Verfassungsschutz stellt Überwachung von Bürgerrechtler ein

Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Mitherausgeber des Grundrechte-Reports, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Jury-Mitglied bei den Big Brother Awards, konnte nach 38-jähriger Dauerüberwachung kein Fehlverhalten nachgewiesen werden.

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Von
  • Peter Mühlbauer

Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Mitherausgeber des mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichneten Grundrechte-Reports, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Jury-Mitglied bei den Big Brother Awards. 2006 verlangte er über eine Klage gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Feststellung der Rechtswidrigkeit der Dauerüberwachung seiner Person. Zudem sollte der Inlandsgeheimdienst mit der Klage verpflichtet werden, alle über ihn gesammelten Daten zu sperren und nach einer Einsichtnahme zu löschen.

Kurz vor der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Köln am Donnerstag dieser Woche teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz nun überraschend mit, dass die Beobachtung "nach aktuell erfolgter Prüfung" eingestellt worden sei. Laut Gössners Anwalt Udo Kauß konnte das Bundesamt für Verfassungsschutz bisher nicht plausibel darlegen "weshalb die geheimdienstliche Beobachtung [...] über einen Zeitraum von 38 Jahren zum Schutz der Verfassung notwendig gewesen sein soll". Damit hat Gössner sein erstes Ziel erreicht, will aber weiterhin gerichtlich auf Einblick in die bisher geschwärzten oder geheim gehaltenen Teile seiner Akten drängen. Auch die Rechtswidrigkeit der Langzeitbeobachtung will er noch von Gericht bestätigt wissen.

Bisher liegt dem Überwachten lediglich ein Teil seiner Akte vor, der etwa ein Viertel des Gesamtbestandes umfasst und den Zeitraum ab dem Jahr 2000 betrifft. Obwohl das Verwaltungsgericht Köln bereits urteilte, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz für den gesamten Bespitzelungszeitraum Einblick gewähren muss, ließen die Teile von 1970 bis 1999 bisher auf sich warten.

Allerdings ist auch im Gössner einsehbaren Teil der Akten ein beträchtlicher Teil herausgenommen oder geschwärzt. Diese Maßnahmen gehen auf das Bundesinnenministerium zurück, der obersten Aufsichtsbehörde des Inlandsgeheimdienstes. Es begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass ein Bekanntwerden der Inhalte dem "Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten" würde. Der weiterhin angeführte Verweis auf den "Quellenschutz" legt nahe, dass nicht nur veröffentlichtes Material über Gössner gesammelt wurde, sondern dass es auch eine verdeckte Überwachung gegeben haben muss. Bei weiteren geschwärzten Stellen scheint es sich dagegen um vom Verfassungsschutz vorgenommene Kommentierungen von Gössners Schriften zu handeln, welche die Behörde Gössner ebenfalls vorenthalten will.

Gössner klagte dagegen beim Bundesverwaltungsgericht, das den Verfassungsschutz am 30. Oktober dazu verpflichtete, dem Gericht die umstrittenen Aktenteile im Rahmen eines In-Camera-Geheimverfahrens zur Prüfung vorzulegen. Darauf, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet werden könnte, stieß der Rechtsanwalt und Publizist 1996, nachdem die Zeitschrift "Geheim", für die er geschrieben hatte, als "linksextremistisch" eingestuft wurde. Ein Auskunftsersuchen brachte ans Licht, dass bereits seit dem Jahr 1970 Daten über den damaligen Jurastudenten gesammelt wurden.

Der Gössner bisher zugänglich gemachte Teil der Sammlung enthält nach seinen Angaben vorwiegend Vorträge, Interviews und Artikel, in denen sich zwar kritische Würdigungen der Praktiken von Sicherheitsorganen und besonders von Geheimdiensten finden, aber keinerlei verfassungsfeindliche Inhalte. Betroffen sind unter anderem Artikel in der Frankfurter Rundschau, im Freitag und im Weser-Kurier.

Laut Gössner, der nie Mitglied einer Partei war, wurde ihm vom Verfassungsschutz eine "Kontaktschuld" zu als extremistisch eingestuften Gruppen und Medien wie der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) und dem Rechtsberatungsverein "Rote Hilfe" vorgeworfen – eine "Zusammenarbeit mit linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Personenzusammenschlüssen". Allerdings sprach der Menschenrechtler, der sich selbst als Befürworter eines "offenen, kritischen Dialoges" sieht, auch schon bei Veranstaltungen des Hessischen Verfassungsschutzes, des Bundesgrenzschutzes und der schleswig-holsteinischen Polizei, ohne dass in diesem Zusammenhang in den ihm nun zugänglich gemachten Teilen der Akte über eine "Zusammenarbeit" spekuliert worden wäre. Es gibt einige Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass es auch persönlich-institutionelle Motive gewesen sein könnten, die den Apparat zu einer so dauerhaften Bespitzelung motivierten: Viele seiner Schriften machten Fehlverhalten von Sicherheitsbehörden öffentlich; und als wissenschaftlicher Berater der niedersächsischen Grünen half er mit, den dortigen Landesverfassungsschutz zu stutzen.

Nach der Auffassung der Internationalen Liga für Menschenrechte hat der Fall ihres Vizepräsidenten "grundsätzliche Bedeutung", weil die Vorgänge zeigen, dass eine unbekannte Dunkelziffer von Publizisten, Rechtsanwälten und Menschenrechtlern ebenfalls von unverhältnismäßigen Bespitzelungsmaßnahmen betroffen sein könnte. Eine nicht entsprechend begründete Beobachtung über einen so langen Zeitraum wie bei Gössner ist der Liga zufolge eine "schwere Verletzung von Grundrechten und des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit, für die das Bundesamt und die politisch Verantwortlichen im Bundesinnenministerium endlich zur Rechenschaft gezogen werden müssen".

Aufgrund der beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten Gössners wurde durch die Langzeitausforschung möglicherweise nicht nur sein Persönlichkeitsrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, sondern (über die Verletzungen von Mandatsgeheimnis und Informantenschutz) auch die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit sowie zahlreiche Rechte Dritter. Selbst als Gössner Deputierter in der Bremer Bürgerschaft und stellvertretender Richter am Bremischen Staatsgerichtshof wurde, ließ der Verfassungsschutz nicht von der Ausforschung ab und erklärte dem Kölner Verwaltungsgericht stattdessen, warum seiner Ansicht nach eine Beobachtung von Richtern nicht gegen ihre vom Grundgesetz garantierte Unabhängigkeit verstoße. (pem)