Hassliebe zwischen Bertelsmann und AOL

Hintergrund: Bertelsmann-Chef Middelhoff kann und will die Verstrickung seines Konzerns mit dem Online-Dienst AOL nicht lösen.

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Von
  • Christian Rabanus

Jetzt steht es fest: AOL Europe geht an America Online, Bertelsmann beschränkt seine Internetaktivitäten auf E-Commerce sowie Content-Providing und setzt dabei verstärkt auf eine strategische Partnerschaft mit dem amerikanischen Online-Dienst. Damit ist ein seit mehreren Monaten andauerndes Rätselraten um die Zukunft des zu gleichen Teilen von Bertelsmann und AOL gehaltenen AOL Europe beendet. Das Rätselraten um die Internetstrategie des deutschen Medienkonzens dauert aber an.

Seit der Ankündigung von America Online, mit der Time-Warner-Gruppe fusionieren zu wollen, war es fraglich, ob AOL und Bertelsmann noch lange gleichberechtigte Partner im Joint-Venture AOL Europe bleiben würden. Unmittelbar nach Ankündigung gab Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff seinen Rückzug aus dem Board von AOL bekannt. Einige Tage später kündigte er an, dass der Auftritt als Internet-Service-Provider nicht mehr zum Kerngeschäft des Medienkonzerns gehöre. Zwar trat er auch gleich Gerüchten entgegen, er wolle Bertelsmanns Anteile an AOL Europe verkaufen, über den Mangel an potenten Interessenten konnte er sich aber zu keinem Zeitpunkt beklagen.

Zunächst handelte man Mannesmann als potentiellen Käufer. Der Düsseldorfer Konzern erhoffte sich durch die Akquisition des Online-Diensts eine Stärkung seiner Position im Abwehrkampf gegen die Übernahme durch den britischen Mobilfunkanbieter Vodafone AirTouch. Allerdings kam der Deal nicht zustande. Nachdem dann Vodafone und der französische Mischkonzern Vivendi eine Internet-Allianz geschmiedet hatten, zeigte dieses Joint-Venture Interesse an AOL Europe. Der europäische Online-Dienst sei ein idealer Partner, hieß es aus . Seinen Besitzer wechselte er trotzdem nicht. Schließlich kündigte AOL-Chef Steve Case sein Begehren an, AOL Europe allein zu kontrollieren. Nicht zuletzt aufgrund des guten persönlichen Verhältnisses zwischen Case und Middelhoff sprach viel für diese Verkaufsvariante.

Als die beiden Chefs zusammen mit Bob Pittman, Präsident von AOL und damit zweiter Mann hinter Case, ihre Vereinbarung bekanntgaben, waren sie auch wieder voll des Lobs füreinander und hofften auf eine weitere Vertiefung ihrer freundschaflichen Beziehungen – über Verlierer und Gewinner sprachen sie natürlich nicht. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die letzten Monate sicherlich nicht im Sinne Middelhoffs verlaufen sind.

Mit der Time-Warner-Gruppe hat sich AOL einen der schärfsten internationalen Konkurrenten von Bertelsmann ins Boot geholt. Konnte Bertelsmann vor dem Deal noch darauf hoffen, zum exklusiven Content-Provider für AOL zu avancieren, so mussten die Gütersloher diese Hoffnung nach Bekanntwerden der Fusion aufgeben. Auch den Plan, zur weltweiten Nummer eins auf dem Musikmarkt aufzusteigen, konnte Bertelsmann vorerst begraben, als Time-Warner EMI kaufte – just auf dieses Label hatte auch Middelhoff einen begehrlichen Blick geworfen.

Warum Bertelsmann aber eigentlich aus dem europäischen Online-Dienst aussteigt, machen auch die wortreichen Erklärungen des Bertelsmann-Chefs nicht ganz deutlich. Es mag eine strategische Entscheidung sein, nicht selbst als Internet-Service-Provider aufzutreten – aber was liegt näher, um sich erstklassig im Internet zu positionieren, als seine eigenen Zugangskanäle zu sichern und zu verbreitern? Ein Verkauf derselben scheint da eher fern zu liegen. Auch eine Auflösung der Verstrickung mit AOL strebt Middelhoff offensichtlich nicht an: Er hätte sich sonst nicht für die strategische Partnerschaft mit AOL entschieden, sondern mehr auf die schließlich auch nicht ganz zu verachtenden eigenen Internet-Marken vertraut.

Einige Beobachter sind der Ansicht, dass Bertelsmann Geld für weitere Internet-Investitionen braucht. Solche könnte der Konzern mit dem Erlös von 13,5 bis 16,5 Milliarden Mark aus dem Deal auch kräftig tätigen – wenn das Geld nicht erst ab Februar 2002 fließen würde. Bis dahin kann sich die Internet-Welt schon wieder völlig gewandelt haben.

Vermutlich ist die Konkurrenz mit der Time-Warner-Gruppe die treibende Kraft. Damit Bertelsmann nicht aus dem boomenden Geschäft mit E-Commerce über den Online-Dienst und seine Internet-Marken gedrängt wird, opfern die Gütersloher das Tafelsilber AOL Europe und sichern sich im Gegenzug den Zugang zu 23 Millionen Abonnenten von AOL und zu 135 Millionen Nutzern der von AOL kontrollierten Internet-Marken. Immerhin haben sie damit erreicht, über alle AOL-Kanäle mit Time-Warner konkurrieren zu können; denn trotz der viel beschworenen Freundschaft ist wohl kaum damit zu rechnen, dass Case über AOL nur Inhalte von Bertelsmann, nicht aber von Time-Warner schickt.

Eindeutiger Gewinner bei der ganzen Transaktion ist Steve Case: In Zukunft kontrolliert er AOL Europe und AOL Australia allein und kann über alle Bertelsmann-Kanäle für sich werben. In Deutschland bedeutet das eine deutliche Verbesserung der eigenen Position beim Versuch, gegen den hierzulande dominierenden Online-Dienst der Deutschen Telekom Boden gut zu machen. (chr)