Koschere Elektronik

Orthodoxe Juden dürfen am Sabbat bestimmte Tätigkeiten nicht ausführen, darunter das Ein- oder Ausschalten elektrisch/elektronischer Geräte. Mit der Lösung von solchen technisch-religiösen Problemen beschäftigt sich inzwischen eine ganze Industrie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 563 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter-Michael Ziegler

Werbung für eine koschere Digital-Alarm-Uhr

(Bild: Kosher Innovations)

"Sechs Tage sollt ihr arbeiten, den siebten Tag aber sollt ihr heilig halten als einen Sabbat der Ruhe des Herrn", lautet eine Übersetzung aus dem Sefer Schemot, dem "Buch der Namen", das hierzulande häufig als 2. Buch Mose oder Exodus bezeichnet wird. Für das Judentum ist der Sabbat aus dem Schöpfungsmythos seither ein Feiertag, an dem bestimmte Tätigkeiten nicht ausgeführt werden dürfen: Arbeit mit Werkzeugen oder Maschinen beispielsweise, das Berühren von Geld, Reisen oder berufliches Schreiben. Und selbst das Ein- oder Ausschalten von elektrischen Geräten ist orthodoxen Juden von Freitagabend bis Samstagabend untersagt. Was erlaubt und damit koscher oder Halacha-konform ist, legen Gelehrte des Talmud fest, dem Werk der mündlichen Überlieferung und der Wissenschaft des Judentums.

Doch was macht ein orthodoxer Jude etwa im Winter in Helsinki, wenn es am Sabbat draußen partout nicht hell werden will, er aber das Licht nicht einschalten darf, weil dies gegen die Talmud-Bestimmungen verstoßen würde? Mit solchen technisch-religiösen Problemen der weltweit rund 1,5 Millionen orthodoxen Juden beschäftigt sich inzwischen eine ganze Industrie. Entwickelt wurde unter anderem die "Kosher Lamp", eine Art Nachttischlampe, in die ein per Hand drehbarer Gehäuseeinsatz integriert wurde, der den Lichtdurchlass auf Wunsch einschränkt oder ganz unterbindet – trotz mitgelieferter Spezial-Glühbirne nicht sonderlich stromsparend, aber Halacha-konform und nach Angaben des kanadischen Herstellers Kosher Innovations bereits zehntausendfach verkauft.

In Israel, genauer gesagt in der israelischen Siedlung Alon Shvut im Westjordanland, hat das Zomet Institute seinen Sitz, wo zahlreiche Ingenieure und Wissenschaftler versuchen, moderne Elektronik und IT in Einklang mit der Religion zu bringen – was nicht immer einfach ist. Denn Sensoren, kleine Elektromotoren oder Unterbrecherkontakte kennen zunächst nur ein Gebot: Funktionieren – zumindest solange, bis die Herstellergarantie abgelaufen ist. Wer also Haushalts-, Unterhaltungs- oder Kommunikationsgeräte Sabbat-tauglich machen will, muss die vielen kleinen Helferlein, die das Leben an sechs Tagen der Woche so angenehm wie möglich gestalten sollen, für einen Tag in den vorübergehenden Ruhestand versetzen.

Im Zomet Institute denken sich die Mitarbeiter deswegen Schaltungen für Kühlschränke aus, die dafür sorgen, dass beim Öffnen der Kühlschranktür das Lämpchen im Inneren (Kinderfrage: "Geht das Licht wirklich immer aus, wenn ich den Kühlschrank zumache?") just am Sabbat nicht angeht. Auch Küchenherde, klimatisierte Weinkeller und Humidore lassen sich inzwischen in einen Sabbat-Modus versetzen. Aus dem Hause Zomet stammen zudem Sabbat-konforme Elektro-Rollstühle, Aufzüge, Alarmsysteme und Metalldetektoren, mit denen Pilger unter anderem in Hebron (Me’arat Hamachpela) und an der Klagemauer in Jerusalem auf Waffen untersucht werden, sowie das bereits tausendfach ausgelieferte "Shabbatphone", das sich "indirekt" aktivieren lässt.

Der sogenannte "Grama"-Zustand des Shabbatphones wird dadurch erzielt, dass das Gerät mit einem "elektronischen Auge" ausgestattet ist, das die Tasten alle zwei Sekunden scannt. Drückt der Nutzer nun die Anruftaste, aktiviert er die Funktion nicht unmittelbar, sondern das "Auge" registriert den Tastendruck und initiiert den Wählvorgang. Mit einem anderen Trick wird das Verbot des beruflichen Schreibens am Sabbat gelockert: Das Zomet Institute entwickelte dazu den sogenannten "Self-Erasing Pen", der mit Tinte arbeitet, die im Laufe der Zeit verblasst. Dies stellt nach jüdischen Regeln einen nicht allzu schwerwiegenden Verstoß dar und kann auch dann erlaubt werden, wenn keine Gefahr für Leib und Leben besteht.

Hatte das Zomet Institute lange Jahre eine Monopolstellung inne, was die Entwicklung von Halacha-konformen Gerätschaften betrifft, ist hier inzwischen eine regelrechte Industrie entstanden, deren geschätzte Umsätze weltweit im zweistelligen Millionenbereich liegen. Auch große US-amerikanische Haushaltsgeräte-Hersteller und Küchenausrüster wie Whirlpool, Viking oder General Electric haben längst Sabbat-taugliche Waren im Portfolio. Nach Angaben der in Baltimore ansässigen Firma Star-K, die sich auf die Zertifizierung von koscheren Produkten spezialisiert hat, teilen sich in den USA derzeit allein 14 Weiße-Ware-Firmen den Markt mit Produkten für die mehr als 750.000 orthodoxen und ultraorthodoxen Juden, die in den Vereinigten Staaten leben.

Dass einmal Halacha-konform aber nicht immer Halacha-konform bedeuten muss und dass die Technik den Tüftlern häufig auch einen Streich spielt, zeigt unter anderem die regelmäßig aktualisierte Warnliste von Star-K. So wurde etwa im März vor der Nutzung vor Gefrierkombinationen des Herstellers KitchenAid gewarnt, weil sich herausgestellt hatte, dass im Sabbath Mode ein Lämpchen angeht, wenn sowohl die Tür des Kühl- als auch die des Gefrierteils geöffnet wurde. (pmz)