Forscher fordern maßvolleres, objektiveres und liberaleres Urheberrecht

Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler haben sich nachdrücklich für eine Verkürzung von Schutzfristen beim Copyright und den Ausbau von Nutzungsrechten der Allgemeinheit ausgesprochen.

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Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler haben sich auf der Konferenz des Bundesjustizministeriums zur Zukunft des Urheberrechts nachdrücklich für eine Verkürzung von Schutzfristen beim Copyright und den Ausbau der Nutzungsrechte der Allgemeinheit ausgesprochen. "Das richtige Maß an Schutz zu finden, heißt auch, dass ein Zuviel zu vermeiden ist", betonte Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für geistiges Eigentum, am heutigen Donnerstag in Berlin. Bisher sei es international immer wieder zu einer Ausweitung von Schutzrechten gekommen. Wichtig sei es nun, wieder im Interesse des Gemeinwohls zu einer angemessen Dauer der staatlich gewährten Monopolrechte zu kommen und stärkere Einschränkungen der exklusiven Verwertungsansprüche vorzunehmen.

Der Jurist vermisst in der derzeitigen Debatte um das Copyright in der Informationsgesellschaft häufig die Ehrlichkeit der Befürwortung einer weiteren Ausweitung von Schutzrechten. Die "erbärmliche Situation mancher Kreative" dürfe nicht als Begründung für "Schutzexzesse" herangezogen werden. Dabei würden mit dem Urheberrecht kontinentaleuropäischer Prägung verknüpfte Persönlichkeitsrechte fälschlicherweise mit den Vermögensrechten von Verwertern gekoppelt. Denn der Kreative leide unter der illegalen Nutzung von Werken im Internet deutlich weniger als der Verwerter.

Aber auch die Vermögensrechte müssen laut Hilty stärker von sachlichen und wirtschaftlichen Dimensionen abhängig gemacht werden. Im Zweifel erziele ein "gesunder Wettbewerb" bessere Produkte als jede staatliche Intervention etwa durch den Urheberrechtsschutz. So reiche oft ein zeitlicher Vorsprung, mit einem Werk auf den Markt zu kommen, in der Regel als Investitionsanreiz aus. Aber selbst wenn man einen staatlichen Rechtsschutz für nötig erachte, müsse angesichts dessen enormer gesellschaftlicher Kosten der bei Werken der Musik- und Filmindustrie üblicherweise kurze Lebenszyklus beachtet werden.

Ferner bezeichnete der Experte die sogenannten Schrankenrechte zugunsten der Allgemeinheit wie die Erlaubnis für Privatkopien oder Vervielfältigungen im Schul- oder Bibliothekenbereich als "genauso wichtig wie den Urheberrechtsschutz selbst". Internationale Verpflichtungen wie der "Dreistufentest" aus der Berner Urheberrechtsübereinkunft stünden dem nicht entgegen. Die Nutzungsrechte für spezielle Kreise dürfen demnach nicht die Regel sein, der normalen Werkverwertung nicht im Weg stehen, und nicht übermäßig in die legitimen Interessen der Rechteinhaber eingreifen. Hilty richtete den Appell an die Politik, bei der Anwendung dieses Tests stärker die Erklärung (PDF-Datei) führender Wissenschaftler zu dieser Aufgabe heranzuziehen.

Nicht zuletzt empfahl der Schweizer, das Instrument der Zwangslizenz wiederzubeleben. Dieses habe den Vorteil, dass es dem Rechteinhaber sein Verbotsrecht lasse. Er werde unter bestimmten Voraussetzungen aber gezwungen, einzelnen Wettbewerbern die Nutzung des eigenen "Rohstoffes" zu erlauben. Es handle sich so um ein spezifisches und einfach zu handhabendes, da zivilrechtliches Mittel.

Hilty zog in Anspielung auf die Zielrichtung der Konferenz das Fazit: "Wären wir willens, wirklich die großen Fragen anzugehen, ließe sich ein Interessenausgleich herstellen." Dafür müssten alle Beteiligten aber maßvoller, objektiver und liberaler sein, also auch beim funktionierenden Marktwettbewerb auf die Vergabe von Rechten an immateriellen Gütern zu verzichten. In diesem Sinne kritisierte der Wissenschaftler die Entscheidung des EU-Parlaments scharf, die Schutzfristen für Musiker von 50 auf 70 Jahre verlängern zu wollen. "Blind vor Begeisterung" wuchere die Schutzfreudigkeit hier weiter vor sich hin, obwohl alle Studien unisono davor warnen würden. Im Tagesgeschäft der Politiker habe die Forschung offensichtlich wenig zu melden.

Auch für Dietmar Harhoff, Vorstand des Instituts für Innovationsforschung an der Ludwigs-Maximilians-Universität München, ist die Entscheidung der EU-Abgeordneten "nicht nachvollziehbar". Derartige Tendenzen zur Ausdehnung von Schutzfristen seien "nicht mit ökonomischer Logik vereinbar" und würden dem Konsumenten schaden. Bei der Berechnung einer für alle Seiten optimalen Schutzdauer käme man auf Werte zwischen fünf und 30 Jahren ab Erstellung eines Werks. Bei der Bestimmung von Schrankenrechten sollte zudem stärker ermittelt werden, was die Nutzer im Gegenzug für Freizügigkeiten konkret zu zahlen bereit wären. Einen "überbordenden Angriff auf geistiges Eigentum" kann der Leiter der Expertengruppe "Forschung und Innovation" der Bundesregierung in solchen Forderungen nicht erkennen. Es gehe um eine Rückbesinnung auf eine Abwägung, wenn der Staat Privilegien vergebe. Hilty bezeichnete den Begriff "geistiges Eigentum" generell als problematisch, da sein Gehalt nicht vergleichbar sei mit Sacheigentum. Er schäme sich daher dafür, dass sein Institut diesen Terminus im Namen führe. (Stefan Krempl) / (pmz)