Strom heilt Asphalt

Pflanzen verfügen über hocheffiziente Reparaturmechanismen für Verletzungen. Mit verschiedenen Tricks wollen Chemiker jetzt auch Lacke, Asphalt und Luftmatratzen mit der Fähigkeit zur Selbstheilung ausstatten.

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Von
  • Bernd Müller

Pflanzen verfügen über hocheffiziente Reparaturmechanismen für Verletzungen. Mit verschiedenen Tricks wollen Chemiker jetzt auch Lacke, Asphalt und Luftmatratzen mit der Fähigkeit zur Selbstheilung ausstatten.

Spektakulär, was Erik Schlangen von der Universität Delft da in einem YouTube- Video demonstriert. Er zerschlägt einen Asphaltblock mit dem Hammer – und backt die beiden Klötze in der Mikrowelle wieder zusammen. Hinter der eindrucksvollen Erneuerungsprozedur steckt Stahlwolle, die in den Blocks eingeschmolzen wird. Die Mikrowellen erhitzen die Metallfasern, schmelzen den Asphalt auf und reparieren so aufgetretene Schäden.

Das ist nur eines von zahlreichen Beispielen für Materialien, die sich selbst reparieren können – fast wie der menschliche Körper. Kratzer im Lack, die wie von Zauberhand verschwinden, ein Loch in der Luftmatratze, das sich in Sekunden verschließt: Um derartige Stoffe ist ein regelrechter Hype ausgebrochen. Nicht ganz zu Unrecht, denn tatsächlich kommen Forscher ihrem Traum immer näher. Noch bis vor wenigen Jahren waren Anwendungsbeispiele rar gesät. Nissan etwa bot einen selbstheilenden Lack für das Automodell 370Z an und war damit fast allein auf weiter Flur. Nun allerdings wächst die Produktpalette mächtig an. Das zeigte auch die internationale Konferenz für selbstheilende Materialien, die im Juni in Gent, Belgien, stattfand. Auf der dreitägigen Leistungsschau stellten die Forscher in Dutzenden Vorträgen ihre neuesten Konzepte vor, darunter auch Schlangens Asphalt.

Mit dem etwa ließen sich Frostrisse ausbessern. Dazu bringt man die Stahlwolle in die obersten 2,5 Zentimeter des Straßenbelags ein. Die heilende Energie liefert eine Magnetspule. Zieht man sie über den Asphalt, erzeugt das einen Strom in der Stahlwolle. Die elektrische Energie erwärmt den Asphalt, das System funktioniert also ähnlich wie ein Induktionskochfeld. Wenn man Straßen regelmäßig dieser Wärmebehandlung unterzieht, sollen sie statt zehn Jahre bis zu 40 Jahre lang halten. Seit 2010 befindet sich der Asphalt auf der Autobahn 58 bei Vlissingen in den Niederlanden im Langzeittest.

Auch Pionier Nissan ist nicht untätig geblieben. Unter dem Namen Scratch Shield bietet das Unternehmen seinen Lack inzwischen auch bei einer Schutzhülle fürs iPhone an. Kleine Kratzer verschwinden von selbst, weil der Lack im Sonnenlicht innerhalb von Stunden oder Tagen in die verletzte Stelle fließt. Schneller geht es mit einem Lack, den Rolf Mülhaupt, Professor für makromolekulare Chemie an der Universität Freiburg, gerade entwickelt: Seine Lackmixtur muss nur kurz erwärmt werden, damit der Kratzer verschwindet. Schon die Wärme durch das Polieren mit einem weichen Tuch genügt. Und auch der Chemiekonzern Bayer hat bereits die passenden Zutaten für solche Lackmischungen im Programm.

Weitere Neuerungen erhoffen sich die Experten vom Studium der Selbstheilungsprozesse in der Natur. Zwei der prominentesten Vertreter sind das Ehepaar Olga und Thomas Speck von der Universität Freiburg. Die Botanikerin und der Biophysikprofessor übertragen Reparaturmechanismen aus der Pflanzenwelt auf technische Anwendungen. Ein naheliegender Ansatz, schließlich hat die Vegetation auf diesem Gebiet einen Entwicklungsvorsprung von mehreren Hundert Millionen Jahren. Elf Doktoranden und vier Postdocs untersuchen im europäischen Trainingsnetzwerk SHeMat unter Leitung der Specks, wie Pflanzen Schäden beseitigen, um daraus neue selbstheilende Stoffe abzuleiten Beispiel Liane: Sie schließt Verletzungen, indem Zellen in den Riss quellen.

