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Was war. Was wird.

In der norddeutschen Tiefebene verrecken wir nicht alle an der Schweinepest, wie umtriebige Experten dem nicht so recht erschreckten Hal Faber weismachen wollen. Stattdessen agieren hier jüdische und palästinensische Gemeinden gemeinsam gegen Neonazis.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ja, war da eigentlich was? Ich reibe mir die Augen, zwicke mich am Ohrläppchen, vielleicht muss ich gar in den Spiegel gucken, ob ich existiere, wie andere, die am 1. Mai unterwegs waren. Maikrawalle überall, entsprechend martialische Berichte von den "Straßenschlachten", aber nichts aus der norddeutschen Tiefebene und dem freundlichen Hannover. Dort gab es die erste gemeinsame Demonstration von palästinensischen und jüdischen Gemeinden und Gruppierungen gegen die Nazis – die friedlich verlief. Ja, so friedlich war meine Tiefebene, ein Gebiet, das es in dieser friedlichen Form bald nicht mehr geben wird. Mit Schrecken wurde in dieser Woche bei Hart aber Fair eine Landkarte Deutschlands präsentiert, die zeigt, wie in Deutschland die "Todesgrippe" wüten kann. Rot eingefärbt die besonders gefährdeten Regionen Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und MeckPomm, kurzum die ganze norddeutsche Tiefebene ist dran, wenn Menschen und Schweine verrecken. Die Bundesländer, die nur 11 Prozent Medikamente horten, sind nach den aufgeregten Worten des einen Talkbergs dran, wenn es ernst wird mit dieser Gefahr, über die Journalisten aufgeregt quieken.

*** Also, da war nichts. Auch die Revolution ist zum 1.Mai nicht in der Norddeutschen Tiefebene ausgebrochen, das passierte nur in Karlsruhe, wo der User, zum You Ser 2.0 geadelt, aufgerufen ist, die unmündige Gesellschaft von ihre Ketten zu befreien. Ein "Kind der Massen" wird die Choose deichseln und als Ksument das revolutionäre Subjekt der Geschichte werden: "Heute kann nämlich ein Kind der Massen über die Technologie und deren Wirkungen auf die Musik, den Sport, die Unterhaltung in viel mehr Disziplinen einen sozialen Aufstieg machen als bisher. Es sind die Regenbogenfarben der Demokratie, die heute dem Kind der Massen für seine Karriere offen stehen." Das Kind der Massen, nennen wir es mit der Bild-Zeitung einmal Annemarie Eilfeld oder Dita von Teese, greift sich nicht Hammer und Sichel, sondern das iPhone und befreit sich dank Twitter von seiner Umwelt: "Nach den historischen Subjekten der Geschichte wie dem Sklaven oder dem Arbeiter gibt es heute ein neues Subjekt, das zum Agenten der Veränderung werden könnte: den Konsumenten. Mit Hilfe der Technologie, die einen personalisierten Zugang zur Umwelt erlaubt, erhält der Konsument die Option, sich zu emanzipieren, d.h. sich von seiner Umwelt zu befreien."

*** Sieht man einmal davon ab, dass Sklaven es nicht einmal beim gutmütigen Hegel zum Subjekt geschafft haben, kann uns das Delirieren der Karlsruher Medientechnologien nur warnen. Die Kunstausstellung als "Trainingsfeld der Emanzipation" ist offenbar Germanys Next Terrorcamp, aus dem sich das Neue 2.0 mit Gewalt seine Bahn bricht. Alles heiße Luft, gepupst aus alten Ärschen? Fand die Revolution doch nördlich der norddeutschen Tiefebene statt, etwa in Schweden, wo die Provider derzeit keine IP-Nummern mehr speichern und das regenbogenfarbene Kind der Massen fröhlich seinen schweinischen Interessen nachgehen kann? Aber nicht doch, Schweden hat bekanntlich mit der Verurteilung von Pirate Pay den Heidelberger Jodler nach Schutz vor kinderpornografischen Urheberrechtsverzerrungen dem unlektorierten Mitteilungsbedürfnis der Nutzermassen ein Tritt in die Mentalitäts-Gemächte verpasst. Die abstruse Logik, die die "Zeit" ausdünstet wie schlecht gekochte Kichererbsen findet erstaunlicherweise einen Gegenpol in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung über die "undifferenzierte Angst vor dem Internet". Natürlich steht dieser Artikel nicht online, Graffseibeuns.

