Open Data: "Frag den Staat“ gewinnt gegen Bundesinnenministerium

Mit einer Klage wollten die OpenData-Aktivisten die Bundesregierung zum Einlenken bewegen. Dabei hatten sie den Rechtsstreit eigentlich schon gewonnen – erfuhren aber nichts davon.

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Von
  • Torsten Kleinz

Überraschende Wende im Rechtsstreit über die Veröffentlichung eines Aktenvermerks des Bundesinnenministeriums: Wie das Ministerium auf Anfrage von heise online bekannt gab, hatte es bereits eine Einstweilige Verfügung gegen die Plattform "Frag den Staat" beantragt – und war damit in gleich zwei Instanzen gescheitert. Die Open Knowledge Foundation Deutschland, die die Plattform betreibt, hatte vor ihrer Gegenklage davon aber nichts erfahren, da es sich um ein Eilverfahren handelte.

Mit seiner Klage gegen Frag den Staat ist das Bundesinnenministerium gleich in zwei Instanzen gescheitert.

In dem Streit geht es um die Veröffentlichung eines Aktenvermerks aus dem Innenministerium, in dem die Gültigkeit von Sperrklauseln bei der Europawahl untersucht wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2011 die bis dahin geltende Fünf-Prozent-Hürde kassiert. Die Autoren gingen in dem Vermerk davon aus, dass auch eine geplante niedrigere Hürde nicht vom Bundesverfassungsgericht geduldet würde. Die Analyse erwies sich als korrekt – die trotzdem vom Bundestag neu aufgestellte Drei-Prozent-Hürde wurde vom Bundesverfassungsgericht im Februar diesen Jahres wieder aufgehoben.

Im Zuge der Diskussion des anstehenden Verfassungsgerichtsurteils hatte ein Bürger im November 2013 über Frag den Staat den Aktenvermerk angefordert und auch erhalten. Die Beamten machten aber eine ungewöhnliche Auflage: Zwar könne jeder Bürger den Aktenvermerk über das Informationsfreiheitsgesetz anfordern, er dürfe aber nicht veröffentlicht werden. Das Dokument sei kein amtliches Werk im Sinne des Urheberechtsgesetzes, da es nur zur internen Unterrichtung gedacht gewesen sei. Als die Aktivisten den Vermerk dennoch online stellten, erhielten sie im Januar eine Abmahnung und eine Anwaltsrechnung über 887 Euro.

Eine politisch unangenehme Veröffentlichung per Urheberrecht zu untersagen – diese Praxis war den OpenData-Aktivisten schon vorher ein Dorn im Auge, sie machten den Fall zu einem Vorzeigeprojekt gegen das "Zensurheberrecht". Sie wiesen die Abmahnung zurück und verlangten vom Bundesinnenministerium die
eigenen Anwaltskosten zurück. Als sie mehrere Monate nichts von dem Ministerium hörten, reichten sie in der vergangenen Woche schließlich negative Feststellungsklage ein. Ihrer Auffassung nach durften sie das Dokument veröffentlichen, da dem Urheberrecht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Grenzen gesetzt sei. Nun soll das Ministerium die Anwaltskosten zur Abwehr der Abmahnung zahlen.

Auf Anfrage von heise online hat das Bundesinnenministerium nun erklärt, dass die Behörde bereits im Februar ein Eilverfahren gegen die Open Knowledge Foundation begonnen hatte, um eine Einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung des Dokuments zu erwirken. Das Ministerium widersprach darin dem Argument der Open-Data-Aktivisten, dass eine unangenehme Veröffentlichung verhindert werden soll. Schließlich sei es gegen das Magazin Der Spiegel nicht vorgegangen, als es über das Dokument berichtet hatte und es den anfragenden Bürgern übermittelt.

Das Landgericht Berlin machte dem Ministerium einen Strich durch die Rechnung: Da bei juristischen Fachtexten eine höhere Schwelle für die Schöpfungshöhe gelte, sei der Aktenvermerk, der in weiten Teilen die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zitiert, nicht durch das Urheberrecht geschützt. Dieser Auffassung schloss sich das Kammergericht Berlin an, als das Ministerium Beschwerde gegen die Entscheidung der ersten Instanz einlegte.

Die Richter des Kammergerichts führen in ihrer Entscheidung aus, dass auch wissenschaftliche Vermerke geschützt sein können, aber eben in geringerem Maß: "Dies gilt bei Sprachwerken wissenschaftlichen und technischen Inhalts aber nur mit der Einschränkung, dass Gedanken und Lehren in ihrem Kern, ihrem gedanklichen Inhalt, in ihrer politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Aussage Gegenstand der freien geistigen Auseinandersetzung bleiben müssen und nicht auf dem Weg über das Urheberrecht monopolisiert werden können." Dem stehe schon der grundgesetzliche Schutz der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Wissenschaft der Lehre entgegen.

Stefan Wehrmeyer, Projektleiter für Frag den Staat, zeigt sich erfreut, aber abwartend. So sei die Hauptfrage der OpenData-Aktivisten nicht geklärt: "Wir glauben, dass der Bürger in einer Demokratie das Recht haben sollte, sich aus Volltext-Dokumenten zu informieren", erklärte er gegenüber heise online. Er will auch das Recht haben, Dokumente zu veröffentlichen, für die Gerichte Urheberrechtsschutz bestätigen. Falls dies im aktuellen Fall nicht geklärt werde, will Wehrmeyer auch in Zukunft die Auseinandersetzung suchen. Auch das Bundesinnenministerium gibt sich abwartend: Zur Zeit werde dort die "Rechtslage und Optionen" geklärt, erläuterte ein Sprecher des Hauses gegenüber heise online. Nun muss sich das Landgericht Berlin ein zweites Mal mit dem Sachverhalt beschäftigen. (axk)