Das Prinzip hat das Team der Specks vor fünf Jahren mit einem Polyurethanschaum nachgeahmt, der Plastikmembranen abdichtet, die unter Druck stehen, beispielsweise in einer Luftmatratze. Dazu wird die Innenseite der Membran mit dem Schaum beschichtet. Sticht etwa ein Nagel ein Loch in die Hülle, wird der Schaum von der ausströmenden Luft mitgerissen und verklebt die Lücke. Bis zu fünf Millimeter große Öffnungen schließt der Schaum vollkommen dicht ab, "gegen lange Schnitte mit dem Messer ist er natürlich machtlos", sagt Thomas Speck. Mittlerweile stellt die Rampf Gießharze GmbH den Schaum kommerziell her. Abnehmer sollen zunächst vor allem die Hersteller von Produkten sein, von denen Menschenleben abhängen, etwa Schlauchboote für die Wasserrettung.

Der nächste Coup aus den Speck-Labors beruht auf der Nachbildung der Birkenfeige, auch bekannt unter ihrem lateinischen Namen Ficus benjamina. Um Wunden im Holz zu verschließen, besitzt die Pflanze feine Kanäle, angefüllt mit Milchsaft und winzigen Eiweißkapseln. In den Kanälen steht das Saft-Kapsel-Gemisch unter bis zu zehn Bar Druck. Nach einer Verletzung presst es sich aus dem Stängel.

Sein Druck sinkt schlagartig auf Umgebungsniveau, die Mikrokapseln im Milchsaft platzen und setzen Proteine frei. Sie bewirken, dass sich die Latexpartikel im Milchsaft vernetzen und aushärten, die Farbe der Substanz wechselt von weiß zu transparent. Die Kooperationspartner der Freiburger vom Fraunhofer-Institut UMSICHT in Oberhausen haben versucht, die mit Reparaturflüssigkeit gefüllten Mikrokapseln im Labor nachzuahmen – zunächst mit ernüchterndem Resultat. Sind die Wände der Kapseln zu dünn, werden sie beim Vulkanisieren des Gummis zerstört, in den sie eingebettet werden sollen. Sind sie zu dick oder zu fest, läuft der Riss zwischen den Kapseln entlang, und die Wände platzen nicht auf.

Die zündende Idee kam von Rolf Mülhaupt, dem Freiburger Kollegen der Specks. Er schlug vor, Mikrotröpfchen mit Reparaturflüssigkeit direkt als Emulsion in den Gummi einzulagern. Risse schließen sich jetzt automatisch, die Festigkeit wird zu 45 Prozent wieder hergestellt. "Wir wissen noch nicht genau, wie das funktioniert", gibt Thomas Speck zu. Klar ist dagegen, wo das Verfahren einmal zum Einsatz kommen soll: in elastischen Polymeren, also etwa in Öl- oder Schmutzwasserdichtungen.

Auf das Prinzip heilender Kapseln setzt auch Volkmar Stenzel vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM). Er will Risse in Schutzlacken kitten, um beispielsweise Metall vor Korrosion zu bewahren. Die Idee: Winzige Kügelchen brechen im Riss auf und ergießen eine Flüssigkeit, die bei Kontakt mit einem Katalysator – der ebenfalls unter den Lack gemischt wurde – wieder zu einer geschlossenen Kunststoffschicht aushärtet. Die Methode an sich entwickelten US-Forscher zwar schon vor zwölf Jahren. Doch das Ergebnis stank buchstäblich zum Himmel. "Der Geruch der Flüssigkeit war unerträglich", erinnert sich Stenzel, der das Verfahren ausprobierte.

Der Schutz des Metalls funktionierte aber. Deshalb griff das IFAM-Team die Idee auf – mit Erfolg. Die Kapseln aus Harnstoff-Formaldehyd des Fraunhofer IFAM enthalten nun ein Heilungsharz, das an der Luft ganz ohne Katalysator aushärtet, außerdem einen Korrosionsinhibitor, der Rost verhindert. "Wir kümmern uns erst mal um die Branchen, in denen der Leidensdruck am größten ist", sagt Stenzel. In der Baubranche etwa fallen hohe Kosten an, wenn Stahlträger in Brücken ausgebessert werden müssen.

Würden sich Risse automatisch mit einer Korrosionsschutzschicht überziehen, dürften die Bauwerke länger halten. Ob das funktioniert, müssen Langzeittests zeigen. Der Anwendung am nächsten ist die Schiffsindustrie. Auch dort sind Reparaturen teuer. Im EU-Projekt ThroughLife unter Federführung der Meyer Werft in Papenburg hat das Fraunhofer IFAM einen Schutzlack entwickelt, der bis zu 15 Prozent Mikrokapseln enthält. Noch dieses Jahr wird der heilende Anstrich an Ballastwassertanks von Schiffen getestet. (bsc)