BKA-Gesetz: Der Blick richtet sich erneut nach Karlsruhe

Datenschützer sowie Medien- und Wirtschaftsvereinigungen protestieren gegen die Verabschiedung der lange umstrittenen Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt. Sie setzen ihre Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht.

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Datenschützer sowie Medien- und Wirtschaftsvereinigungen haben gegen die Verabschiedung der Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) durch den Bundestag protestiert. Wieder genehmige sich der Bundesgesetzgeber erst einmal ein Übermaß an Freiheitsbeeinträchtigungen, um dann nach einem Gerichtsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auf das vom Grundgesetz gerade noch Erlaubte zurechtgestutzt zu werden, beklagt der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Thilo Weichert. Das neue BKA-Gesetz gefährde geradezu die "innere Sicherheit", weil es die Bevölkerung verunsichere und durch den Abbau rechtsstaatlicher Verfahren sowie durch die "Vergeheimdienstlichung der Polizei" die Ausgrenzung von Minderheiten forciere. Dies sei der wahre Treibsatz für Terrorismus.

August-Wilhelm Scheer, Präsident des Branchenverbands Bitkom, sieht das Vertrauen unbescholtener Computer-Nutzer in ihre Privatsphäre durch die "Gummi-Paragraphen" rund um die neue Lizenz für heimliche Online-Durchsuchungen schwinden. Der Gesetzgeber habe das neue Computer-Grundrecht nicht genügend berücksichtigt. Die geplante Befristung der Befugnis zum Einsatz des Bundestrojaners bis 2020 bringe nichts. Das Gesetz könne auch ohne diese Frist gestrichen werden, wenn es sich nicht bewähre. "Doch bevor es überhaupt in Kraft tritt, sollte zwischen Nutzen und Risiken sorgfältig abgewogen werden." Das Vorhaben muss noch den Bundesrat passieren, bevor es im Bundesgesetzblatt verkündet werden kann.

Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) befürchtet, dass das BKA Journalisten überwachen könnte. Wie schon beim Gesetz zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten würden die neuen Bestimmungen "keinerlei spürbaren Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Informant und Presse" enthalten. Besonders brisant seien die Ausnahmen von der Pflicht, die überwachten Bürger wenigstens im Nachhinein über das staatliche Eindringen in ihre Privatsphäre zu informieren. "Im Eilfall müssen weder Staatsanwalt noch Richter einer Online-Durchsuchung zustimmen", kritisiert Michael Littger, TK-Experte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Laut dem Berufsverband der Datenschutzbeauftragten Deutschlands (BvD) hat die große Koalition mit dem Vorstoß "einen neuen Negativmaßstab im Umgang mit persönlichsten Daten zu geltendem Gesetz gemacht". Es könnten auch IT-Systeme von Personen ausgeforscht werden, die nur im Kontakt mit einem Verdächtigen stehen. Mit dieser unscharfen gesetzlichen Regelung müssten alle Bürger mit einer Online-Durchsuchung rechnen.

Bei der von den Grünen geforderten namentlichen Abstimmung (PDF-Datei) am Mittwoch hatten von 549 anwesenden Parlamentarier 375 mit Ja und 168 mit Nein gestimmt, darunter 20 SPD-Abgeordnete. Sechs Sozialdemokraten enthielten sich. Gegen das Gesetz wollen Politiker der Grünen und der FDP sowie die Telepolis-Autorin Bettina Winsemann ("Twister") Verfassungsbeschwerde einlegen. Winsemann bittet um Spenden, um die sich etwa auf 8000 Euro belaufenden Kosten für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts aufbringen zu können. Inhaltliche Unterstützung erhält sie von der Humanistischen Union und der Piratenpartei.

Ernst Gottfried Mahrenholz, früherer Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, räumt Klagen in Karlsruhe gegen die beschlossenen Kompetenzerweiterungen der Polizei Erfolgsaussichten ein. Ihm scheint nicht gewiss, dass das Ausmaß zulässiger staatlicher Eingriffe in die Grundrechte des Datenschutzes, des Fernmeldegeheimnisses und der Unverletzlichkeit der Wohnung dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit angesichts terroristischer Gefahren standhält, sagter er der Mitteldeutschen Zeitung. Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis bezeichnete es ebenfalls als unwahrscheinlich, "dass das Gesetz völlig ungeschoren davonkommt".

Ähnlich wie Vertreter der Union hatte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dagegen das Verhandlungsergebnis der großen Koalition als "strikt rechtstaatliches Gesetz auf sehr hohem Niveau" bezeichnet. Den Weg nach Karlsruhe empfahl er daher nur Kritikern, die sich "ein blaues Augen holen" wollen. Man könne zwar der Meinung sein, dass die verdeckte Online-Durchsuchung überflüssig sei. Rechtsstaatlich betrachtet halte er die gefundene Regel aber für einwandfrei.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (anw)