Ernstfall seinen Energiebedarf zu drosseln. Das erschließt enorme Potenziale: Allein in Süddeutschland könnten die Betreiber von Zement- und Chemiewerken, Klimaanlagen oder Nachtspeicherheizungen die heute benötigte Reservekapazität um die Hälfte reduzieren, wenn sie bereit wären, ihren Verbrauch nur für eine halbe Stunde zu reduzieren.

Der BDEW-Vorschlag fördert allerdings nicht nur flexible Gaskraftwerke. Auch eigentlich überflüssig gewordene Kohlekraftwerke könnten noch jahrelang Geld fürs Nichtstun kassieren und sich so noch länger am Netz halten – zu Lasten der flexiblen, aber teureren Gaskraftwerke. Leprich favorisiert deshalb einen staatlich gesteuerten Kapazitätsmarkt, an dem nur die Kraftwerke teilnehmen sollen, welche die Energiewende voranbringen – Pumpspeicher zum Beispiel oder moderne Gaskraftwerke.

4. Preise für Kohlendioxid-Zertifikate erhöhen

Eine weitere Baustelle der Bundesregierung ist der Emissionshandel. „Würden Emissionszertifikate wie erwartet 20 bis 30 Euro pro Tonne kosten, hätten wir heute kein Problem mit der EEG-Umlage“, sagt Leprich. Solange aber Kohlendioxid für weniger als sechs Euro pro Tonne in die Atmosphäre geblasen werden darf, laufen vor allem billige Kohlekraftwerke auf Hochtouren. Das kann die Bundesregierung nicht allein ändern – aber wenn sie es mit der Energiewende ernst meint, muss sie sich in der Europäischen Union für höhere CO2-Preise einsetzen. Das würde auch den Gaskraftwerken helfen, denn diese emittieren deutlich weniger Treibhausgase als Kohlemeiler.

Wie viel die Energiewende kostet, hängt letztlich kaum davon ab, ob sie mithilfe einer Quote oder von Einspeisetarifen finanziert wird. „Wenn man von einem perfekten Markt und einer perfekten Regulierung ausgeht, kommt man bei den Kosten für die verschiedenen Modelle letztlich auf das Gleiche heraus“, sagt der Energiewirtschaftsprofessor Felix Müsgens von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus. Im Streit über das grundsätzliche Fördermodell geht es vielmehr darum, wem man eher vertraut – dem Markt oder dem Staat.

Während kein System eine Erfolgsgarantie bietet, sorgen abrupte Wechsel ziemlich sicher für schwere Rückschläge. „In den Niederlanden gab es zuerst Investitionszuschüsse, dann gar keine Förderung und dann verschiedene Prämienmodelle“, sagt Energie-Expertin Kleßmann. „Die häufigen Wechsel haben dazu geführt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien den Zielen hinterherhinkt.“ Auch Spanien hat sein Fördersystem so oft über den Haufen geworfen, dass dort schon vor der Wirtschaftskrise kaum noch jemand in Solar- und Windparks zu investieren wagte. Deshalb ist die Hoffnung illusorisch, die Erneuerbaren mögen dereinst völlig ohne fixe Einspeisevergütung auskommen. „Am Ende der Energiewende wird der Börsenpreis ohnehin bei null liegen und die EEG-Umlage (zuzüglich diverser Entgelte und Abgaben) der neue Strompreis sein“, schreibt „Photon“-Chefredakteurin Anne Kreutzmann. Voraussichtlich wird es deshalb ein Mix sein aus Kapazitätsmarkt, festen Einspeisetarifen und Energiebörse, der die Energiewende begleiten wird. (rot)