Der Futurist: Freischwimmer

Was wäre, wenn wir schwimmende Städte hätten?

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Von
  • Jens Lubbadeh

Was wäre, wenn wir schwimmende Städte hätten?

Es war Kim Jong-uns Husarenstreich. Lange hatte Nordkoreas "Oberster Führer" nach einer Gelegenheit gesucht, um sich endlich zum "Geliebten Führer" profilieren zu können – ganz wie der Papa. Und das war die Gelegenheit: Kim kaufte die erste sogenannte Seastead, für, so munkelt man, den astronomischen Preis von 15 Milliarden Dollar. Es war eine schwimmende Mini-Stadt, angetrieben mit Wind-, Wellen und Solarenergie, die 50000 Menschen ein Heim auf dem Ozean bot. Dieses Klein-Pjöngjang ließ Kim in Richtung USA schippern.

Der Initiator dieser Seasteads war ein illustrer Zeitgenosse namens Patri Friedman. Der Enkel des legendären Ökonomen Milton Friedman galt lange als Anarcho-Spinner. 2008 hatte er das Seasteading Institute gegründet und träumte davon, autonome schwimmende Stadtstaaten auf den Weltmeeren zu errichten. Jeder möge nach seiner Fasson glücklich werden, lautete seine Devise. In einem "FAZ"-Interview aus dem Jahr 2009 zeigte er sich offen für Inseln für Faschisten, Nudisten und gar Kannibalen. Allein, es fehlte das Geld. Auch die Millionen des PayPal-Gründers und geldschweren Peter Thiel reichten nicht. Atlantis Institute nannten böse Zungen Friedmans Werk schon.

So brauchte es einen Diktator, der irre genug war, seine Idee in die Tat umzusetzen: Kim. Für Friedman, Libertärer und Anarchokapitalist, kein Problem: "Auch Diktatoren haben das Recht auf Freiheit", so Friedman. Kim ließ Jidoja Nun, wie er die Stadt nannte (übersetzt etwa: Das Auge des Führers) ausgerechnet vor Florida parken, exakt 200 Meilen vor der Küste, genau da, wo die Hoheitsrechte der USA enden. Und ausgerechnet vor jenem Bundesstaat, in dem US-Präsident Jeb Bush lange Zeit Gouverneur gewesen war. Für die USA war es eine ungeheuerliche Provokation. Bush ließ sofort die Kriegsmarine auffahren und den Flugzeugträger USS George H. W. Bush an der 200-Meilen-Grenze ankern.

Kuba hingegen war entzückt. Alejandro Castro Espín, ein Neffe Fidel Castros, Heißsporn, erklärter Feind Jeb Bushs und ironischerweise einäugig, war das Auge des Führers höchst willkommen. Kuba war denn auch das erste Land, das Jidoja Nun diplomatisch anerkannte.

Für die USA war es ein Neuaufguss der Kuba-Krise. Als Bush genau wie seinerzeit John F. Kennedy eine Schiffsblockade Jidoja Nuns anordnete, ließ Castro Espín seine Antonows starten und Kims schwimmende Stadt aus der Luft mit Vorräten versorgen. Die kubanischen Rosinenbomber rührten nicht nur das Herz der Berliner, sondern das der ganzen Welt: Unter massivem internationalen Druck musste Bush das Em-bargo von Klein-Nordkorea beenden.

Schlimmer noch für ihn: Das Beispiel Kims machte Schule, und es entwickelte sich ein regelrechter Seastead-Tourismus an den Küsten der USA. Irans Revolutionsführer und Großayatollah Hassan Khomeini ließ seine Inselstadt Teheranaqua vor Kalifornien parken, Venezuelas Staatspräsidentin Gabriela Chavéz ging mit ihrer Hugopolis im Golf von Mexiko vor Anker – natürlich im mexikanischen Teil. Und Chinas vorbildlich-kommunistisches "New Taiwan" fand seinen Platz vor New York.

Nach ein paar Jahren glätteten sich die Wogen, und die neuen Nachbarn knüpften erste Beziehungen mit den USA – als Freizonen waren sie begehrte Handelspartner. Teheranaqua-Sushi war der Renner in Kaliforniens Edelrestaurants, Hugopolis ein verlässlicherer Ölförderer als BP, und New Taiwans Arbeiter bauten amerikanische Smartphones noch billiger als ihre chinesischen Brüder fern der Heimat. Am Ende, so schien es, ging Friedmans anarchokapitalistische Vision doch auf. (jlu)