Theorie und Praxis neuer Formen digitalen Widerstands

Hacker, Medienkünstler und Politiker haben auf einer Konferenz nach subversiven Ansätzen im Kampf gegen die überbordende Überwachung gesucht. "Begrenzte Regelverletzungen" sollen wieder hoffähig werden.

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Constanze Kurz will verhindern, dass sich angesichts des mit dem NSA-Skandal aufgedeckten "übermäßigen mafiösen Geheimdienstkomplexes" Ohnmacht unter den Ausgespähten breit macht. "Ich bin da tatsächlich empört", betonte die Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) am Samstag auf einer Debatte über "zivilen Ungehorsam im Netz und die Zukunft des digitalen Widerstands" auf dem "taz.lab" in Berlin.

Jacob Appelbaum, Constanze Kurz und Hans-Christian Ströbele (v.l.)

(Bild: Stefan Krempl)

Besonders auf die Palme bringt Kurz die Haltung der Bundesregierung: "Ich sehe nicht mal den politischen Wunsch, sich strukturell gegen die Massenüberwachung zu wehren." Der Überwachungskomplex dürfe nicht ein so starkes Eigenleben entwickeln, dass geltende Gesetze keine Rolle mehr spielten.

Kurz hat selbst zusammen mit Mitstreitern anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegen den britischen Geheimdienst GCHQ geklagt sowie Strafanzeige beim Bundesgeneralanwalt gestellt. Aus eigenen Erlebnissen weiß sie, dass Geheimdienste "nicht unkaputtbar" sind: "Ich habe an der Normannenstraße gestanden", berichtete sie von ihren Erfahrungen mit der Stasi. Für sie ist klar: "Wir müssen denen die Gelder wegschneiden."

Die gegenwärtige Entwicklung macht die Hackerin aber "unruhig". Sie verwies darauf, dass frühere US-Whistleblower auf Zeitungstiteln gefeiert worden seien. Dass dies bei Edward Snowden kaum mehr der Fall sei, hält sie für eine "zivilisatorische Rückwärtsbewegung". Auch im CCC seien Auswirkungen davon zu spüren. Dort gebe es zwar Künstler, die versuchten, mit subversiven technischen Methoden die "Narrative" der angeblichen Terrorismusabwehr durch Massenüberwachung zu bekämpfen. Auch diese hätten aber mit "Repression" zu tun. Vor neuen Aktionen würden daher seit Neuestem auch Clubmitglieder fragen, ob nicht "erst mal ein Anwalt" befragt werden solle.

Kurz' US-Kollege Jacob Appelbaum, der seit geraumer Zeit in Berlin lebt, warb für eine "soziale Bewegung", die einen "Meta-Kampf" gegen die unverhältnismäßige Bespitzelung aller Bürger führen müsse. Dafür sei es wichtig, alle politischen Bewegungen unter einen Hut zu bekommen, wie es die Freie-Software-Szene geschafft habe: "Da sind die schlimmsten Rechten und die krassesten Linken unter einem Dach." Der IT-Forscher sprach sich für eine "massive Gegenreaktion" aus mit dem Ziel, "die Geheimdienste zu zerstören". Deren "legitime" Aufgaben wie die IT-Sicherheit zu gewährleisten könnten in einer transparenten zivilen Institution erledigt werden.

Vorerst hält es Appelbaum für nötig, alternative Netzinfrastrukturen mit "einfacher Verschlüsselung" und eingebauter Anonymisierung für aufzubauen. "Sachbeschädigung und Gewalt" sieht er prinzipiell als falsch an. Wenn aber entgegen gesetzlicher Vorgaben zum Beispiel videoüberwacht werde, sei es am effektivsten, die Kameras zu demontieren und gegen die Häuser der Verantwortlichen zu richten. Der Hacker warnte zudem davor, die Auseinandersetzung auf eine Schlacht gegen "Internetzensur" zu verkürzen. Da die IT längst "Teil unseres Lebens" sei, gehe es etwa beim Datenschutz darum, Würde, Selbstbestimmung und Freiheit als solche zu sichern.

Ähnlich sprach sich der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele für "neue Formen des Widerstands und des Protests" mit digitalen Mitteln aus. Er erinnerte an die "begrenzte Regelverletzung", mit der seine Generation gesetzliche Bestimmungen überschritten habe, "um etwas zu bewirken". So seien letztlich etwa Sit-ins vor Atomkraftwerken als demokratische Mittel in die Rechtsprechung eingegangen. Genauso müssten elektronische Ansätze im Kampf um Freiheitsrechte und unkontrollierte Kommunikation jetzt rechtlich anerkannt werden. Es müsse etwa möglich sein, illegale Überwachung durch Whistleblowing "schonungslos ohne jede Begrenzung aufdecken zu können".

Domagoj Smoljo und Carmen Weisskopf von der "Mediengruppe Bitnik" zeigten anhand ausgewählter eigener Aktionen auf, in welche Richtung der digitale Widerstand und die von der Kunstfreiheit gedeckte Grenzverschiebung gehen kann. In ihrem frühen Projekt "Opera Calling" etwa versteckten die beiden Schweizer mit externen Mikros aufgerüstete Mobiltelefone als Wanzen im Zürcher Opernhaus und übertrugen dortige Aufführungen live an zufällig ausgewählte Telefonnummern. Zuerst habe die Kultureinrichtung daraufhin mit Klage gedroht und Urheberrechte ins Feld geführt. Nachdem das "autonome Operntelefon" aber viele Unterstützer fand, durften die Künstler monatelang weitermachen.

Julian Assange übte sich in "Postkartenkunst"

(Bild: Stefan Krempl)

In einer weiteren Aktion installierte das Duo einen starken "Überwachungsbildsender" in einem gelben Koffer nebst einem Schachcomputer. Auf die Monitore in Kontrollzentren für CCTV-Anlagen zauberten sie damit vor der Olympiade 2012 in London ihr Schachbrett und forderten die Kontrolleure zum " Surveillance Chess" per SMS heraus. "In drei Tagen hat sich niemand auf ein Schachspiel eingelassen", berichtete Smoljo. Er vermutet, dass die "prekär beschäftigten" Aufpasser Angst gehabt hätten, den Vorfall melden zu müssen.

Voriges Jahr testeten die Künstler, welche Kommunikationskanäle noch in die wie eine "Kriegszone" abgesicherte ecuadorianische Botschaft Londons zu Wikileaks-Gründer Julian Assange führten, der dort 2012 Zuflucht suchte. Sie gaben ein Paket für Assange auf, in dem ein Mobiltelefon mit GPS-Funktion verstaut war. Dieses sendete durch ein Loch in der Verpackung alle 15 Sekunden ein Foto auf die Webseite der Gruppe. Die ganze Nacht über verfolgten die Aktivisten und ihre Online-Fans, wie sich das Päckchen zunächst über verschiedene Verteilstationen aus London hinaus und dann am frühen Morgen wieder in die Innenstadt zurückbewegte. Am Spätnachmittag hielt es Assange tatsächlich in Händen und übte sich in "Postkartenkunst" vor der Kamera. (anw)