Disput um die Digitale Dividende

Der Bundesrat entscheidet über die Pläne der Regierung, bisher vom Fernsehen genutzte und mit dem Übergang zur digitalen Ausstrahlung frei werdende Frequenzen für Breitband-Mobilfunk zur Verfügung zu stellen. Das ist nicht unumstritten.

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Breitband ist der Berliner Großen Koalition eine Herzensangelegenheit. Die Bundesregierung wird nicht müde zu betonen, wie wichtig die flächendeckende Versorgung der gesamten Bevölkerung mit leistungsfähigen Internetanschlüssen ist. Bis Ende 2010 sollen alle deutschen Haushalte einen Breitbandanschluss bekommen. Dafür will der Staat Gelder aus dem Konjunkturpaket in die Infrastrukturförderung pumpen. Hier wittern nicht nur Netzbetreiber eine Chance, staatlich subventioniert neue Märkte zu erobern. Schon im Vorfeld wird auch um Ressourcen und Regulierungsfragen gestritten. Ein besonderes Objekt der Begierde ist dabei die sogenannte "Digitale Dividende".

Dieser hübsche, aber leicht irreführende Begriff beschreibt freigeräumte Frequenzen im Spektrum von 790 MHz bis 862 MHz, die für neue Zugangsdienste genutzt werden können. "Dividende" klingt gut und nach mehr, dabei werden die Frequenzen lediglich umgewidmet. Mit der Umstellung der TV-Sender, die den Frequenzblock bisher für analoge Austrahlung ihrer Progamme nutzten, auf digitale Sendeverfahren steht ein attraktiver Happen des Spektrums zur Verfügung. Dieser soll nach dem Willen der Bundesregierung für drahtlose Internetzugänge nutzbar gemacht werden.

Im März hat das Kabinett dafür die sogenannte "Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung" verabschiedet, über die am heutigen Freitag noch der Bundesrat entscheiden muss – der das aber erst einmal wieder verschob und den Punkt von der Tagesordnung nahm. Stimmt die Länderkammer irgendwann den Plänen zu, kann die Bundesnetzagentur noch in diesem Jahr mit der Vergabe der Frequenzen beginnen. Die Regulierungsbehörde möchte das Verfahren beschleunigen und schlägt deshalb in einem Eckpunktepapier vor, die Verteilung der digitalen Dividende in einem Aufwasch mit der geplanten Versteigerung von neuen UMTS-Mobilfunklizenzen im 1,8- und 2,6-GHz-Bereich zu erledigen.

Das findet die Unterstützung der Mobilfunk-Lobby: Die Netzbetreiber haben es auf die wertvollen Frequenzen im MHz-Bereich abgesehen und versprechen vollmundig, damit breitbandiges Internet auch in den letzten Winkel der Republik zu bringen. Bis zu 5 MBit/s sind für die bisher weißen Flecken auf dem Breitbandatlas möglich, verspricht Vodafone-Chef Fritz Joussen jüngst im FAZ-Interview. Die Zauberformel dafür heißt, bei Vodafone ebenso wie anderen Netzbetreibern, LTE. "Long Term Evolution" heißt dieser Standard, dessen endgültige Verabschiedung bald zu erwarten sein dürfte; die Ausrüster werden entsprechende Technik ab 2010 anbieten.

Für die Versorgung ländlicher Gebiete hätten die Netzbetreiber gerne die Frequenzen aus dem niedrigeren TV-Spektrum, weil damit mehr Reichweite pro Sendeanlage zu erzielen ist und deshalb weniger Türme gebaut werden müssen. Die nötigen Frequenzen wollen Bundesregierung und Regulierer rechtzeitig bereitstellen. Praktischerweise als bundesweite Lizenzen, womit die Landesmedienanstalten als bisherige Wächter des TV-Spektrums aus dem Spiel wären. Die Länder könnten diese Kröte heute schlucken, um den Breitbandausbau in der Fläche nicht zu gefährden. Bundesregierung, Bundesnetzagentur und IT-Branche drücken aufs Tempo. "Für die Versorgung der ländlichen Regionen mit preiswerten und schnellen Internetzugängen brauchen wir zusätzliche Funkfrequenzen unterhalb von 1 GHz“, bekräftigte noch am Donnerstag vor der Bundesratssitzung Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer.

Der schönen neuen Breitbandwelt unterordnen soll sich die Veranstaltungstechnik. Denn kabellose Mikrofone für Bühnenproduktionen, Fernsehaufzeichnungen oder Musicalaufführungen und andere Bühnentechnik funken seit Jahren in dem Spektrum, das jetzt umgewidmet werden soll. Sie nutzen die Lücken zwischen den Fernsehkanälen als sogenannte "nachrangige Funkanwendung". Grundlage ist eine Allgemeinzuteilung der Regulierungsbehörde aus dem Jahre 2001, die bis 2015 befristet ist. An dieser Zuteilung wollen auch das in der Regierung zuständige Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur offenbar nicht rütteln.

In einem Gespräch mit Branchenvertretern im Oktober 2008 in Bonn kamen die Beteiligten überein, die Allgemeinzuteilung nicht anzutasten. Gleichzeitig ist klar, das sie auch über 2015 hinaus nicht verlängert wird. Bis dahin nimmt die Branche das als Bestandsgarantie, die Mitte März auch Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, in seiner Antwort an die Grünen-Abgeordnete Kerstin Andreae erneuert. Das steht allerdings dem erklärten Ziel der Mobilfunker entgegen, schon 2010 mit dem Ausbau auch auf den Frequenzen der digitalen Dividende zu beginnen.

Wo die Veranstaltungstechnik hin soll, ist unklar. Pfaffenbach bleibt da ebenso vage wie der niedersächsische Wirtschaftsminister Philip Rösler (FDP) in seiner Antwort auf eine Anfrage seines Parteikollegen Roland Riese. Klar ist nur, dass es Ausweichfrequenzen geben soll. Das will die betroffene Branche so nicht hinnehmen: "Den Kulturschaffenden dürfen die drahtlosen Produktionsmittel nicht weggenommen werden, ohne konkret einen geeigneten Ersatz-Frequenzbereich zu bestimmen", fordert der neu gegründete Verband APWPT (Association of Professional Wireless Production Technologies).

Allein in Deutschland müssten nach Angaben des Verbands hunderttausende teure Funkmikrofone neu angeschafft werden, weil eine Umrüstung nicht möglich sei. Die Ersatzbeschaffung werde die Branche rund 3,5 Milliarden Euro kosten. Für die nötigen Anschaffungen in öffentlichen Kulturbetrieben wie Opernhäusern und Theatern müsse der Staat aufkommen. Besorgt zeigen sich auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Das Horroszenario ist eine "Wetten, dass..."-Sendung, in der Thomas Gottschalk wieder ein kabelgebundenes Mikro auf dem Sofa herumreichen muss. (vbr)