Das Zwei-Klassen-Internet kommt

Die US-Behörde FCC macht mit ihren neuen Vorschlägen zur Durchleitung von Daten eine Kehrtwende im Streit um die Netzneutralität. Einige Provider greifen der FCC vor und erheben bereits Aufschläge für eine schnelle Datendurchleitung.

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Von
  • David Talbot

Die US-Behörde FCC macht mit ihren neuen Vorschlägen zur Durchleitung von Daten eine Kehrtwende im Streit um die Netzneutralität. Einige Provider greifen der FCC vor und erheben bereits Aufschläge für eine schnelle Datendurchleitung.

Die US-Telekommunikationsaufsicht FCC will am 15. Mai der Öffentlichkeit ein Konzept präsentieren, das auf die Schaffung eines „Zwei-Klassen-Internet“ hinausläuft. Die vom FCC-Vorstand Tom Wheeler formulierte Regulierung würde Netzbetreibern offiziell erlauben, von Online-Diensten mit großen Datenmengen – etwa der Videothek Netflix - höhere Durchleitungsgebühren zu verlangen, sollen die Daten so zügig wie bisher übertragen werden. Noch ist die Regulierung nicht amtlich – doch die Investorenszene reagiert bereits: Erste Wagniskapitalgeber meiden nach eigenem Bekunden Start-ups, deren Geschäftsmodelle schnelle und datenintensive Dienste vorsehen.

Einige Provider haben der FCC vorgegriffen und erheben schon jetzt Aufschläge. So akzeptierte Netflix kürzlich zusätzliche Durchleitungsgebühren etwa von Comcast, um die Qualität seines Videostreaming-Dienstes zu sichern. Netflix-CEO Reed Hastings wollte das allerdings nicht als generelle Zustimmung verstanden wissen: In einem Blog-Eintrag plädierte er dafür, die Netzneutralität in den USA zu sichern. Nutzer, die bereits für einen schnellen Internetzugang zahlten, sollten auch die Inhalte erhalten, die sie haben wollen.

Die Kabelnetzbetreiber halten dagegen, solche Gebühren seien sinnvoll, da einige große Inhalteanbieter einen erheblichen Teil des Datenverkehrs im Netz verursachen würden. Das sieht Brad Burnham von Union Square Ventures in New York anders. Wenn große Akteure mit prall gefüllten Kassen für eine schnellere Übertragung zahlen können, entstehe eine eklatante Benachteiligung für Start-ups. „Das beziehen wir auf jeden Fall in unsere Kalkulation ein“, so Burnham.

Union Square Ventures werde deshalb die Finger von Firmen lassen, die im Video- und Mediengeschäft mitmischen wollen. Auch wolle man erst einmal nicht mehr in Bezahlsysteme und Smartphone-Geldbörsen investieren, die ultraschnelle Daten-Transaktionen erfordern. „Innovationen in diesen Gebieten tut das nicht gut“, sagt Burnham zum FCC-Vorschlag.

Bei dem handelt es sich bereits um den dritten Vorstoß der Behörde, Durchleitungsdienste auf eine klare rechtliche Basis zu stellen. Die ersten beiden Versuche, die die Netzneutralität hatten festschreiben wollen, waren von US-Bundesgerichten gekippt worden. Branchenbeobachter sehen in dem neuen Vorschlag denn auch eine Kehrtwende, weil die FCC nun Extragebühren erlaubt.

FCC-Chef Wheeler fühlt sich allerdings missverstanden. „Es hat eine Menge Diskussion darüber gegeben, wie unser Vorschlag als Reaktion auf die Gerichtsentscheide eine ‚Überholspur’ im Internet schaffen und die Akteure in ‚Haves’ und ‚Have-nots’ spalten würde. Doch das geht an der Sache vorbei“, schrieb Wheeler kürzlich in einem Blogeintrag.

Die neuen Regeln sollten vielmehr „sicherstellen, dass jeder Zugang zu einem Internet hat, das ausreichend stabil ist, um Verbrauchern Zugang zu von ihnen gewünschten Inhalten, Diensten und Anwendungen zu verschaffen, sowie zu einem Internet, dass Innovatoren und hervorragenden Anbietern erlaubt, neue Produkte und Dienste anzubieten.“

Sollte die FCC Providern erlauben, zusätzliche Gebühren zu erheben, wird das neue Geschäftsmodelle und Technologien nach sich ziehen. Mobilnetzbetreiber wie Verizon arbeiten ebenso an der Implementierung einer „Daten-Überholspur“ wie der Weboptimierer Akamai. Und AT&T hat bereits das Konzept „gesponsorter Daten“ im Angebot. Streaming-Anbieter zahlen extra, so dass ihre Inhalte für die Nutzer kostenlos sind, während Streams ohne Sponsoring ganz normal mit der Datenmenge des Monatstarifs verrechnet werden.

Die Geschichte der Webdienste zeigt allerdings, dass neue Angebote sich dann umso eher durchsetzten, wenn der Zugang kostenlos war. Die Gründer von Foursquare konnten die ersten 100.000 Nutzer für ihr mobiles soziales Netzwerk mit einem Budget von nur 25.000 Dollar gewinnen, sagt Brad Burnham. „Das Bemerkenswerte am Internet war doch, dass ein kleines Start-up ein globales Publikum erreichen konnte.“ Erregte das Produkt Interesse, konnte die Firma anschließend mit potenziellen Investoren verhandeln.

Wagniskapitalgeber, die Breitband-Provider finanzieren, sehen die Sache anders als Burnham. Die Explosion der Videodienste habe zu einer Kostenerhöhung geführt, die die Zunahme der Nutzerzahl bei weitem übersteige. Gillis Cashman von MC Partners in Boston findet es sinnvoll, dass Anbieter mit datenintensiven Inhalten wie Netflix extra zahlen. In Spitzenzeiten verursacht allein Netflix mit seinem Videostreaming ein Drittel des gesamten Datenverkehrs im Internet. Videodaten würden die Netzwerke massiv verstopfen, betont Cashman, so dass die Netzbetreiber gezwungen seien, für viel Geld ihre Leitungen auszubauen. „Es gibt derzeit kein Modell, wie man das Geld für diese unerlässlichen Investitionen wieder hereinbekommt.“

Dieses Argument überzeugt jedoch längst nicht alle. Rob Faris vom Berkman Center for Internet & Society an der Harvard University weist auf die sehr hohen Margen hin, die die Breitband-Provider bislang machen konnten. Zudem hätten sie Verbrauchern je nach Geschwindigkeit des Zugangs gestaffelte Tarife berechnet. „Es ist unglaubwürdig zu argumentieren, die Verbraucher würden für ihre Zugänge nicht genug zahlen, um Dienste mit hoher Bandbreite aufrecht zu erhalten“, sagt Faris.

Auch würde nicht jede Netzausbau-Maßnahme hohe Kosten verursachen. Es sei zwar richtig, dass die Verlegung von Glasfaserkabeln teuer sei. Die Datenraten könnten jedoch mittels Software und Elektronikkomponenten gesteigert werden. „Dass nicht noch mehr in neue Glasfaser-Netze investiert wird, liegt auch daran, dass es für die Netzbetreiber profitabler ist, die Datenraten in den bestehenden Netzen mit anderen Mitteln zu erhöhen“, so Faris.

(nbo)