Breitbandausbau: "Keiner hat einen Plan, aber alle machen mit"

In Fachkreisen wächst der Unmut über das konzeptlose Weiter-so-Szenario in der Breitbandpolitik, das sich auch unter der neuen Bundesregierung derzeit abzeichnet.

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Von
  • Richard Sietmann
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In Sachen Breitband sortiert sich das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) noch. Das vom Bundeswirtschaftsministerium ins BMVI gewechselte Breitband-Referat hat noch nicht einmal einen offiziellen Namen. Aber offenbar soll auch künftig alles so weitergehen wie bisher. Auf der zweitägigen Fachtagung Breitbandversorgung in Deutschland der Informationstechnischen Gesellschaft ITG im VDE machte Frank Krüger, Vertreter des BMVI, jedenfalls deutlich, dass sein Ministerium weiter am Technik-Mix von DSL, Vectoring, LTE-Funk und Kabel festhalten will. Auf der ITG-Veranstaltung provozierte diese Herangehensweise heftige Diskussionen.

Im Ministerium wird derzeit eine Rahmenregelung zur Förderung des Next Generation Access vorbereitet, deren Ziel es sei, "möglichst umfassend alle Technologien aufzugreifen". Deshalb werde die Verordnung – im Einklang mit den Forderungen der Deutschen Telekom – auch den weiteren Ausbau des Kupferfestnetzes mit VDSL-Vectoring förderfähig machen.

Trotz des Wechsels in das Infrastrukturministerium zeichnet sich damit auf Ministeriumsebene kein Umdenken ab. Schon vor drei Jahren hatte Referatsleiter Krüger auf einer Veranstaltung in Berlin klargestellt, dass der Glasfaserausbau für die Bundesregierung keine Priorität habe.

Auf der ITG-Veranstaltung kritisierten Teilnehmer, dass es seit acht oder zehn Jahren immer wieder heiße, "aber dann, fangen wir auch gleich an". Doch statt dessen bliebe es bei einer kleinteiligen Herangehensweise, der "Blick über den Tellerrand hinaus", den man von der Bundesregierung und von Deutschland als führender Industrienation erwarten könne, bliebe aus. Doch trotz solcher Kritik blieb Krüger hartnäckig. "Wir können jetzt keine Politik für die nächsten 15 oder 20 Jahre machen", meinte er und spielte den Ball zurück: "Wenn Unternehmen heute schon FTTH ausbauen wollen, dann wenden wir uns nicht dagegen."

Krüger kann sich auf eine vom Bundeswirtschaftsministerium veranlasste Studie des TÜV Rheinland berufen. Darin wurden die Kosten der Versorgung von 95 Prozent der Haushalte mit Bandbreiten von 50 MBit/s für den Technik-Mix auf 11,8 Milliarden Euro und auf 19,5 Milliarden Euro für die Vollversorgung beziffert; dagegen schlüge dem TÜV zufolge der Breitbandausbau mit Fiber to the Building (FTTB) oder Fiber to the Home (FTTH) mit 93,8 Milliarden Euro zu Buche.

Doch es gibt auch ganz andere Zahlen. Die Präsidentin des FTTH Council Europe, Karin Ahl, veranschlagte auf der ITG-Veranstaltung die Kosten für die flächendeckende Glasfaserverkabelung in der gesamten EU mit ihren 506 Millionen Einwohnern auf zusammen 202 Milliarden Euro. Des Lobbyismus gänzlich unverdächtig sind die Erkenntnisse des Bonner Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK), das die Gesamtkosten für die teuerste, aber flexibelste Variante eines Glasfaseranschlussnetzes mit Punkt-zu-Punkt-Topologie auf 80 Milliarden Euro berechnete.

Thomas Plückebaum vom WIK bezifferte den echten Subventionsbedarf für den Teil der Investitionsaufwendungen, der sich nicht aus den Erlösen finanzieren lasse, auf 13 Milliarden bis 17 Milliarden Euro. Die Diskrepanz zu den Zahlen des TÜV Rheinland konnte er auf Nachfrage nicht kommentieren – denn trotz Ankündigungen hat das Ministerium die im August 2013 erstellte Studie noch immer nicht veröffentlicht, sodass die Gründe für die Unterschiede im Dunkeln sind.

"Keiner hat einen Plan, aber alle machen mit", charakterisierte der Leiter der Abteilung Photonische Netze und Systeme vom Heinrich-Hertz-Institut (HHI) der Fraunhofer-Gesellschaft, Ronald Freund, auf der Berliner Veranstaltung die Lage. Er warf die Frage auf, ob in der Breitbandpolitik statt mit Bitratenzielen wie "50 MBit/s für alle bis 2018" nicht besser mit Infrastrukturvorgaben gearbeitet werden sollte. Doch schon bei dem Wort "Plan" zuckte Frank Krüger zusammen, als würde er auf eine Zeitreise zurück in die DDR versetzt. So etwas passe nicht in unsere Wettbewerbslandschaft, meint er, "wir sind doch keine Diktatur hier".

