BKA-Gesetz: Schäuble relativiert die Terrorgefahr

Den Bundesinnenminister treiben unkontrollierte Banken derzeit stärker um als die Gefahr von Terroranschlägen. Sein bayerischer Kollege Herrmann warnt dagegen vor einer "Katastrophe", falls das BKA-Gesetz scheitern würde.

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®ionBundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat angesichts der Finanzkrise eine neue Gewichtung der Gefahren für die Stabilität des Landes vorgenommen. Auf die Frage des Magazins Stern, ob die Banker die Gesellschaft stärker bedrohen als Terroristen, antwortete der CDU-Politiker: "Mal abgesehen von Ihrer journalistischen Zuspitzung machen uns gegenwärtig in der Tat die Banken mehr Sorgen." Im vergangenen Jahr hatte der Minister noch mit Mutmaßungen über Anschläge mit nuklearem Material für Schlagzeilen gesorgt. Trotzdem besteht Schäuble auch weiterhin auf einem raschen Inkrafttreten der umkämpften Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA). Er appellierte an die Bundesländer, das Vorhaben zur Schaffung umfangreicher präventiver Befugnisse der Wiesbadener Polizeibehörde nicht zu blockieren.

Verhandlungsspielraum für Änderungen an dem vom Bundestag vor einer Woche beschlossenen Gesetz sieht Schäuble kaum mehr. Er verteidigte vor allem die Eilfallregelung bei heimlichen Online-Durchsuchungen. Der Verzicht auf das Einholen einer richterlichen Genehmigung bei Gefahr im Verzug sei Standard strafrechtlicher Regelungen. Genervt reagierte der Minister gegenüber dem Tagesspiegel auf den Widerstand der SPD auf Länderebene: "Es ist einfach nur etwas mühsam: Man vereinbart mit der SPD ein Gesetz und jetzt fängt wieder diese Diffamierungstour an." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnte derweil vor einer "Katastrophe für die innere Sicherheit", falls das Projekt scheitern würde. Alle, die das Gesetz blockieren, "müssen sich bewusst sein, dass sie im Fall eines Terroranschlages möglicherweise ein Stück Mitschuld auf sich laden".

Holger Hövelmann, SPD-Landeschef in Sachsen-Anhalt, kann die Drohungen aus der Union nicht mehr hören. "Wir können ja das Grundgesetz gleich über Bord werfen und uns ein Schild um den Hals hängen: 'Wir haben dafür die Freiheit geopfert'", konterte er die Vorwürfe in der Thüringer Allgemeinen. Dieses Spannungsfeld müsse die SPD genauso aushalten wie manche Beschimpfung. Hauptsache sei, dass ein besseres Gesetz dabei herauskomme. Hövelmann besteht unter anderem auf ein volles Zeugnisverweigerungsrecht, das derzeit für Berufsgruppen wie Ärzte und Journalisten nicht gewährleistet werde.

Die Bedenken gegen das BKA-Gesetz sind bei der SPD auf Länderebene zugleich weiter gewachsen. Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, in dessen Zeit als SPD-Chef das umstrittene Vorhaben bereits lang und breit debattiert wurde, will im Bundesrat nicht zustimmen. Als Gründe nannte er den unzureichenden Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei Online-Razzien. Zudem seien die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern nicht klar abgegrenzt. Mit der fehlenden Ja-Stimme aus Rheinland-Pfalz besteht kaum noch eine Chance, dass das Gesetz nicht zumindest im Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag landet.

In den Zwist um die Kompetenzen des BKA hat sich auch die SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, eingeschaltet. Sie findet den damit einhergehenden "Rückbau des Rechtsstaates" problematisch. "Das BKA-Gesetz entmachtet aus meiner Sicht die Bundesanwaltschaft", sagte sie dem WAZ-Portal Der Westen. So werde der Grundsatz umgedreht, dass Ermittlungen nicht von der Polizei, sondern von der Staatsanwaltschaft ausgehen müssten. Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, sprach dagegen von einem guten Gesetz. Es trage "sozialdemokratische Handschrift", stützte er sich auf eine Argumentationshilfe (PDF-Datei) der Genossen, die ihren Weg ins Internet auf den Datenschutz-Blog gefunden hat. Darin bekundet die Fraktion auch, dass ihr das Auslaufen der Lizenz zum Einsatz des Bundestrojaners nach acht Jahren angemessener erschienen wäre. Eine Befristung von zwölf Jahren sei aber "besser als keine".

Die frühere Bundesjustizministerin und bayerische FDP-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kündigte an, dass sich die Liberalen mit "kleinen Änderungen" am BKA-Gesetz im Vermittlungsverfahren "auf keinen Fall einverstanden erklären" würden. Der FDP gehe es um die "gesamte Konzeption" des Entwurfs, versicherte sie Spiegel Online. Die Vizechefin der Bundestagsfraktion hatte zuvor gewarnt, das BKA werde mit dem Vorstoß zu einem deutschen FBI. Ein stärkeres Gewicht ihrer Einwände kann sie sich erhoffen, falls es nach den anstehenden Neuwahlen in Hessen zu einer schwarz-gelben Koalition in Wiesbaden kommt.

Die Bestimmungen zur Durchführung verdeckter Online-Durchsuchungen im Gesetzestext sorgen bei Experten unterdessen weiter für Stirnrunzeln. So weist der Datenschützer Markus Hansen darauf hin, dass gemäß den Änderungen (PDF-Datei) des Innenausschusses das eingesetzte Spionagewerkzeug und die abgezogenen Daten nur noch "nach dem Stand der Technik" gegen unbefugten Zugriff zu schützen sind. Der vorherige Entwurf habe zumindest noch auf den Stand der Wissenschaft mit abgestellt. Mit der jetzigen Formulierung werde die Unsicherheit gegenwärtiger Rechnerarchitekturen mit einkalkuliert und die Schutzverpflichtung sehr weit unten angesiedelt.

Zu den technischen und rechtlichen Details der heimlichen Online-Durchsuchung und des Bundestrojaners bringt c't in der kommenden Ausgabe 25/08 (ab Montag, den 24. 11., im Handel) einen Hintergrundartikel:

  • Windei Bundestrojaner, Online-Durchsuchung vs. Gewährleistung von Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, c't 25/08, S. 86

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)