Zwei-Klassen-Netz: US-Regulierer will Open Internet ohne Netzneutralität neu auflegen

Provider sollen nach den neuen Plänen Webdienste benachteiligen dürfen, solange sich Alle den Vorrang erkaufen dürfen. Die Regulierungsbehörde FCC dementiert nicht wirklich.

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Die US-Regulierungsbehörde FCC plant eine Art vegetarische Netzneutralität. Die neue Version der Open-Internet-Regeln soll es Anbieter ortsfester Internetzugänge ausdrücklich gestatten, einzelne Webdienste anderen gegenüber zu bevorzugen. Dies berichtet das Wall Street Journal. Solche Bevorrangung müsse dann allen Interessenten zu angemessenen Bedingungen ("commercially reasonable") angeboten werden, und die komplette Zensur einzelner Webseiten soll unzulässig sein.

Netzneutralität

Netzneutralität bedeutet, dass Inhalte im Internet gleichberechtigt ihren Weg finden. Vor allem Provider und Carrier wollen aber beispielsweise für Videos extra zu bezahlende Überholspuren einbauen. Für User entstünde ohne Netzneutralität ein Zweiklassen-Internet.

Schon die alten Open-Internet-Regeln, die Anfang des Jahres von einem Gericht großteils aufgehoben wurden, sahen keine Netzneutralität vor. Sie untersagten lediglich komplette Zensur und "unangemessene Diskriminierung". Die außerdem verlangte Transparenz über Networkmanagement gilt nach wie vor.

Bürgerrechtsorganisationen und Netzaktivisten haben entsprechend empört auf die ersten Berichte des Wall Street Journal und der New York Times reagiert. Die Initiative erlaube es Providern, einen "neuen Preis für Innovationen im Netz zu verlangen", monierte etwa Michael Weinberg von Public Knowledge. Diese könnten künftig über Gewinner und Verlierer im Datenraum entscheiden. Es werde eine Diskriminierung zwischen einzelnen Anbietern zugelassen, was unvereinbar mit der Netzneutralität sei.

Die Medienvereinigung Free Press warnt vor einem "Desaster für Startups, gemeinnützige Einrichtungen und die alltäglichen Internetnutzer, die die unnötigen Gebühren nicht bezahlen können". Die FCC unterstütze die größten Zugangsanbieter in ihren Bemühungen, das offene Internet zu zerstören. Es sei vorhersehbar, dass Gerichte solche Regeln wieder kippen würden.

Kommentare, die von einer Kehrtwende der FCC sprechen, bezeichnete der FCC-Vorsitzende Tom Wheeler in einer Stellungnahme als "einfach falsch". Er sagte aber nicht, dass er Bevorzugung gegen Entgelt unterbinden möchte.

FCC-Chef Tom Wheeler will offenbar keine echte Netzneutralität.

(Bild: FCC)

Wheeler geht sei Längerem davon aus, dass sich Preis- und Servicemodelle im Netz "ausdifferenzieren". Große Inhalte-Vertriebshäuser könnten nach Ansicht des früheren Lobbyisten der Telecom- und Kabel-Branche in diesem Umfeld selbst darauf kommen, einen Aufpreis an Provider zu zahlen, um ihren Kunden etwa einen Film mit höher Übertragungsqualität auszuliefern.

Am Donnerstag soll der Regulierungsentwurf den Mitgliedern der Federal Communications Commission übergeben werden. Am 15. Mai sollen sie entscheiden, ob beziehungsweise in welcher Version der Entwurf veröffentlicht wird. Daran würde gegebenenfalls eine öffentliche Konsultation anschließen. Dabei dürfte dann beispielsweise erörtert werden, was unter "angemessen" zu verstehen ist und wie die Regeln durchgesetzt werden können.

Verabschiedet werden könnten die neuen Bestimmungen voraussichtlich Ende des Jahres, sofern Wheeler eine Mehrheit in der Commission findet. Im Februar haben sich zwei seiner vier Kollegen dagegen ausgesprochen, überhaupt eine neue Version der Open-Internet-Regeln zu erarbeiten. Das EU-Parlament hat derweil ein Gesetzespaket verabschiedet, in dem es die Netzneutralität stärkt und für "Spezialdienste" strikte Auflagen vorsieht. (ds)