"Wenn man solch einen Plan hätte, könnte man daran arbeiten", assistierte ihm VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner. Den gebe es aber nicht, und "wir werden diesen Plan für Deutschland auch nicht hinkriegen". Deshalb ergebe es keinen Sinn, "immer dieselbe Sau durchs Dorf zu jagen". Würde die Politik jetzt anfangen, mit den Verbänden über einen "Universalplan für Deutschland" zu diskutieren, "dann schießen wir uns nochmal um fünf Jahre zurück". Er unterstützte das schrittweise Vorgehen des Breitband-Referates und empfahl der Bundesregierung, erst einmal die bekannten Hausaufgaben wie die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren oder Regelungen zu verbindlichen Planungsabsprachen abzuarbeiten.

"Da haben wir im ländlichen Raum eine andere Erwartungshaltung", hielt dem ein Gemeinde-Vertreter aus Schleswig-Holstein die kommunale Sicht entgegen. "Die Wettbewerbsidee ist toll", meinte Sönke Körber lakonisch, "aber die Leidtragenden sind die Bürger". Der Verwaltungsleiter des Amts Probstei an der Kieler Außenförde erinnerte BMVI-Vertreter Krüger daran, dass die Bundesregierung in anderen Bereichen durchaus andere Maßstäbe angelegt habe. "Beim Kita-Ausbau gab es auch einen Plan, mit einem vom Bund verbürgten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 2013, den die Kommunen einlösen mussten und dafür Zuschüsse von der Bundesregierung bekamen."

Das Amt Probstei mit seinen 23.000 Einwohnern gliedert sich in 20 selbständige Gemeinden, die über Infrastrukturmaßnahmen selbst entscheiden. Die Amtsverwaltung könne das zwar koordinieren, aber "wir haben kein eigenständiges Know-how", bekannte Körber. Die Situation sei typisch für die meisten Gemeinden in der Bundesrepublik, die sich mit den Angeboten von Beratern und Netzbetreibern herumschlagen müssten. Deshalb brauche es beim Breitbandausbau klare Lösungen und eine Allianz von Bund und Ländern.

Noch stärker ging Michael Reiss vom baden-württembergischen Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz mit der Berliner Breitbandphilosophie ins Gericht. Er empfahl jedem, der LTE zur Versorgung des ländlichen Raumes empfehle, sich mal vor Ort mit Leuten zu unterhalten: "Sie werden Ihr blaues Wunder erleben". Und auch am weiteren Ausbau des Kupfernetzes mit VDSL/Vectoring ließ er kein gutes Haar. "Das Vectoring vertieft in der Fläche die digitale Spaltung", erklärte Reiss. "Die Ankündigung, dass man mit Vectoring in der Lage sei, die weißen Flecken im ländlichen Raum zu beseitigen, stimmt schlicht und ergreifend nicht".

Die DSL-Technik holt zwar mit der aktuellen Version VDSL2 deutlich mehr aus der Kupferdoppelader als etwa ADSL2+, aber in ländlichen Gebieten schmilzt der Vorteil dahin, weil die Anschlüsse oft so lang sind, dass sich darüber keine 50 MBit/s befördern lassen. Der Glasfaservollausbau käme zwar deutlich teurer, würde aber die digitalie Spaltung zwischen Stadt und Land nicht fördern, sondern verhindern.

Denn auf dem Lande gingen die Anschlussleitungslängen in der Regel deutlich über die 500 oder 600 Meter hinaus, bis zu der das Verfahren überhaupt Bitraten-steigernde Wirkungen zeige. Und dort, wo sich das Verfahren wirksam nutzen lässt, stärke es monopolartige Strukturen, weil alternative Anbieter nur noch über den Bitstrom zu den Bedingungen desjenigen zu den Endkunden gelangen könnten, der das Vectoring am Kabelverzweiger einsetzt. Im Regelfall ist das die Deutsche Telekom.

Am meisten empörte sich Reiss über die Pläne der Regierung in Berlin, "dass dieses Vectoring mit Steuergeldern gefördert werden soll". Ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeldern sähe anders aus und sollte sich darauf konzentrieren nachhaltige Lösungen zu fördern; in Baden-Württemberg habe man sich deshalb entschieden, nur noch in die passive kommunale Infrastruktur, in Leerrohre mit oder ohne Glasfaserkabel, zu investieren.

In den technischen Fachvorträgen ging es auf der ITG-Tagung dann unter anderem um Anschlussnetze der übernächsten Generation – Systeme, die mit dichtem Wellenlängen-Multiplex und optischem orthogonalen Frequenzmultiplex (OOFDM) erheblich mehr Flexibilität in die Anschlussnetzstruktur bringen können. Doch wenn es keine optischen Anschlussnetze gibt, läuft diese Forschung ins Leere. Geforscht wird offenbar für den Weltmarkt. Nur kommen die im Glasfaserausbau führenden Länder wie China, Korea und Japan inzwischen auch was Forschung und Entwicklung angeht ganz gut allein zurecht. (anw)