Lobbyschlacht um Softwarepatente geht in neue Runde

Befürworter und Gegner eines breiten gewerblichen Rechtsschutzes von Computerprogrammen haben die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes mit rund 100 Stellungnahmen überhäuft.

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Die alten Lobby-Fehden um Softwarepatente, die in den vergangenen Jahren vor allem im Streit um die letztlich gescheiterte EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" geschlagen wurden, sind neu entflammt. So hat die Vorlage einer Reihe von Fragen zum gewerblichen Rechtsschutz von Computerprogrammen an die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (EPA) durch dessen Präsidentin, Alison Brimelow, zu der stattlichen Zahl von rund 100 Eingaben von Konzernen, Verbänden und Individuen geführt. Vielen geht es dabei um den Anstoß einer Grundsatzdebatte zur Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), das Programme für Datenverarbeitungsanlagen "als solche" von der Patentierbarkeit ausschließt.

Die in den Stellungnahmen abgesteckten Frontlinien laufen entlang bekannter Muster. Große Unternehmen wie Apple oder SAP und ein Teil der Verbände der Computerindustrie wie die Business Software Alliance (BSA) oder die Computing Technology Industry Association (CompTIA) sprechen sich für die Beibehaltung der umstrittenen Praxis der weiten Interpretation der Ausnahmeklausel durch die Technischen Beschwerdekammern der Münchner Behörde aus. Vor allem Mittelstandsvereinigungen plädieren dagegen für einen Richtungswechsel.

Generell erwartet der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) laut seiner Stellungnahme (PDF-Datei) "Auswirkungen auf die Arbeit Tausender Programmierer und Unternehmen sowie den Alltag von Millionen Computernutzern und Konsumenten" durch die im Raum stehende Entscheidung. Es zeuge zwar von einer "schiefen Optik", dass das EPA quasi über sich selbst richten solle. Schließlich hätten die Technischen Beschwerdekammern der Behörde in diversen Verfügungen voller Widersprüchen ein "Fallrechtsgefängnis" errichtet und den Gehalt des EPÜ ausgehöhlt. Die Große Beschwerdekammer könne nun aber den im eigenen Hause geknüpften gordischen Knoten auf Basis einer systematischen und zielgerichteten Auslegung des umkämpften Artikels 52 der Grundordnung für die Erteilung europäischer Patente lösen.

Laut FFII muss jeder Versuch, den im EPÜ enthaltenen Ausschlüssen ihre Substanz zu nehmen, als unzulässig verworfen werden. Artikel 52 verbiete Ansprüche auf Computerprogramme unabhängig von ihrer sprachlichen Formulierung als Verfahren, Vorrichtung oder (Programm-)Produkt. Alles andere würde dem Grundsatz zuwiderlaufen, dass nicht die sprachliche Einkleidung der Ansprüche, sondern nur ihr sachlicher Gehalt der Maßstab für die entscheidende Patentierungsanforderung der Technizität sein dürfe. Verhindern will der Verein so die im EPA aufgekommene "Lehre", wonach Programme als Methoden grundsätzlich einen weiteren technischen Effekt beziehungsweise "Charakter" haben könnten und damit grundsätzlich einer Patenterteilung zugänglich würden. Sonst könnte mit der vorgenommenen Umdeutung von Programmen für Datenverarbeitungsanlagen schon die Verbreitung einer betroffenen Software als Patentverletzung angesehen werden.

Die Computer & Communications Industry Association (CCIA) erinnert in ihren Ausführungen (PDF-Datei) an die grundlegenden Bedenken einer vom US-Präsidenten einberufenen Kommission von 1966, die nach wie vor aktuell seien. Demnach könne das US-Patentamt schon aufgrund der fehlenden Klassifikationstechnik für Computerprogramme und der so kaum durchführbaren Suche nach dem Stand der Technik Anträge im Bereich Software nicht zuverlässig prüfen. Erschwert würde die Lage durch die ständige Produktion "riesiger Volumen" weiterer Programme und somit potenziell zu berücksichtigender "Erfindungen". Nachdem das US-Patentamt und Gerichte trotzdem zunächst gegen diese Empfehlungen gehandelt hätten, habe die Software-Industrie in den USA nun mit wachsenden "Patent-Dickichten" und teuren Rechtsauseinandersetzungen zu kämpfen.

Auch Red Hat beklagt die hohen Kosten des Patentwettlaufs im Softwarebereich als "Innovationsbremse". Zu Wort gemeldet hat sich sogar der "Algorithmus-Papst" Donald E. Knuth. Er verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Praxis der Vergabe von Softwarepatenten ein Ende bereitet werde. Sollte sich Europa hier als Vorreiter erweisen, "würden viele Amerikaner dorthin emigrieren wollen, um in Ruhe weiter Innovationen vorantreiben zu können".

IBM zeigt sich dagegen weitgehend zufrieden mit dem Stand der Dinge. Big Blue rät nur, Möglichkeiten der Suche nach dem Stand der Technik zu verbessern, um bei Softwarepatenten die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Münchner Patentanwaltskanzlei Forrester & Boehmert vertritt (PDF-Datei) im Auftrag der US-Konzerne Microsoft und General Electric (GE) die Ansicht, dass die Technischen Beschwerdekammern ausreichend Hinweise gegeben hätten, um den "technischen Charakter" einer "Erfindung" im Softwarebereich abzuschätzen. Es reiche aus, wenn ein "technisches Problem" gelöst werde. Jüngste Entscheidungen hätten viel dazu beigetragen, das Ergebnis eines Patentprüfungsprozesses "vorhersagbarer" zu machen, unterstützen die Anwälte die Linie des EPA. Es dürfe auch kein Unterschied zwischen "computerimplementierten Methoden" und Programmen gemacht werden.

Siemens erhebt (PDF-Datei) zunächst Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Zuführung des Falls an die Große Beschwerdekammer. Schließlich sei allein eine Fortentwicklung der Rechtsprechung der Technischen Beschwerdekammern festzustellen, keine uneinheitliche Position. Zugleich halten die Patentexperten des Elektroriesen fest, dass schon "die ausdrückliche Verwendung eines Computers in der Tat ein technisches Merkmal ist, das einen Anspruch theoretisch dem Patentschutz zugänglich macht". Generell sei festzustellen, "dass ein rein auf die reale Welt reduziertes Technikverständnis nicht zeitgemäß ist". (Stefan Krempl) / (jk)