Nokia: Abschied vom alten Gummistiefel

Mit vollzogener Übernahme des Handygeschäfts durch Microsoft endet ein Stück europäischer Industriegeschichte. Kaum ein Unternehmen hat die Mobilfunkbranche in ihren frühen Jahren so geprägt wie Nokia.

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Natürlich war mein erstes Handy ein Nokia: Das 5130 wog ungefähr eine Tonne, dafür hielt der Akku ein ganzes Leben und das Ding war unkaputtbar. Ich konnte damit telefonieren, SMS schicken und Snake spielen. Mehr brauchte kein Mensch. Es waren Klassiker wie das 5110/5130 und das 6210/6130, mit denen Nokia das erste Jahrzehnt des kommerziellen Mobilfunks nachhaltig prägte.

Das alte Motto bleibt: Nokia ist jetzt ein Netzausrüster.

(Bild: dpa, Sanjeev Gupta)

Nokia wurde 1865 als Papiermühle gegründet und gehörte zu einem Industriekonglomerat, das auch Gummi- und Kabelwerke umfasste. Bevor es Handys gab, wurden schon Reifen und die sprichwörtlichen Gummistiefel unter der Marke Nokia verkauft. Die Keimzelle des heutigen Hightech-Konzerns war die 1960 gegründete Elektroniksparte des Kabelgeschäfts, die seit den 1970ern verstärkt Produkte für den Telekommunikationssektor lieferte.

Die Finnen waren maßgeblich an der Entwicklung des GSM-Standards beteiligt und haben 1992 ihr erstes GSM-Handy auf den Markt gebracht: Das Nokia 1011. Mit dem fortschreitenden Ausbau der Mobilfunknetze in Europa wuchs Nokias Erfolg als der Handyhersteller der ersten Stunde: Das erste Handy einer ganzen Generation war im Zweifel ein Nokia. Hardwaretechnisch war Nokia der Konkurrenz meist voraus. GPRS, HSCSD, EDGE, Bluetooth – alles zuerst von Nokia zu haben. Nur bei UMTS mussten die Finnen Motorola den Vortritt lassen.

Über die Jahre haben die Finnen eine schier unüberschaubare Modellvielfalt geschaffen. Man kann dem Nokia der frühen Jahre nicht vorwerfen, zu wenig experimentiert zu haben. Sie haben alles ausprobiert: Verschiedene Bauformen, Tastaturlayouts, Softwareplattformen, Bedienkonzepte. Dabei sind viele legendäre Handys herausgekommen, aber auch Designkatastrophen und phänomenale Flops. Das 5510 mit seiner geteilten Tastatur, der "Lippenstift" 7280, das ausklappbare E70, das Ei-Phone 7600, das Kamerahandy N93 mit optischem Zoom... und kann sich noch jemand an N-Gage erinnern?

Legende Nokia (18 Bilder)

Das erste Nokia

Das Nokia 1011 ist das erste GSM-Handy der Finnen, es kam 1992 auf den Markt.
(Bild: Nokia)

Nokias Geschichte ist reich an Klassikern wir dem 7110 (WAP!) oder dem 8110, das mit seiner Schiebemechanik in dem Science-Fiction-Blockbuster The Matrix zu höheren Weihen kam. 1996 kam das aufklappbare Nokia 9000 auf den Markt, der "Communicator" gilt als erstes Smartphone der Neuzeit. Auch mit einem Touchscreen hatten die Finnen vergleichsweise früh experimentiert, das Nokia 7710 war aber – wie nicht selten bei Nokia – gewöhnungsbedürftig. Auch mit ihrem "Nokia Internet Tablet 770" waren sie früh dran.

2002 brachte Nokia mit dem 7650 das erste Symbian-Handy auf den Markt. Ein paar Jahre konnten die Finnen mit Symbian-Handys und -Smartphones große Erfolge feiern. Die Geräte der C-, E- und N-Serien behaupteten sich auch im Wettbewerb mit Business-Anbietern wie Blackberry. Doch Nokia hatte sich längst zu sehr verzettelt, um zu sehen, was für Perlen in den eigenen Entwicklungsabteilungen schlummerten. Die Struktur des Riesenkonzerns war unproduktiv geworden, es herrschte Micromanagement und Missgunst zwischen den Provinzfürsten. Keine guten Voraussetzungen für den Wettbewerb mit Google und Apple, deren Smartphone-Ökosysteme Nokias Marktanteile geradezu verschlangen.

Ironie des Schicksals, dass die Pioniere gerade in dem von ihnen bereiteten Marktsegment in größte Schwierigkeiten geraten sollten. Es war Hybris: Die Finnen haben den Schuss nicht gehört, als Apple Anfang 2007 das iPhone vorgestellt hat: Nokia hatte Apples Plattform-Strategie nicht begriffen. Der damalige CEO Olli-Pekka Kallasvuo, weich auf dicke Marktanteile gebettet, tat das iPhone noch ein Jahr später als "Nischenprodukt" ab. Der Nokia-Chef war mit dieser kolossalen Fehleinschätzung übrigens nicht alleine, nachzuschlagen unter "Palm" und "Ballmer". Nur Google hat genau hingesehen und mit Android das inzwischen marktbeherrschende Ökoystem etabliert.

Letzte Versuche mit Meego (wer das N9 mal in der Hand gehabt hat, gibt es nicht wieder her) waren zwar aller Ehren wert, aber zwecklos. Auftritt Stephen Elop, in dem die Fans von Anfang an ein trojanisches Pferd sahen – nicht ganz zu Unrecht, wie man im Nachhinein feststellen muss. Elop hält seine berühmte Rede von der brennenden Bohrinsel. Es kommt Windows Phone.

Der Rest ist Geschichte.

(vbr)