Die Internet-Verwaltung will mehr Kontrolle über die DNS-Rootzone

Die ICANN will auf dem Weg zu ihrer vollständigen Unabhängigkeit das Recht zur Verteilung des maßgebenden DNS-Rootzone-Files selbst übernehmen; damit begegne man der Skepsis gegenüber der zentralen Rolle eines US-Unternehmens wie VeriSign.

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Von
  • Monika Ermert

Die Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) will das Recht zur Verteilung des maßgebenden Rootzone-Files für das Domain Name System selbst übernehmen. Nach Aussagen des Vorsitzenden Peter Dengate-Thrush beim ICANN-Treffen in Paris will man dazu Verhandlungen mit VeriSign und dem US-Handelsministerium (US Department of Commerce, DoC) führen. Bislang distribuiert VeriSign das Rootzone-File, in dem alle im Internet verfügbaren Adresszonen gelistet werden, auf der Basis des Cooperative Research and Development Agreement (CRADA) mit dem Handelsministerium. VeriSign hat laut Dengate-Thrush bei der Erneuerung des .com-Vertrags mit ICANN einer Übernahme dieser Aufgabe durch ICANN bereits zugestimmt.

Mit diesem Schritt begegne man der Skepsis einer Reihe von Regierungen gegenüber der zentralen Rolle eines US-Unternehmens wie VeriSign, sagte Dengate-Thrush gegenüber heise online. Noch nicht entschieden sei allerdings, ob die ICANN die Rootzone tatsächlich selbst distribuiert oder aber VeriSign damit beauftragt – die Kontrolle bliebe damit bei der ICANN, die technische Ausführung übernähme aber wieder der bisherige Dienstleister. Die Überlegungen sind Teil eines vom Strategiekomitee des ICANN-Präsidenten in Paris erläuterten Übergangsplans, der die private Netzverwaltung nach dem Auslaufen des Vertrags mit der US-Regierung (Joint Project Agreement) zu einer unabhängigen privaten Organisation machen soll.

Die ICANN hielte nach diesem Schritt selbst alle wesentlichen Verträge zum Betrieb der Rootzone in der Hand, neben CRADA auch noch den Vertrag über die Internet Assigned Numbers Authority (IANA). VeriSign wird damit zu einem normalen Rootzone-Betreiber. Die Straffung der Beziehungen sei ein Teil des Übergangsplanes auf dem Weg Privatisierung. Dafür müsse das Vertrauen in die Institution ICANN erhöht werden.

Der spektakulärste Vorschlag für die Neuorganisation der ICANN dürfte sein, dass die ICANN-Gemeinde den gesamten Vorstand entlassen können soll. Diese drastische Maßnahme soll als Notbremse gegen einen Vorstand einsetzbar sein, der von einer einzelnen Interessengruppe dominiert wird. Institutionelle Absicherungen gegen eine Übernahme der privaten Netzverwaltung durch eine einzelne Gruppe gehörten zu den zentralen Bedingungen, ohne die eine vollständige Privatisierung unmöglich sei. Zu den weiteren vom Strategiekomitee aufgezählten Bedingungen gehört unter anderem die Rechenschaftspflicht der privaten Netzverwaltung gegenüber der aus Vertretern der verschiedenen Interessengruppen zusammengesetzten "ICANN-Gemeinschaft" und die Wahrung des Prinzips der Politik von unten.

ICANN-Kritiker warnen vor einer bedingungslosen Entlassung aus der US-Aufsicht. "Wem wäre die ICANN dann noch rechenschaftspflichtig?", fragt Karl Auerbach, ehemaliger Direktor im allgemeinen Beratungsausschuss (At-Large Advisory Committee, ALAC). ICANN-Kritiker Milton Mueller regte in Paris noch einmal an, die abgeschafften allgemeinen Wahlen für einen Teil der Vorstandssitze wieder in Betracht zu ziehen. Steve del Bianco von Netchoice lehnte eine Unabhängigkeit der ICANN völlig ab.

Vertreter der Unternehmensnutzer und Markenrechtsinhaber (beide haben eigene Gremien innerhalb der ICANN) warnten vor einer in Paris ebenfalls diskutierten Einschränkung ihrer Stimmrechte zugunsten von Registraren und Registries – damit gebe man gerade denen mehr Einfluss, für deren Geschäft Regeln geschaffen werden sollen. Dass Registries und Registrare Eintrittshürden für kommende Wettbewerber mitdiskutieren, habe bei seinen Kollegen in Brüssel für kritische Anmerkungen gesorgt, sagte EU-Kommissionsvertreter William Dee in einer Diskussion um die Einführung neuer TLDs.

Das Strategiekomitee bat letztlich um weitere Kommentare bis Ende Juli, danach soll das Dokument zu den institutionellen Verbesserungen auf dem Weg zur Unabhängigkeit überarbeitet werden. Mit auf der Frageliste steht dabei auch, inwieweit neue Standorte im Ausland, vor allem aber auch eine dort anzumeldende zusätzliche Rechtsform für die Organisation wünschenswert sei. Mit einem privaten, nichtkommerziellen Unternehmen nach kalifornischem Recht sei international nicht überall Staat zu machen, meinen die Mitglieder des Strategiekomitees. Bei der Einstellung von Nicht-US-Personal gebe es so immer wieder Schwierigkeiten. Gleichzeitig unterstrich das Strategiekomitee auch, dass man den Hauptsitz auf jeden Fall in den USA belassen wolle. Angesichts all der Emanzipationsbestrebungen will man die alte US-Mutter DoC offenbar ein wenig beruhigen.

Zum 32. Treffen der Internet-Verwaltung ICANN siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)