*** Mit viel heißer Luft hat man bei der Deutschen Telekom offenbar in der Überwachungsoperation Rheingold hantiert. In dieser Woche sind Details über das monströse Überwachungssystem in Magenta bekannt geworden, die darauf hindeuten, dass viele Dinge nur erfunden wurden, damit viel Knete zu herbeiphantasierten "Innenquellen" und "Maulwurf-Frauen" überwiesen werden kann, a conto eingestrichen vom technischen Administrator der gesamten Operation. "Nachvollziehbare Spuren, zum Beispiel durch das Nachvollziehen von Zahlungsströmen, sind zu legendieren." Wenn die Erfindung einer Legende auf die Schnelle eine gängige Praxis von Unternehmen in diesem unseren Land wird, braucht sich niemand mehr Gedanken um den Datenschutz zu machen und mal murmeln, dass die Bürger gefälligst besser auf ihre Daten aufpassen sollen. Im Zweifelsfall sind die anderen im Erfinden von Daten immer besser.

*** Ich arbeite als Journalist im Internet. Wenn man so will und schwer aktuell und virentechnisch kommentierend guckt, ist diese Arbeit ein eitriger Ausfluss von Artikel 5 des Grundgesetzes, das im ersten Absatz die unzensierte Arbeit von Presse, Rundfunk und Film erwähnt. Fernsehen und Internet kommen nicht vor, weil sie vor 60 Jahren halt keine Rolle spielten, als am 23. Mai die BRD entstand. Zwei Absätze weiter im nämlichen Artikel geht es aber rund: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." Nun hat unser aller Kanzlerin Frau Dr. Angela Merkel (hier gezeichnet vom Otto-Künstler Alfons Kiefer) in dieser Woche eine Kunstaustellung namens "60 Jahre – 60 Werke" eröffnet, die exklusiv von der Bild-Zeitung erklärbärt wird. Daher auch hier keine Links. Die Ausstellung ist "exklusiv auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes beschränkt", denn nur freie Künstler schaffen große Kunst. In der DDR war Kunst immer Staatspropaganda, schon Käthe Kollwitz starb bekanntlich, bevor die DDR gegründet werden konnte. Und Georg Baselitz, Markus Lüpertz und Sigmar Polke konnten bekanntlich drüben keine einzige Farbtube ohne staatliche Genehmigung öffnen, weshalb sie rübermachten. Das wirklich Schöne an der Ausstellung ist Nummer 61, der BRDeutsche Plakatkünstler Klaus Staeck, der mittlerweile E-Cards vertreibt. Er wird offiziell nicht mitgezählt, damit die Sponsor-Zeitung nicht erklären muss, was ihr geschworener Feind alles gemacht hat. Das ist Deutschland mit seinem Grundgesetz Artikel 5.3 im Jahr 2009.

*** Was aber sind schon 60 Jahre BRD gegen 90 Jahre Pete Seeger? Der Sänger, der mit seiner Band The Weavers auf die schwarze Liste des Kommunistenjägers Joe McCarthy gesetzt wurde, hat heute Geburtstag. Zur Feier des Tages gibt es hier keinen Link auf die Amtseinführung von Präsident Obama, wo Seeger den Protestsong von Woody Guthrie sang, der eigentlich "God blessed America" heißen sollte. Wir feiern im Gedenken an diesen 1. Mai 2009 natürlich mit Tzena, Tzena Tzena von Issachar Miron. Es war ein großer Erfolg für Pete Seeger, dem er später ein Update verfasste, mit versöhnenden Versen, die er auf Arabisch sang. Youtube als Vergissnichtmaschine hält ferner eine Szene parat, aus Seegers Fernsehsendung Rainbow Quest, mit der Indianerin Buffy Sainte-Marie. Danach wurde die Sendung abgesetzt. Die Regenbogenfarben der Demokratie waren nicht sonderlich gefragt. Wie heißt es doch so schön? Die Freiheit ist immer der Ausknopf oder das Stoppschild des Andersdenkenden. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn in einem Terroristen-Prozess die klugen Köpfe sich hinter einer Zeitschrift verstecken, die gerade ihr 20tes Jubiläum feiert? Zugegeben: So eine iX ist schicker und kleidsamer als eine Burka.

Was wird.

Das Ganze bringt mich flott in die nahe Zukunft. In Berlin treffen sich die so genannten Top-Experten zum 10. Datenschutzkongress. Datenschutz ist das, was unsere Agrarministerin Aigner anführt, wenn sie gegen die EU-Vorgaben ist, die Empfängernamen der EU-Agrarsuventionen im Internet zu veröffentlichen. Sinnigerweise sind es von Bauern getragene Initiativen, die gegen die Agrarministerin opponieren. Ich habe darüber schon einmal geschrieben und kann mich eigentlich nur wiederholen: Wie ulkig ist es doch, wenn gleich nach den von Westphalen die erlauchte Familie von der Leyen als Nummer 2 die größten Subventionsbrocken der EU einstreichen kann. Immerhin: Dieses Mal widersprechen die tapferen Datenschützer, denn angeblich ist datenschutzrechtlich alles geklärt. Wer also sperrt sich noch gegen die Veröffentlichung der Liste der Subventionsempfänger, als sei sie eine chinesische Sperrliste? (Hal Faber) / (jk)