"Studenten sollten uns nicht zitieren"

In seiner März-Ausgabe berichtete Technology Review über den Mitarbeiterschwund bei Wikipedia und die resultierenden Qualitätsprobleme. Am Rand der IT-Messe Cebit bezog Gründer Jimmy Wales Stellung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 27 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Robert Thielicke

In seiner März-Ausgabe berichtete Technology Review über den Mitarbeiterschwund bei Wikipedia und die resultierenden Qualitätsprobleme. Am Rand der IT-Messe Cebit bezog Gründer Jimmy Wales Stellung.

Technology Review: Herr Wales, Wikipedia ist auf dem besten Weg zum Monopolisten im Lexikon-Bereich. Macht Sie das nervös?

Jimmy Wales: Wir stellen alle Inhalte in freier Lizenz zur Verfügung. Es ist also sehr einfach, mit uns zu konkurrieren und ein eigenes Lexikon zu starten. Man braucht die Inhalte nur zu kopieren. Aber natürlich ist es eine große Verantwortung, Teil der Internet-Infrastruktur zu sein.

TR: Die Zweifel wachsen jedoch, ob Sie ihr gerecht werden. Immer wieder bearbeiten PR-Agenturen die Beiträge. Fürchten Sie nicht, dass sich Ihre Idee von einem Informations- zu einem Desinformationskanal entwickeln könnte?

Wales: Viele Studien haben gezeigt, dass wir mindestens so gut sind wie ein klassisches Lexikon. Als wir das Projekt begannen, haben Akademiker uns verlacht. Inzwischen zitieren uns ihre Studenten.

TR: Sollten sie das wirklich tun?

Wales: Nein, weder Studenten noch Akademiker noch sonstige Menschen, die auf professioneller Ebene Informationen sammeln und verwerten. Wikipedia bietet Hintergrundwissen. Das Lexikon erlaubt Menschen, sich bei einem Thema zu orientieren, um dann gegebenenfalls tiefer einzusteigen. Aber es ist kein Fachmagazin mit Peer Review.

Trotzdem haben wir wirksame Kontrollen: Eine Menge Leute prüfen bei Wikipedia jeden Inhalt. Wir haben etwa 3000 bis 5000 Zuarbeiter, die den wirklichen Kern ausmachen. Hinzu kommen rund 100000 eher locker assoziierte.

TR: Die Basis schwindet jedoch. Viele Zuarbeiter hören entnervt auf, weil sie sich von den Administratoren gegängelt fühlen.

Wales: Mir ist bewusst, dass viele Wikipedia den Rücken zugekehrt haben. Es ist sehr schwer geworden, relevante Inhalte beizutragen. Zu Beginn konnte man schreiben "Afrika ist ein Kontinent", weil einfach nichts zu Afrika drinstand. Inzwischen finden sich sehr viele Themen in großer Detailfülle.

TR: Das Lexikon hat noch ein weiteres Problem: die Diversität der Zuarbeiter. Beiträge handeln vorwiegend von Europa, Amerika...

Wales: ...Japan und den großen Städten in China. Die Menschen schreiben eben über das, was sie interessiert und worüber sie Bescheid wissen. Extrem wenig findet sich etwa über die Mitte Chinas oder Afrika.

Aber die Lücken dürften sich schließen, wenn mehr Menschen in diesen Regionen Zugang zum Internet und damit zu Wikipedia bekommen. Um das zu beschleunigen, haben wir "Wikipedia Zero" ins Leben gerufen. Wir verhandeln mit Mobilfunkanbietern in ärmeren Ländern, um Nutzern Zugang zu unserer Seite zu geben, ohne dass der Provider die dafür nötige Datenmenge abrechnet.

TR: Und was ist mit den Frauen? Sie sind ebenfalls unterrepräsentiert.

Wales: Das Thema Diversität ist sogar noch umfassender. Um bei Wikipedia zu editieren, muss man ein bisschen Techie sein. Die Nutzerfreundlichkeit ist nicht so gut. Das schließt viele Menschen aus, etwa meinen Vater oder andere, die keine Computer-Geeks sind. Wir müssen es einfacher machen, für Wikipedia zu schreiben.

TR: Ist das Problem nicht eher, dass übermäßige Bürokratie und strenge Administratoren den Menschen die Lust nehmen?

Wales: Man muss streng sein, um gute Qualität zu bekommen. Die Deutschen sind im Übrigen besonders streng. Sie lieben Qualität. Ich würde mir wünschen, dass die englischsprachige Version deutscher wäre. Aber natürlich müssen wir gleichzeitig klarmachen, dass neue Zuarbeiter willkommen sind.

TR: Wenn derart strenge Vorgaben nötig sind, was bedeutet dies dann für die Idee der "Weisheit der Vielen"?

Wales: Gute Frage. Ich glaube, die Möglichkeiten sind in vielen Bereichen noch gar nicht ausgeschöpft. Nehmen Sie Animationsfilme. Die Beteiligten können überall auf der Welt sitzen und an einem Projekt arbeiten.

TR: Ich wollte eigentlich eine Antwort zu Wikipedia...

Wales: Für mich ist Wikipedia immer noch das bessere Modell für ein Nachschlagewerk. (rot)