Telefonieren nach dem Legoprinzip

Google setzt auf Open Innovation: Im Projekt Ara entwickelt der Datenkonzern ein modulares Smartphone, um das herum sich ein offenes Hardware-Ökosystem bilden soll.

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Von
  • David Talbot

Google setzt auf Open Innovation: Im Projekt Ara entwickelt der Datenkonzern ein modulares Smartphone, um das herum sich ein offenes Hardware-Ökosystem bilden soll.

Man kann das zweigeschossige Gebäude in einem Gewerbegebiet in Cambridge, Massachusetts, leicht übersehen, wenn man mit dem Auto daran vorbeifährt. Eine unspektakuläre Backsteinfassade, keine Schilder, die neugierig machen. Doch was Ara Knaian und seine Firma NK Labs im Inneren austüfteln, hat das Zeug dazu, die Smartphone-Branche umzukrempeln. Für niemand Geringeres als Google entwickeln sie ein vollständig modulares Mobiltelefon.

Speichereinheiten, Akku- und Prozessormodule, eine Infrarotkamera und ein Sensor für den Sauerstoffgehalt im Blut liegen da auf den Werkbänken. Sie alle sind so konstruiert, dass sie sich in ein „Endoskelett“ aus Aluminium stecken lassen, wie es Knaian ausdrückt.

NK Labs ist einer der Hauptpartner von Google im „Projekt Ara“. Mehr als ein Dutzend Firmen – mit insgesamt über 100 klugen Köpfen – sind daran beteiligt. Geleitet wird das Projekt von der Motorola-Gruppe Advanced Technology and Projects, die Google nach dem Verkauf des ehemaligen Handyherstellers an Lenovo behalten hat.

Der Gedanke, Smartphones modular zu bauen, ist an sich nicht neu. Doch die bisherigen Ergebnisse nahmen sich im Vergleich zu All-in-one-Geräten wie dem iPhone klobig aus. Das israelische Start-up Modu hatte sich bereits 2007 daran versucht. Doch das wenig ansprechende Design und eine zu geringe Auswahl an Modulen führten dazu, dass Modu sein Geschäft bald wieder einstellen musste. Einige Patente aus dem Nachlass sicherte sich später aber Google.

Dass der Datenkonzern nun einen neuen Anlauf wagt, liegt auch daran, dass die Kernelemente der Smartphone-Elektronik inzwischen viel kleiner und günstiger geworden sind. Zugleich hat das Innovationstempo in der mobilen Hardware nachgelassen. Ein Open-Innovation-Prozess könnte Google und seinen Diensten aber Zugang zu neuen Märkten verschaffen.

Googles Projekt Ara (8 Bilder)

Aluminium-Skelett

Das "Endoskelett" aus Aluminium ist das Gerüst des modularen Smartphones. In die acht Einschübe können verschiedene Module eingefügt werden.

„Ein Hardware-Ökosystem für Smartphones könnte sehr ähnlich wie das Ökosystem aus Android-Apps sein: niedrige Zugangsschwellen, Unmengen Entwickler und eine viel schnellere und reichhaltigere Innovation“, glaubt Paul Eremenko, der das Projekt Ara leitet.

Das Hardware-Ökosystem, das Eremenko vorschwebt, soll komplett offen sein. Google würde nur das Endoskelett liefern, das auf der Rückseite acht Einschübe für Module und auf der Frontseite zwei Einschübe für Bildschirm und Bedienknöpfe hat. Dazu kämen noch die Einheit für die Datenübertragung und für die Stromversorgung. Der Vorteil: Geht ein Teil des Geräts kaputt, kann man es einzeln austauschen und muss nicht das gesamte Smartphone wegwerfen.

Das Endgerät könnte eine Vielzahl von Formen annehmen, je nach Bedarf des Nutzers: vom Profifotografen bis zum Mediziner könnten sich alle ihr eigenes Smartphone zusammenstellen. Voraussetzung ist, dass auch entsprechende Module entwickelt werden. Und Google müsste Kunden und Hardware-Hersteller davon überzeugen, sich auf das Konzept einzulassen.

In dem Backsteingebäude in Cambridge ist derzweil der erste Prototyp so gut wie fertig. Die Module werden über einen Permanent-Elektromagneten im Skelett gehalten, ganz ohne das übliche Einrasten, wie man es etwa von Akku-Abdeckungen kennt. Die einfache Drahtlos-Schnittstelle helfe, Module mit möglichst wenig Komplexität, Kosten und Gewicht zu bauen, sagt Ara Knaian.

Tatsächlich liegt das modulare Gerät hinsichtlich Größe, Stromverbrauch und Gewicht nur noch um 25 Prozent über einem durchschnittlichen All-in-one-Gerät. Dieser Nachteil sei angesichts der Flexibilität aber zu verschmerzen, argumentiert Eremenko. „Modulare Dinge sind immer ein wenig Backstein-artig. Wir glauben aber, dass wir einen Punkt erreicht haben, wo die Nachteile nicht mehr ins Gewicht fallen.“

Unterstützung bekommt Google auch von einer enthusiastischen Design-Community aus den Niederlanden, die seit längerem an modularen Smartphone-Entwürfen arbeitet. „Mein Ziel ist ein modulares Telefon – und mir ist es egal, wer es herstellt“, sagt der Industriedesigner David Hakkens, der gemeinsam mit anderen das Phonebloks-Konzept entwickelt hat, das zuletzt Aufsehen erregte. Hakkens und seine Mitstreiter unterstützen das Projekt Ara ausdrücklich.

Neben Google arbeitet noch ein weiterer Hersteller an einem modularen Gerät. Das chinesische Unternehmen ZTE, eines der großen der Branche, stellte im Januar ein Konzept namens Eco-Mobius vor. Es erreicht allerdings nicht die Flexibiltät des Google-Konzepts. Nutzer können nur vier Bauteile separat bestücken: Bildschirm, Akku, Kamera und eine Prozessor-Speicher-Einheit. Weitere Module lassen sich nicht einbauen.

Google könnte vor allem bei den Nutzern punkten, die noch nicht ihr Smartphone-Modell in regelmäßigen Abständen wechseln. Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo die große Smartphone-Welle erst noch anläuft, könnte das Konzept aufgehen. Im nächsten Jahr will Google den ersten Prototyp mit Wi-Fi-Modul, Prozessor, Akku und Bildschirm in einigen lateinamerikanischen Ländern testen. Der Preis dürfte bei rund 50 Dollar liegen.

Wieviele Firmen darauf einsteigen, Module für das Projekt Ara zu entwickeln, ist noch nicht absehbar. Allerdings hat sich die Sache schon herumgesprochen: Bei der ersten Ara Developers Conference im April hatten sich 3328 Firmen angemeldet.

„Man muss dafür sorgen, dass Dritte genug daran verdienen können“, sagt Peter Semmelhack, CEO von Bug Labs, einem Entwickler von Software-Plattformen für vernetzte Geräte. „Ohne eine solche Aussicht werden sie nicht investieren. Aber Google, eben weil es Google ist, könnte dieses Hindernis aufgrund seiner Größe aus dem Weg räumen.“

(nbo)